Bildungsstreik
17. November 2009Ein paar Dinge ändern sich offenbar nie an deutschen Universitäten. Denn völlig überfüllte Seminarräume und Hörsäle gab es auch schon vor 25 Jahren; genauso wie Gebäude in desolatem Zustand, unnötige bürokratische Fallstricke und Informationschaos bei Studienbeginn und vor Prüfungen.
Ausbildungs-Effizienz oder Hetze?
Was es allerdings nicht gab: Die modernen, verkürzten Bachelor- und Master-Studiengänge, die schneller zum Hochschulabschluss und zum Berufseintritt führen sollen. Von der einstigen "Freiheit des Lernens" bleibt da nicht viel übrig, sagen die Kritiker. Sie beklagen die "Verschulung" des Studiums, das durch das Ineinandergreifen von zahllosen Pflichtveranstaltungen zeitlich extrem dicht gestaffelt abläuft. In manchen Fächerkombinationen ähnelt da das Austüfteln eines Stundenplans der mathematischen Optimierung von komplexen Gleichungssystemen. Ist zum Beispiel ein bestimmtes Seminar unwiderruflich ausgebucht, dann kostet das im Extremfall ein ganzes Studiensemester.
Der Student als zahlender Kunde
Was es vor 25 Jahren auch nicht gab: Studiengebühren. Die waren erstens unter der Prämisse eingeführt worden, dass das Geld zu 100 Prozent den Universitäten zur Verfügung stehen sollte, als Extra-Finanzspritze. Und zweitens sollten aus den Gratis-Studenten von einst selbstbewusste, zahlende Kunden eines modernen Dienstleistungsbetriebes werden. Jetzt reklamieren die Kunden, lautstark.
Man könnte fast den Eindruck gewinnen, die Botschaft sei sogar schon angekommen. Zum Beispiel bei Bundesbildungsministerin Annette Schavan, die Verständnis für die Proteste hat: "Die Studentinnen und Studenten erwarten, dass das, was jetzt in der Kultusministerkonferenz vereinbart wurde, auch umgesetzt wird. Sie brauchen klare Signale, dass es Korrekturen bei der neuen Studienstruktur gibt." Als Beispiele nennt die Ministerin die "Entschlackung der Studiengänge" und die "Verbesserung von Mobilität"; Studenten sollen also endlich problemlos von Hochschule zu Hochschule wechseln können.
Für Nachbesserungen bei der Bologna-Reform, also bei den Bachelor- und Master-Studiengängen, ist praktisch jeder, auch der Präsident der Kultusministerkonferenz, Henry Tesch, und der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Peter Strohschneider. Der möchte zum Beispiel nicht alle Studienfächer über einen Kamm geschoren wissen: Während manche Geisteswissenschaft mehr Struktur vertragen könnte, bräuchten die Ingenieurfächer eher mehr Freiheiten.
Auf dem schwierigen Weg zur Bildungsrepublik
An gutem Willen und einer gewissen Reformbereitschaft fehlt es also nicht, eher schon am Geld. Und da klaffen seit jeher hehre Absichten und die schnöde Realität auseinander, das scheint auch in den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel mitzuklingen. In ihrer wöchentlichen Internet-Videobotschaft kündigte Merkel an: "Wir werden im Dezember mit den Ministerpräsidenten darüber beraten, wie wir das vereinbarte Ziel von sieben Prozent Ausgaben des Bruttoinlandsprodukts für Bildung auch bis zum Jahre 2015 umsetzen können. Diese Beratungen werden alles andere als einfach werden, aber sie werden ein Zeugnis davon ablegen, ob wir bereit sind, in die Zukunft zu investieren."
Da dürfte es um eine weitere zentrale Forderung der Protestler, die Wiederabschaffung der Studiengebühren, eher schlecht stehen. In diesem Punkt gibt es momentan nämlich nur Unterstützung von der Seite der politischen Opposition: Die SPD stehe "für eine gebührenfreie Bildung von der Kita bis einschließlich zum Master an der Hochschule", hieß es am Wochenende vom SPD-Parteitag. Während Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer von der CSU da schon einmal ganz klar sagt, was in diesem Punkt von der Bundesregierung zu erwarten ist: "Die Studiengebühren, die bleiben."
Autor: Michael Gessat
Redaktion: Dеnnis Stutе