Bush blickt ohne Reue zurück
10. November 2010Um die öffentliche Meinung, das hat George W. Bush oft genug betont, schert er sich nicht. Dennoch wirbt er in seinem Buch "Decision Points " (Entscheidungsmomente) um Verständnis. Denn schließlich hofft auch er, dass die Historiker seine Präsidentschaft irgendwann einmal als "erfolgreich" einordnen werden. Und so legt der ehemalige US-Präsident auf knapp 500 Seiten dar, warum er an den Scheidewegen seines Lebens so und nicht anders handeln konnte.
Dabei gibt er vor allem das zu, was längst erwiesen ist: Dass Saddam Hussein keine Massenvernichtungswaffen hatte, dass der schnelle Abzug der Truppen aus dem Irak die Realität im Land missachtete und dass die Hilfe für die Opfer des Hurrikans Katrina viel zu spät kam. Doch allzu oft liest es sich so, als liege die Schuld dann doch bei anderen. Beispiel: Hurrikan Katrina. Er habe, so schreibt Bush, nicht von sich aus handeln können und die Gouverneurin von Louisiana, Kathleen Blanco, gedrängt, die Hilfe des Bundes anzunehmen. Doch diese habe gezögert. So mussten die von den Wassermassen eingeschlossenen Menschen tagelang auf Hilfe warten. Fast 1500 Menschen starben.
"Waterboarding hat Menschenleben gerettet"
Auch beim Waterboarding erklärt Bush: Er habe zugestimmt, dass die Technik angewandt wird, "weil die Anwälte sagten, es sei keine Folter". Und man müsse seinen Beratern schließlich vertrauen. Im Übrigen habe das simulierte Ertrinken "Menschenleben gerettet". Sein Nachfolger Barack Obama hat die Technik umgehend untersagt.
Als Reaktion auf Bushs Aussage hat die Gefangenenhilfsorganisation Amnesty International gefordert, die Staatsanwaltschaft solle Untersuchungen gegen den Ex-Präsidenten einleiten. Anfang des Jahres hatte das US-Justizministerium allerdings erklärt, dass die von Bush zitierten Juristen wegen ihrer Gutachten keine Strafe fürchten müssen.
Dabei berichtet Bush, dass er sich durchaus über seinen Beraterstab hinwegsetzen konnte: Am 11. September 2001 habe er entgegen deren Rat darauf bestanden, nach Washington zurückzukehren. Er wollte sich nicht in "irgendeinem Bunker" verstecken, sondern seine Ansprache an die Nation aus dem Weißen Haus halten – obwohl ein weiteres Flugzeugattentat nicht ausgeschlossen werden konnte.
Enttäuscht von Bundeskanzler Schröder
Interessant – und erschreckend – ist in diesem Zusammenhang ein anderes Detail: Das Kommunikationssystem der Präsidentenmaschine Air Force One war so veraltet, dass es schwierig gewesen sei, schreibt Bush, auf dem Laufenden zu bleiben. Satellitenfernsehen gab es nicht an Bord, alle paar Minuten verlor der Fernseher den Empfang zu den lokalen Stationen, "der Bildschirm zeigte Schnee". Die Telefonverbindungen zu Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice und Vizepräsident Dick Cheney brachen immer wieder ab. Der Präsident bekam nur bruchstückhaft mit, wie die Türme des World Trade Center einstürzten und Tausende den Tod fanden. An diesem Tag, erzählt Bush, habe er gedacht, das erste Flugzeug hätte ein Unfall sein können. Das zweite sei definitiv ein Angriff gewesen. "Das dritte war eine Kriegserklärung." Er sei wütend geworden: "Wir finden heraus, wer dafür verantwortlich ist und treten sie in den Arsch."
Während ihn im Krieg gegen die Taliban und El Kaida in Afghanistan die Verbündeten noch unterstützten, sah es mit der "Koalition der Willigen" für den Irak-Krieg schon schwieriger aus. Und hier nutzt Bush sein Buch, um mit den Männern abzurechnen, die ihn damals offensichtlich bitter enttäuscht haben: Der damalige russische Präsident Vladimir Putin, der französische Staatspräsident Jacques Chirac, und, allen voran, Bundeskanzler Gerhard Schröder. Dieser sei, findet Bush, "einer der Staatschefs, der am schwierigsten einzuschätzen" gewesen sei. Schröders Unterstützung für Afghanistan habe er zwar zu schätzen gewusst, aber später habe Schröder sein Vertrauen missbraucht.
