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PolitikEuropa

Bush über Merkel: "Eine Frau mit Prinzipien"

14. Juli 2021

Eigentlich gibt Ex-US-Präsident George W. Bush keine Interviews mehr. Für Angela Merkel macht er eine Ausnahme - kurz vor ihrem Abschiedsbesuch in Washington gibt er sehr persönliche Einblicke in seine Beziehung zu ihr.

Angela Merkel zu Besuch auf George W. Bushs Ranch in Texas in 2007
Ex-US-Präsident George W. Bush: "Ich mach das gerne für meine liebe Angela"Bild: Matthew Cavanaugh/dpa/picture-alliance

Das Bush-Anwesen liegt direkt am Atlantik, in der Nähe von Kennebunkport, knapp zwei Auto-Stunden nördlich von Boston. Während unser Kamerateam mit Stellwänden aus schwarzen Stoffen das lichtdurchflutete Wohnzimmer für das Interview vorbereitet, steht George W. Bush plötzlich im Raum, eine knappe Stunde vor dem verabredeten Termin. In Shorts und einem hellgrünen T-Shirt, das von Farbtupfern übersät ist, einem kalten Zigarrenstummel im Mundwinkel und einem iPad in der Hand. "Ich mach das gerne für meine liebe Angela", sagt er.  

Und dann erzählt er ausgesprochen einnehmend und herzlich, erst über Merkel, dann über seine Malerei; er zeigt seine Bilder auf dem iPad, erzählt, dass die Arbeit an der Staffelei seinen Tag strukturiert und der Pinsel für ihn zum politischen Ausdrucksmittel wurde, seit er das Weiße Haus verlassen hat.  

Während er sich für das TV-Interview umzieht, denke ich, dass das Eis schnell gebrochen ist. 

Bush: "Merkel hat keine Angst zu führen"

26:34

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DW-Dokumentation über Angela Merkel 

George W. Bush hält sich fern von der politischen Bühne. Wenn der 43. Präsident der USA Interviews gibt, dann eigentlich nur, um seine Kunst zu besprechen. Aber für unsere Dokumentation über Angela Merkel macht er eine Ausnahme, empfängt uns zu Hause und nimmt sich viel Zeit.  

"Merkel brachte Klasse und Würde in ihr wichtiges Amt. Sie traf sehr harte Entscheidungen, und zwar mit dem, was für Deutschland am besten ist, und blieb dabei immer ihren Prinzipien treu", sagt er. "Sie ist eine mitfühlende Führungsfigur, eine Frau, die keine Angst hat, zu führen."   

Ex-US-Präsident George W. Bush im Gespräch mit DW-Washington-Korrespondentin Ines PohlBild: DW

Merkel ist in den USA bei vielen beliebt 

Wie für viele Amerikaner ist Angela Merkel auch für ihn eine Art personifizierter "American Dream". Eine Frau, die in kommunistischer Unfreiheit aufwuchs und es bis an die Spitze der freien Welt geschafft hatte. Und zwar nicht irgendwo, sondern in Deutschland, dem Land, das nach amerikanischem Selbstverständnis gleich zweimal von den USA aus einer Diktatur befreit wurde, erst als Ganzes vom Nazi-Regime, dann der Ostteil aus den Krallen des Kreml.  

Besonders in den vier Jahren der Trump-Präsidentschaft galt Merkel im liberalen Amerika als "the leader of the free world", eine Position, die bis dato nur dem eigenen US-Präsidenten zustand. In den Irrungen und Wirrungen innerhalb der Europäischen Union sowie in vielen europäischen Einzelstaaten galt sie als Fels in der Brandung, als verlässliche Konstante in einer Welt, die sich immer schneller zu drehen scheint und in der die Probleme größer und mögliche Lösungen immer komplizierter werden. 

George W. Bush und Angela Merkel im Gespräch mit Wladimir Putin auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm, 2007Bild: Toshifumi Kitamura/AFP/Getty Images

"Merkel hat in einem harten Umfeld länger als acht Jahre überlebt. Das ist ganz schön erstaunlich, wenn man darüber nachdenkt", sagt Bush - auch in Anspielung darauf, dass die US-Amerikaner nach seiner achtjährigen Amtszeit genug von ihm hatten. "Und es zeigt das Vertrauen der deutschen Wähler in sie", so der Ex-Präsident weiter. 

