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Gesellschaft

Buntes Land mit braunen Flecken

29. September 2016

Anfang dieser Woche erschütterten zwei mutmaßlich fremdenfeindliche Bombenanschläge die sächsische Landeshauptstadt Dresden. Schon wieder Sachsen, sagen viele. Über die Stimmungslage in Dresden berichtet Linda Vierecke.

Deutschland Dresden für Willkommenskultur
Dresden kämpft um seinen Ruf - und präsentiert sich weltoffenBild: Imago/R. Weisflog

Der zehnjährige Ibrahim läuft aufgeregt aus der Moschee und beobachtet neugierig, was vor seiner Haustür passiert. Seit Montagnacht ein Sprengsatz vor der Moschee detonierte, in der er selbst wohnt, ist es nicht ruhig geworden. Nachbarn schauen vorbei, um ihre Unterstützung anzubieten. Ein Streifenwagen der Polizei steht zum Schutz an der gegenüberliegenden Ecke. Und immer wieder filmen Kamerateams das Haus, die rußschwarze Tür, die Kerzen davor. Mahmut Bacaru schickt Ibrahim wieder ins Haus. Bacaru ist im Vorstand der Fatih Camii Moschee der Ditib-Gemeinde im Dresdener Stadtteil Cotta.

Auf die Frage, ob er sich in Dresden noch sicher fühlt, sagt er: "Seit 20 Jahren lebe ich hier und habe so etwas noch nicht erlebt. Und ich will es auch nicht noch mal erleben. Dresden ist so eine schöne Stadt - warum wollen manche Leute die Stadt schlecht machen?", fragt er.

Mahmut Bacaru lebt gern in Dresden - eigentlichBild: DW/L. Vierecke

Rechtsextremismus und Rassismus in Sachsen

Noch immer sind die Hintergründe der Tat nicht klar. Doch die Polizei vermutet einen fremdenfeindlichen Hintergrund. Im "Bericht zur Deutschen Einheit" hat die Bundesregierung erst vor Kurzem eine "Häufung rechtsextremistischer Gewalttaten in den ostdeutschen Bundesländern" festgestellt. Die meisten davon im Bundesland Sachsen, wo der Ausländeranteil lediglich bei drei Prozent liegt.

Nirgendwo in Deutschland gibt es im Vergleich zur Einwohnerzahl so viele organisierte Neonazis wie hier.

Markus Kemper fährt seit 15 Jahren an die Brennpunkte für Fremdenhass in Sachsen. Das mobile Beratungsteam des Kulturbüros Sachsen versucht beispielsweise Vereinen zu helfen, die Neonazis in ihren Reihen haben und nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. "In den letzten zwei Jahren ist die Zahl der rechtsextremistischen Übergriffe in Sachsen um 90 Prozent gestiegen - ganz sicher hängt das mit der aufgeheizten Stimmungslage zusammen und den Demonstrationen der Pegida-Bewegung", sagt er.

Die islam- und ausländerfeindliche Bewegung bringt seit zwei Jahren jeden Montag mehrere Tausend Dresdner auf die Straße, um gegen die von ihr behauptete "Islamisierung des Abendlandes" zu demonstrieren. "Pegida wirkt dabei wie ein Katalysator für Neonazis und andere Rassisten", sagt Kemper.

Woche für Woche demonstrieren montags Tausende Pegida-Anhänger in DresdenBild: Reuters/H. Hanschke

Twittern gegen Pegida

Auch an diesem Montag haben sich rund 2500 Menschen versammelt. Ludwig Rehnolt schaut genau auf die Transparente der Pegida-Anhänger und tippt schnell etwas in sein Handy. Fast jeden Montag ist er hier - als Beobachter. Er engagiert sich bei "Straßengezwitscher", einem Twitter-Projekt, das von Aktionen und Demonstrationen rund um das Thema Flüchtlinge und Asyl berichtet. "Wir dokumentieren genau, was hier gesagt wird und was passiert, sodass keiner sich aus der Verantwortung ziehen kann." 22 Tweets sendet der 25-jährige Chemieabsolvent an diesem Abend - alle werden von einem Kollegen noch mal auf Inhalt und Rechtschreibung gecheckt, bevor sie online gehen.

"Pegida sorgt für eine Verrohung des Klimas - wir wollen da etwas dagegen setzen. Klare Grenze ziehen, was man noch sagen darf und was wirklich reines rechtes und menschenfeindliches Gedankengut ist."

Unter den Teilnehmern sind auch an diesem Montag ein paar junge Männer aus der sächsischen Neonazi-Szene. Ludwig ist bei ihnen bereits bekannt und wenig beliebt. Ein junger Mann kommt bei der Kundgebung auf ihn zu und droht ihm indirekt: "Wir kennen dich schon - wir wissen, was du hier machst. Ich wollt dir das bloß sagen, damit es keinen Ärger gibt." Aber Ludwig und seine Kollegen von Straßengezwitscher twittern weiter. Jede Woche.

Zivilcourage gegen Rechts

Es gibt jede Menge engagierte Dresdner, die seit vielen Jahren für ein weltoffenes und buntes Dresden eintreten. Mit dem Beginnen der Pegida-Demonstrationen sind es noch mehr geworden. Eine Initiative ist das Montagscafé des Staatsschaupiels Dresden. Flüchtlinge finden hier Rat und Kontakte. Und natürlich geht es auch darum, die Themen des Alltags auf die Bühne zu bringen: Romeo und Julia zum Beispiel, gespielt von deutschen und arabischen Jugendlichen: Dabei kommen die Montagues aus Aleppo, die Capulets aus Dresden.

"Natürlich ist es wichtig, dass wir uns da als Theater positionieren und sagen: Hey, das sind Werte, die wir von der Bühne runter behaupten und die wir natürlich auch gemeinsam hier leben wollen", sagt David Lenard, Projektleiter des Montagscafés. Und hofft, dass noch viel mehr Dresdner sich daran beteiligen.