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Was wurde aus den 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr?

Ben Knight
1. März 2023

Vor einem Jahr hat Bundeskanzler Olaf Scholz versprochen, die Bundeswehr mit einem massiven Sonderfonds aufzurüsten. Kritiker sagen, seitdem sei nicht viel passiert.

Karneval in Düsseldorf: Das Bild zeigt einen Bundeswehrsoldaten auf einem Fahrrad, der eine Panzerattrappe mit sich führt
Panzerattrappe auf dem Fahrrad? Auch im Karneval ging es um die Ausstattung der BundeswehrBild: Federico Gambarini/dpa/picture alliance

Vor etwas mehr als einem Jahr hielt Bundeskanzler Olaf Scholz vor dem Deutschen Bundestag eine Rede, die wahrscheinlich seine Kanzlerschaft prägen wird - und das, obwohl er damals kaum zwei Monate im Amt war. Die "Zeitenwende"-Rede, eine Reaktion auf den Angriff Russlands auf die gesamte Ukraine, basierte auf der Ankündigung, dass die Bundeswehr einen einmaligen Sonderfonds - genannt Sondervermögen - in Höhe von 100 Milliarden Euro erhalten würde, um aufgerüstet zu werden.

Am 3. Juni schloss sich die konservative Opposition der CDU und CSU im Bundestag mit den Regierungsparteien zusammen, um das Grundgesetz zu ändern und die zusätzliche Verschuldung zuzulassen.

CDU-Kritik: "Truppe hat ein Jahr verloren"

Seitdem aber wird die Mitte-Links-Koalition aus SPD, Grünen und FDP unter Bundeskanzler Scholz von der konservativen Opposition und anderen beharrlich darauf hingewiesen, dass die deutschen Truppen nicht von diesem Geldsegen profitiert haben. "Die Bundeswehr hat ungeheure Defizite und die Zeitenwende hat bei ihr bislang noch gar nicht begonnen", sagte Roderich Kiesewetter, außenpolitischer Sprecher der CDU, der Zeitung Augsburger Allgemeine: "Die Truppe hat ein Jahr verloren und ist nun blanker als Anfang 2022."

Bundeswehr: Schleppende Zeitenwende

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Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), entgegnete im Deutschlandfunk, in den 16 Jahren, in denen die CDU oder CSU unter Regierungschefin Angela Merkel das Verteidigungsministerium innehatten, sei "gar nichts" für die Modernisierung der Armee getan worden.

Dann zählte sie auf, was Erfolge der Regierung im vergangenen Jahr gewesen seien: neue Bestellungen von F-35-Kampfjets und schweren Transporthubschraubern aus den USA sowie eine neue Digitalisierungsoffensive zur Modernisierung der Streitkräfte.

Das Verteidigungsministerium gibt an, dass 30 Milliarden Euro der 100 Milliarden Euro bereits für größere Anschaffungen vorgesehen sind. Von europäischen Verbündeten und innerhalb Deutschlands wurde kritisiert, dass viele große Bestellungen in den USA getätigt wurden. Letztendlich wird der Großteil des Sonderfonds aber wohl in Deutschland selbst verbleiben, das über eine starke Waffenindustrie verfügt.

Außerdem, so argumentiert Strack-Zimmermann, könnten 100 Milliarden Euro nicht einfach in einem Jahr ausgegeben werden. Die Herstellung anspruchsvoller neuer Ausrüstung brauche Zeit. Die ersten acht F-35 zum Beispiel sollen 2026 ausgeliefert werden (sie bleiben zunächst in den USA, während die Bundeswehrpiloten ausgebildet werden), die restlichen 27 sollen bis 2029 geliefert werden. Einige Güter, wie neue digitale Kommunikationsgeräte, werden schneller verfügbar sein, während andere noch länger brauchen.

Kanzler auf Gepard-Panzer: Bundeskanzler Olaf Scholz beim Besuch des Ausbildungsprogramms der Bundeswehr für ukrainische SoldatenBild: Marcus Brandt/dpa/picture alliance

Die Geldmenge für die Bundeswehr schrumpft

Aber die Zeit drängt. Die 100 Milliarden Euro schrumpfen schon ohne Ausgaben. Nach Angaben von Rafael Loss, Verteidigungsexperte beim European Council on Foreign Relations (ECFR), wurde ursprünglich geschätzt, dass nur 8 Milliarden Euro aus dem Sonderfonds als Zinsen für dieses zusätzliche Darlehen der Regierung gezahlt werden müssen. Aufgrund der steigenden Zinssätze sei diese Schätzung nun auf 13 Milliarden Euro gestiegen. Bleiben also noch 87 Milliarden Euro, die tatsächlich ausgegeben werden können.