Als die frisch gewählte Kanzlerin George W. Bush 2006 zum ersten Mal die Hand schüttelte, war das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA leidlich abgekühlt. Merkels Vorgänger Gerhard Schröder hatte sich damals gegen den Irak-Krieg gestellt. Dass sich das Verhältnis rasch verbesserte, hatte auch viel damit zu tun, dass die beiden sich persönlich von Anfang an sehr gut verstanden, erzählt George W. Bush. 

Verständnis für Differenzen in Russlandpolitik 

Wie der aktuelle US-Präsident Joe Biden kritisiert auch er den Bau von Nord Stream 2, da die Pipeline die Abhängigkeit Deutschlands von Russland vergrößere, aber auch die Situation für die Ukraine komplizierter mache. Dass Angela Merkel aber eine andere Putin- und Russland-Politik verfolgt als die USA, das kann Bush verstehen. Jedes Land müsse seinen eigenen Weg finden. Auch auf die Einwanderungspolitik von Angela Merkel angesprochen zeigt er Verständnis. "Meine erste Reaktion war, dass sie eine Frau mit einem großen Herzen ist. Und ich bin sicher, dass sie von menschlichem Mitgefühl motiviert war. Und, wissen Sie, es war eindeutig eine harte politische Entscheidung für sie, aber sie hat Führungsverantwortung übernommen."  

Mit Merkels Vorgänger Gerhard Schröder verstand sich George W. Bush nicht so gut - Schröder war gegen den Irak-KriegBild: picture-alliance/dpa/dpa_pool/A. Altwein

Selbst unzufrieden mit der harten Einwanderungspolitik der Trump-Regierung, hatte er zuletzt einen Bildband mit Porträts von Einwanderern herausgebracht, seine Art, sich in den politischen Diskurs einzubringen. 

Ein Vorbild für Frauen 

Bush, Vater von zwei Töchtern, sieht in der scheidenden Bundeskanzlerin auch ein Vorbild besonders für Mädchen: "Es gibt viele Mädchen, die Angela Merkel zuschauen und sagen: Auch ich kann einmal eine Position mit Verantwortung und Macht haben."  

Jetzt kommt Angela Merkel zum letzten Mal als Kanzlerin nach Washington. Das erste Treffen mit dem neuen Präsidenten Biden ist somit Antritts- und Abschiedsbesuch zugleich. Im politischen Amerika macht sich langsam das Bewusstsein breit, dass eine Ära zu Ende geht, die größer ist als Angela Merkel.Das Selbstverständnis des transatlantischen Verhältnisses muss neu definiert werden. Nicht nur, weil durch Länder wie China oder Indien andere Großmächte eine immer gewichtigere Rolle auf der Weltbühne spielen. 

Angela Merkel war die letzte deutsche Bundeskanzlerin, die es mit einem Amerika zu tun hatte, für das ein enges Verhältnis zu Deutschland und Europa eine Selbstverständlichkeit war. 

Angela Merkel und George W. Bush beim gemeinsamen Grillen in Trinwillershagen - Juli 2006Bild: picture-alliance/dpa/BPA/G. Bergmann

Die Vergangenheit wird als Argument nicht mehr reichen 

Als sie vor 16 Jahren antrat, gab es in fast jeder US-amerikanischen Familie noch eine sehr lebendige persönliche Beziehung zu Deutschland. Noch gab es Veteranen, hochkarätige Politiker inklusive, die selbst im Zweiten Weltkrieg gegen Nazi-Deutschland gekämpft hatten, oder in den vielen Jahren bis zum Mauerfall in Westdeutschland stationiert waren. Es gehört zu den erstaunlichen Wendungen der Geschichte, dass aus den hunderttausenden "Besatzern”, die als junge Soldaten in Deutschland lebten, echte Botschafter der deutsch-amerikanischen Freundschaft geworden sind.  

Wer ihr auch immer im Amt nachfolgt, hat die große Aufgabe, die jüngere Generation, für die die Schrecken des Zweiten Weltkrieges und des Eisernen Vorhanges sehr weit weg sind, für eine enge transatlantische Beziehung zu begeistern. Die Vergangenheit wird dabei als Argument nicht mehr reichen. 

"Hat Angela Merkel gute Arbeit geleistet?", will ich zum Abschluss wissen. "Ich denke das, ja", nickt George W. Bush. "Aber weder sie noch ich sollten uns über die kurzfristige Geschichtsschreibung sorgen. Es wird erst lange nach unserem Tod klar werden, wo man uns verortet."

Das vollständige Interview mit George W. Bush findet sich auf dem DW-Documentary YouTube-Kanal

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