Burschenschaften: Von Neonazis unterwandert?
4. Juli 2012Es geht um einen schwerwiegenden Vorwurf: In zahlreiche Burschenschaften, behauptet der beklagte Christian Joachim Becker, seien in den vergangenen Jahrzehnten Rechtsextreme eingesickert. Einige der traditionsreichen studentischen Verbindungen hätten sie schon komplett unterwandert. Becker hat deshalb die Initiative Burschenschafter gegen Neonazis gegründet, die auf ihrem Online-Portal QuoVadisBuxe alle Spielarten rechtsextremer Auswüchse anprangert.
Auswüchse zum Beispiel wie die von Norbert Weidner: Der hat den von den Nazis hingerichteten Theologen und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer als "Landesverräter" geschmäht und dessen Verurteilung als "juristisch gerechtfertigt" bezeichnet. Weidner ist derzeit Chefredakteur der Burschenschaftlichen Blätter und damit einer der einflussreichsten und bestbezahlten Funktionäre im größten Dachverband, der Deutschen Burschenschaft.
Unterwanderung durch Rechtsextreme
Weidner hat eine einschlägige Vergangenheit: Früher war er in der rechtsextremen Wiking-Jugend aktiv, stieg dann zum Funktionär der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei auf. Nachdem diese nationalsozialistische Partei 1995 verboten worden war, tauchte Weidner ab - um kurz darauf in der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn wieder aufzutauchen. In der Burschenschaft also, der auch Becker angehört.
Sie kennen sich somit. Aber Becker will nicht, dass der Streit auf persönliche Animositäten reduziert wird. Im Gegenteil, für ihn geht das Rechtsextremismus-Problem über die Burschenschaften hinaus: "Wir möchten, dass das Thema akademischer Rechtsextremismus diskutiert wird, dass Bundespolitik und Behörden sich damit beschäftigen." Die Lage sei ernst, sagt er. "Akademische Neonazis schreiben und geben die Parolen vor - andere werfen dann die Brandsätze."
Tugenden, Traditionen und Deutschtümelei
Der Vorwurf, Burschenschaften seien ein Sammelbecken für Rechtsextreme, ist nicht neu. Die Wurzeln dieser studentischen Verbindungen reichen bis ins 19. Jahrhundert. Damals gründeten sich die ersten Studentenbünde, die zunächst noch stark landsmannschaftlich geprägt waren, wovon noch lateinische Namen wie Alemannia, Frankonia oder Rhenania zeugen. Burschenschaften propagierten damals Einheit, Freiheit und Demokratie und schwenkten die späteren Nationalfarben Schwarz, Rot und Gold. Nach der deutschen Reichsgründung 1871 driftete ein Teil von ihnen ins konservative und reaktionäre Lager ab.
Bis heute pflegen Burschenschaften ein verstaubtes und deutschtümelndes Auftreten in der Öffentlichkeit: Antiquierte Mützen gehören ebenso zur Kluft wie Bänder in den jeweiligen Verbandsfarben. Große Fahnen zieren die Fassaden der zumeist großzügig ausgestatteten und zentral gelegenen Burschenschaftshäuser. Mitfinanziert werden diese Unterkünfte von den "alten Herren", ehemaligen Studenten also, die ihrer Verbindung bis ans Lebensende treu bleiben. So können die Zimmer preisgünstig an junge Studenten vermietet werden - von denen aber im Gegenzug nicht nur ebenfalls lebenslange Treue verlangt wird, sondern auch, die Traditionen hochzuhalten. Einige wenige Burschenschaften praktizieren bis heute noch die sogenannte Mensur, ein Fechtritual, bei dem sich die Kontrahenten Schnittwunden zufügen.
Neonazis springen in die Bresche
Kein Wunder, dass viele Burschenschaften unter Nachwuchsproblemen leiden - die, wie Kritiker behaupten, die Neonazis genutzt haben, um sich einzunisten. 1500 der 10.000 aktiven Burschenschafter, schätzt Becker, seien Rechtsextreme. Und Weidner sei einer der "Köpfe der rechtsextremen Bewegung", die sich um die NPD und einen Teil der Burschenschaften ranke.
Diese Behauptung weist Weidner entschieden zurück - und klagt deswegen vor dem Bonner Amtsgericht. "Es gibt diese Strukturen nicht", verlautbart sein Anwalt Björn Clemens. "Dementsprechend gibt es auch keine führende Funktion meines Mandanten innerhalb solcher Strukturen. Das sind Hirngespinste." Auf 250.000 Euro will er Becker verklagen, sollte er diesen oder ähnliche Vorwürfe wiederholen. Der Frage, ob sein Mandant als "Rechtsextremer" bezeichnet werden könne, weicht Clemens zunächst aus: "Da fragen Sie ihn mal selber." Dann fügt der Anwalt - der einst die Nummer zwei bei den rechtsgerichteten Republikanern war - hinzu: "Ich glaube nicht."
Für Becker und seine Mitstreiter besteht kein Zweifel, wes Geistes Kind Weidner ist. Deshalb haben sie schon im Vorfeld des diesjährigen Burschentreffens in Eisenach versucht, den unliebsamen Dachverbandsfunktionär aus dem Vorstand zu kicken - vergebens. Weidner wurde im Amt bestätigt. Daraufhin verließen zahlreiche Burschenschaften die Veranstaltung, einige kündigten auch gleich ihre Mitgliedschaft. Das Burschentreffen endete vorzeitig im Eklat.
Zukunft der Burschenschaften ungewiss
Beckers Initiative Burschenschafter gegen Neonazis fordert, den Dachverband "wegen Duldung, Förderung und Finanzierung von Rechtsextremen" aufzulösen. Im Moment halten es Beobachter aber für wahrscheinlicher, dass die Deutsche Burschenschaft letztlich auf diejenigen Verbindungen zusammenschrumpfen wird, die bereits fest in der Hand Rechtsextremer sind.
Kommt QuoVadisBuxe nicht zu spät? "Der Kampf ist auf keinen Fall verloren", betont Becker. "Die Rechtsextremen haben zwar im Dachverband gewonnen, aber für uns Burschenschafter ist der Dachverband nicht entscheidend." Ist hier also bereits etwas im Busch? "Es wird momentan gerade ein neuer Verband gegründet", sagt Becker. "Mehr darf ich leider nicht sagen." Nur so viel: "Es wird nicht mehr lange dauern."