Hinzu kommen die Inflation und die Mehrwertsteuer, so dass nach Deckung aller zusätzlichen Kosten nur noch etwa 50 bis 70 Milliarden Euro für die eigentliche Hardware übrig bleiben. "Je länger man dieses Geld irgendwo liegen lässt, desto länger werden Faktoren wie Inflation und Zinszahlungen diese Geldmenge auffressen", sagte Loss der DW.

In gewisser Weise stimmt Loss zu, dass die Regierung schneller hätte handeln können. "In mancher Hinsicht war das letzte Jahr ein verlorenes Jahr für die Bundeswehr", sagte er. "Aber der neue Verteidigungsminister (Boris Pistorius, SPD) scheint darauf zu drängen, dass viele Dinge beschleunigt werden, wie zum Beispiel der Ersatz der Leopard-Panzer."

Boris Pistorius trat sein Amt vor etwas mehr als einem Monat an, nachdem seine Vorgängerin Christine Lambrecht, ebenfalls Sozialdemokratin, zurücktrat - unter anderem weil Unzufriedenheit mit ihrer Führung in den Reihen der Armee durchsickerte.

Der neue Minister hat sich für mehr Geld eingesetzt: Er wies darauf hin, dass der Sonderfonds nicht ausreicht, um den Bedarf des Militärs zu decken, und forderte eine Aufstockung des Budgets seines Ministeriums um weitere 10 Milliarden Euro. Einige andere, darunter Saskia Esken, Co-Vorsitzende seiner Partei, zeigten sich von dieser Idee nicht gerade begeistert.

Neue Töne von der Rüstungsindustrie

Die offensichtliche Dringlichkeit von Pistorius ist eine Veränderung für das deutsche Militär, das seit vielen Jahren unter Ineffizienz bei der Beschaffung leidet. Im vergangenen Jahr war dies eine bekannte Klage von Hans Christoph Atzpodien, dem Vorsitzenden des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), zu dessen Mitgliedern alle großen deutschen Lieferanten von schwerem militärischem Gerät gehören, darunter Krauss-Maffei Wegmann, der Hersteller des Leopard-2-Panzers.

Verteidigungsminister Boris Pistorius, erst kurz im Amt, gilt als beliebt in der BundeswehrBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Atzpodien argumentierte, dass der bürokratische Koloss des militärischen Beschaffungswesens an einem "Perfektionismus" in seinen Vorschriften leide. Der führe oft dazu, dass die Truppen nicht das bekommen, was sie brauchen - als Beispiel führt er die deutschen Panzerbesatzungen an, die nicht die gleichen Funkgeräte wie ihre internationalen Partner haben, obwohl diese ausdrücklich angefordert wurden.

Dieser Knackpunkt ist inzwischen ausgeräumt. "Ich muss dem Beschaffungsprozess zugutehalten, dass es im Dezember 2022 nun doch zu einer Beschaffungsentscheidung für genau diese Ausrüstung - sogar bei einem deutschen Unternehmen - gekommen ist, was wir natürlich begrüßen", teilte er der DW mit.

Das sind neue Töne. Noch im Dezember geriet Atzpodien öffentlich in Streit mit hochrangigen Regierungsvertretern, die der Rüstungsindustrie vorwarfen, sie solle sich mehr um den Ausbau der Kapazitäten bemühen. Jetzt scheinen die beiden Seiten auf einer Wellenlänge zu liegen. "Wir sind sehr zuversichtlich", so der BDSV-Vorsitzende, dass Prozesse, die vor allem durch haushaltspolitische Bürokratie aufgehalten wurden, "nun in entsprechender Breite in Gang kommen".

Das Ökosystem der Beschaffung

Rafael Loss meint jedoch, dass die Komplexität des Beschaffungswesens nach wie vor ein Problem darstellt, das sich nicht einfach lösen lasse: "Es ist ein sehr komplexes Ökosystem zwischen dem Parlament als Haushaltsträger, dem Verteidigungsministerium, den Beschaffungsstellen und den Streitkräften."

Nach dem Kalten Krieg habe sich in der Bundeswehr eine Kultur eingebürgert, in der Schnelligkeit keine Priorität habe. "Es gab eine enorme Risikoaversion, etwas falsch zu machen und vielleicht ein bisschen zu viel Geld für Dinge auszugeben, um sie schneller durch die Beschaffungspipeline zu bringen", sagte er.

Hinzu komme, dass die regionalen Interessen der Bundestagsabgeordneten bei Beschaffungsentscheidungen oft eine Rolle spielten - bayerische Politiker drängten beispielsweise darauf, dass bayerische Luftfahrtunternehmen den Zuschlag erhielten. "Das führt dazu, dass sich die Haushaltsverfahren weniger am militärischen Bedarf orientieren", sagt Loss.

Mit anderen Worten: Scholz' berühmte "Zeitenwende" besteht darin, den kolossalen Tanker, der das deutsche Militär, seine Kultur und seine Bürokratie ist, zu wenden. Ein Jahr reicht dafür offenbar nicht aus.

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.

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