Bunt und queer: Das 20. Indische Filmfestival
19. Juli 2023Nicht nur bunt und extravagant sind die rund 60 Filme, mit denen das Indische Filmfestival Stuttgart in seinem 20. Jubiläumsjahr aufwartet. Viele Beiträge greifen gesellschaftliche Debatten auf - es geht um Umweltschutz ebenso wie um Frauenrechte, Kinderarbeit, LGBTQ-Themen oder sexuellen Missbrauch. Damit hat das Festival sich den Ruf erworben, relevante Themen der Zeit zu beleuchten.
Wurden im Gründungsjahr 2004 noch hauptsächlich Mainstream-Filme vorgeführt, also Herz-Schmerz-Bollywood-Streifen auf Hindi mit reichlich Gesangseinlagen, so hat sich das Festival inzwischen sehr viel breiter aufgestellt. Heute flimmern hier repräsentative Filme aus dem gesamten Subkontinent in verschiedenen Sprachen über die Leinwand, deshalb wurde auch der ehemalige Festival-Name "Bollywood and Beyond" gestrichen.
Mittlerweils ist das Festival auch in der indischen Filmindustrie hoch angesehen. Die begehrten Preise, die "German Stars of India", werden in sechs Kategorien vergeben, unter anderem für die besten Spiel-, Kurz- und Dokumentarfilme.
Mit Blick auf die vielfältigen Themen, die die Filmfans beim diesjährigen Festival erwarten, sagt Programm- und Festivalleiter Oliver Mahn: "Die Mischung macht's." Er hat die Veranstaltung zusammen mit den beiden Kuratorinnen des Festivals, Uma da Cunha aus Mumbai und Therese Hayes aus Palm Springs, geplant.
Liebe ist Liebe - ob schwul oder nicht
In seinem zum Teil autobiografischen Film "Pine Cone" beleuchtet der mit dem indischen Nationalpreis ausgezeichnete Filmemacher und Schwulenaktivist Onir drei Phasen im Leben eines schwulen Mannes. Da geht es um Gefühl und Pathos, vor allem aber um Freude. Die Botschaft: Ein Mensch ist ein Mensch, und Liebe ist Liebe.
"Pine Cone" ist auch einer der ersten Mainstream-Filme in Hindi, in denen ein offen schwuler Schauspieler, Vidhur Sethi aus Delhi, einen schwulen Mannes verkörpert. "Der Film zelebriert queere Menschen und queere Wünsche. "Ich möchte dem Publikum zeigen, dass es nichts Schmutziges daran gibt, queere Intimität oder queeres Begehren darzustellen", wird Onir im der Pressemitteilung des Festivals zitiert.
Indische Studios fanden die Geschichte "zu schwul"
Es sei "nicht einfach" gewesen, den Film zu finanzieren. "Die unabhängige Filmproduktion wurde mit der Hilfe einiger Freunde und einer minimalen Crew von 17 Personen gedreht. "Ich habe keine Plattform oder kein Studio gefunden, das mich unterstützt hat", so Onir. Die meisten hätten die Geschichte "zu schwul" gefunden und daher für ein breiteres Publikum ungeeignet. Schließlich sei die Homo-Ehe in Indien nicht gesetzlich anerkannt.
Um Trans- und LGBTQ-Themen kreist auch der Marathi-sprachige Dokumentarfilm "Parlingi" von Suraj Uddhav Madhale. Der Film begleitet eine Trans-Person, die versucht, ihren Lebensunterhalt als Wachmann zu bestreiten. Die Alternative wäre Sexarbeit oder Betteln.
Interessant auch dieser Festivalbeitrag: Der tamilische Kurzfilm "Kannagi" von Ezhil Vinod Selvan erzählt die Geschichte zweier bester Freunde, die in der Pubertät stecken und versuchen, ihr eigenes Geschlecht und die Menschen um sie herum zu verstehen.
Von bedrohten Drachen und Kätzchen, die Amor spielen
In manchen der diesjährigen Festivalfilme spielen Tiere eine zentrale Rolle. Der Hindi-Film "All that Breathes" von Shaunak Sen etwa erzählt die Geschichte der Brüder Nadeem und Saud, die versuchen, die bedrohten Schwarzmilane in Neu-Delhi zu schützen. Der Allgäuer Kameramann Ben Bernhard hat die Auswirkungen der zunehmenden Umweltverschmutzung und der sozialen Spannungen in Indiens Hauptstadt meisterhaft eingefangen.
"All That Breathes" hat bereits den Preis für den besten Dokumentarfilm beim Sundance Film Festival 2022 und beim letztjährigen Filmfestival in Cannes gewonnen. 2023 war er in dieser Kategorie auch für einen Oscar nominiert.
Ein weiterer Anwärter auf den Spielfilmpreis des Indischen Filmfestivals ist "Max, Min und Meowzaki", eine herzerwärmende Geschichte über Max, der von seiner Freundin Min verlassen wird. Sie lässt ihre Katze Meowzaki zurück, und Max sorgt für das Tier, obwohl er eine Fellallergie hat. Der Film punktet mit überraschenden Wendungen, viel Humor und sogar Romantik. Der ungewöhnliche Name der Katze geht übrigens auf Hayao Miyazaki, den legendären japanischen Filmemacher und Anime-Künstler, zurück.
Die Konflikte einer sich verändernden Gesellschaft widerspiegeln
Shikha Makans Film "Being Equal" stellt drei populäre indische Kricketspielerinnen vor und wirft die Frage auf, warum weibliche Kricketspieler in Indien nicht genauso gefeiert werden wie ihre männlichen Kollegen.
Shubham Yogis "Kacchey Limbu" (Unreife Zitronen) befasst sich mit der Geschwisterrivalität zwischen einem Cricket-begeisterten Jungen und seiner Schwester. Das Thema hier: die unterschiedlichen Erwartungen der Eltern an ihre Kinder.
Der satirische Film "Behind Veils" von Praveen Morchhale legt offen, wie Bücher für das vorherrschende System in Indien als gefährlich wahrgenommen werden können. Als Ana, ein in den USA aufgewachsenes indisches Mädchen, versucht, in ihrem Heimatort in Zentralindien eine Bibliothek zu gründen, löst sie einen Sturm der Entrüstung aus.
"Hello Guyzz!", ein Dokumentarfilm von Samiksha Mathur, erforscht das Leben einer Mutter, Ehefrau und Tochter, die auch TikTok- und Social-Media-Influencerin ist. Der Film spielt in einer Kleinstadt in Westbengalen und erkundet, wie sich das Leben als Influencerin auf das Leben der Protagonistin auswirkt - nämlich kaum: Klassen-, Kasten- und Geschlechterunterschiede bestehen weiter.
Auch Bollywood-Fans dürften in Stuttgart auf ihre Kosten kommen: Der Eröffnungsfilm "Gulmohar" des deutschen "Star of India"-Preisträgers Rahul V. Chittella ist ein bittersüßes und tiefgründiges Familiendrama mit Bollywood-Größen wie Manoj Bajpai und der 70er-Jahre-Heldin Sharmila Tagore in den Hauptrollen.
Beim Stichwort Bollywood darf auch die Erwähnung des 57-jährigen Superstars Shah Rukh Khan nicht fehlen, dessen Kassenrekord-Hit "Pathaan" auf dem Festival seine deutschsprachige Premiere erlebt. Das Stuttgarter Filmfestival dauert vom 19. bis 23. Juli.
Aus dem Englischen adaptiert von Stefan Dege.