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Politik

Bauern protestieren in Berlin

26. November 2019

"Wir wollen von unserer Arbeit leben können", heißt es immer wieder. Tausende Landwirte beklagen im Herzen der Hauptstadt den Druck der purzelnden Preise und der Politik.

Bauern-Demo in Berlin 26.11.2019
Bild: DW/C. Strack

"Stiefel-Mahnmal" heißt es auf einem weißen Zettel. Auf den Stufen rund um die Siegessäule im Berliner Tiergarten stehen hunderte Kinderschuhe. "Für über 94.000 landwirtschaftliche Betriebe, die in den letzten zehn Jahren ihre Türen für immer geschlossen bleiben." Es ist der stillere Protest an diesem Tag. Und wohin man schaut, nach Osten zum Brandenburger Tor oder nach Westen, nach Süden oder Norden - Traktoren und landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge so weit das Auge reicht. Deutschlands Bauern, frustriert oder in Wut, rücken der Politik auf den Pelz.

Der lautere Protest dominiert derweil. Immer wieder Hupen und schiffs-ähnliche Sirenen. Und vor allem Reden. An die 10.000 Landwirte sind in der deutschen Hauptstadt und fordern ein Umdenken der Politik, damit sie überleben können. Heute kämen sie kaum über die Runden, landwirtschaftliche Arbeit lohne sich kaum mehr.

Das "Stiefel-Mahnmal" erinnert an Bauern-Familien, die aufgegeben habenBild: DW/C. Strack

"Kein Bock mehr"

Wilhelm Kuhls ist mit dem Traktor aus der Gegend von Celle in Niedersachsen gekommen. Warum? "Weil mein Junior keinen Bock mehr, weiterzumachen", sagt er. Der Sohn sei 22, gut ausgebildet, "aber er sieht keine Perspektive mehr". Und dann berichtet der Kartoffelbauer, dass ihnen der Landkreis im Grunde die Wasserversorgung gekappt habe, "wir können nur noch ein Drittel unserer Fläche wässern. Dann eine miserable Ernte - das geht an die Existenz." Und der Klimawandel? "Extreme Jahre gab es immer. Aber jetzt häuft es sich. Es wird nicht einfacher."

Ähnlich wie er äußern sich viele der Landwirte. Der Tenor ist: Immer mehr Vorgaben, strengere Regelungen beim Pflanzenschutz, ständige Kurswechsel der Politik, Gängeleien der EU aus Brüssel. "Die Lage ist zum kotzen. Ich verliere die Geduld", sagt ein Brandenburger, der seinen Namen nicht nennen möchte. "Dabei ist das doch kein Beruf, das ist Berufung." Er beklagt vor allem das Agrarpaket, das "ohne Fachleute" erarbeitet worden sei. Auffallend: Egal, ob sie mit dem Traktor sechs Stunden oder zwei Tage unterwegs waren zum Großtreffen in Berlin, alle berichten von positiven Reaktionen von Passanten oder Autofahrern. "Da ging immer wieder der Daumen hoch."

"Bauern tot... kein Brot!" Bild: DW/C. Strack

Eine Lawine

Der Protest ist besonders. Denn zur Fahrt auf Berlin haben nicht Bauernverbände, von denen viele enttäuscht sind, oder Lobby-Organisationen aufgerufen. Irgendwann kam die Idee auf, daraus entstand die Initiative "Land schafft Verbindung", bald rollten Traktoren nach München oder Bonn. In den sozialen Medien wurde aus dem Schneeball Lawinen des Zorns. Die Lawinen kamen in kilometerlangen Konvois nach Berlin, Traktoren und andere landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge parken in langen Reihen in der kompletten Innenstadt. Und die Landwirte haben Kuhglocken dabei, grün bemalte Holzkreuze, zahlreiche selbstgestaltete Plakate und Transparente. "Everyday for future" steht da oder "Ihr steht im Discounter am Tresen - wir stehen am Pranger", "No farmer, No food, No future" oder "Ohne uns wärt ihr hungrig, nackt und nüchtern!". Am Wegrand stehen Kisten voller Äpfel, auf einem Unimog bollert ein Grill. Junge Burschen stehen auf den Fahrerhäusern ihrer Trecker und plaudern. 

Weite Anreise für den Protest: Johann Krapf und seine Frau aus dem bayerischen RosenheimBild: DW/C. Strack

Johann Krapf ist mit seiner Frau aus Rosenheim gekommen. Am Vorabend sind sie mit 50 Leuten im Bus losgefahren, die Kollegen im Traktor waren seit Sonntag unterwegs. "Und da sind alle dabei", sagt er, "Biobauern und Kollegen von konventioneller Landwirtschaft, kleine und groß Höfe. Alle." Er sei "stolz, dass so viele Kollegen für die gleiche Sache kämpfen". Für alle sei es an der Zeit, dass sie endlich gehört werden. Er nennt den Klimawandel und das Waldsterben, immer mehr Bürokratie. Der Verbraucher sei "nicht das Problem. Das Problem sind die immer neuen Vorgaben in immer kürzeren Abständen." Und über Jahrzehnte sei ihnen in der Ausbildung, ob in der Praxis, auf der Fachschule oder an den Hochschulen, gesagt worden, sie sollten die Produktion steigern. Jetzt plötzlich werde ihnen das Gegenteil gesagt.

Widerstand

Am Brandenburger Tor wechseln sich auf einer Bühne über Stunden Redner und Rednerinnen ab. Bauern, die von ihrer Existenznot berichten, die der Politik gleich den nächsten Sturm auf Berlin androhen. Gegen Mittag kommen zwei Bundesministerinnen aufs Podium. Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) und Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU). Als Schulze, die so etwas wie der Lieblingsfeind der Protestierer ist, für den Schutz von Grundwasser und Insekten wirbt, erntet sie Buhrufe. Klöckner erzählt, dass sie selbst aus der Landwirtschaft komme und schon früh mit dem Traktor unterwegs gewesen sei. Sie wirbt für mehr Verständnis für die Landwirte. Aber auch sie stößt nicht auf Begeisterung.

Die Angst vor dem Aus treibt die Bauern umBild: DW/V. Esipov

Mindestpreise?

Landwirtin Antje Marufke ist mit anderen aus ihrer Agrargenossenschaft im thüringischen Teichel an die Spree gekommen. "Weil wir von den Preisen unserer Produkte nicht mehr leben können. Wir kriegen den Frust", sagt sie. Handelsketten verdienten, die Bauern bluten aus.

Antje Marufke, Landwirtin aus ThüringenBild: DW/C. Strack

"Die Politik sollte Mindest-Verkaufspreise festlegen, damit die Handelsketten gezwungen werden, höhere Preise zu nehmen. Aber da gehen sie nicht ran." Stattdessen werde "das Rindfleisch aus Südamerika geholt, das macht doch keinen Sinn." Klar, das sei Globalisierung. Aber andere Länder schotteten sich auch ab und sorgten für höhere Preise. Marufke ist skeptisch: "Wenn das so weitergeht, schaffen wir das nicht mehr. Irgendwann ist Schicht im Schacht." Dabei werde der Anteil derer in der Gesellschaft, die wie die Bauern noch Werte schaffen, immer geringer. "Das ist unbeliebt und will keiner machen."

Am Abend dann rollen die Traktoren wieder hinaus aus der Stadt, es geht zurück in die Nöte des Alltags. In drei Tagen erwartet Berlin dann die nächste Großdemo. Die "Fridays for Future"-Generation will Druck machen für mehr Klimaschutz.

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