Schröder widerspricht
Im Januar 2002 habe er mit Schröder bei dessen Besuch im Weißen Haus über eine militärische Aktion gegen den Irak gesprochen. Der Bundeskanzler habe ihm zugesagt: "Was für Afghanistan gilt, gilt auch für Irak. Nationen, die den Terrorismus unterstützen, müssen mit Konsequenzen rechnen. Wenn Sie schnell und entschlossen vorgehen, bin ich an Ihrer Seite." Bush schreibt, er habe das als Unterstützung aufgefasst. Aber als in Deutschland im Herbst des gleichen Jahres die Bundestagswahlen anstanden, habe Schröder mit seiner Opposition gegen den Irak-Krieg punkten und von der Verabredung nichts mehr wissen wollen.
Der Ex-Bundeskanzler reagierte prompt auf die Vorwürfe: "Bush sagt nicht die Wahrheit", ließ er in Berlin mitteilen. Seine Unterstützung habe sich nur auf den Fall bezogen, dass der Irak tatsächlich Massenvernichtungswaffen besitzt.
Doch noch etwas anderes hat Bush nach eigenen Aussagen tief getroffen: Als ein Mitglied der Bundesregierung – gemeint ist die damalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin - ihn mit Hitler verglichen habe. "Ich war schockiert und wütend", schreibt er, denn es gebe nichts Beleidigenderes als dieser Vergleich aus dem Mund einer deutschen Offiziellen. Däubler-Gmelin hat bestritten, diese Aussage gemacht zu haben. Spätestens jetzt ist also klar: Zwischen Schröder und Bush herrschte damals Eiszeit.
Keine Entschuldigungen
Nicht auf alle Deutschen ist der ehemalige US-Präsident schlecht zu sprechen. Bundeskanzlerin Angela Merkel sei schnell eine seiner "engsten Freunde auf der Weltbühne" geworden. Sie sei "zuverlässig, einnehmend und herzlich", schreibt er. Die Geschichten vor ihrem Leben in der DDR hätten ihn und seine Frau Laura besonders fasziniert, schreibt Bush.
Das einzige Mal, dass er in seinem Buch den Begriff "Klimawandel" erwähnt, ist im Zusammenhang mit der Bundeskanzlerin. Als sie ihm 2007 erklärte habe, dass das das Thema des G8-Gipfels in Heiligendamm sei, habe er ihr geantwortet: "Wenn die Staatschefs hier 'rumsitzen und sich um etwas kümmern, was in 50 Jahren ein Problem werden könnte, sollten sie lieber etwas für die Menschen tun, die jetzt an AIDS und Malaria sterben."
So bringt das Buch wenig neue Erkenntnisse, das ist bisher das einhellige Urteil der Experten. Dafür bestätigt der Ex-Präsident in seinem Buch so ziemlich alle gängigen Vorurteile gegen ihn. Guantanamo ist für ihn ein "Modellgefängnis", auch wenn er das Zitat einem belgischen Offiziellen in den Mund legt, der das Gefangenenlager fünf Mal besucht habe. Und selbst da, wo er Fehler zugibt, lehnt Bush es ab, sich zu entschuldigen. Schließlich, so lautet sein Argument ein ums andere Mal, habe er die Amerikaner schützen müssen. Und das sei ihm gelungen. Er könne jeden Tag ruhigen Gewissens in den Spiegel sehen und sich sagen, er habe seine Prinzipien nicht aufgegeben.
Eines allerdings muss man dem Ex-Präsidenten lassen: Er hat Wort gehalten, sich nicht zu seinem Nachfolger zu äußern. Kein negatives Wort über Präsident Barack Obama ist zu finden.
In den USA ist Bush seit Dienstag (09.11.2010) auf Werbetour für sein Buch, er gibt Interviews im Fernsehen, und zwar vorwiegend dort, wo er wenig harte Fragen und viel Mitgefühl erwarten darf. Am Dienstag durfte ihm Talkshow-Königin Oprah Winfrey die Hand tätscheln, als er gerührt von seinem Vater, George Bush senior, dem 41. Präsidenten der USA, erzählte. Dass der Junior mit einem der schlechtesten Umfragewerte überhaupt aus dem Amt schied und ihn auch heute noch die Mehrzahl der Amerikaner für die aktuelle Wirtschaftskrise verantwortlich macht, wird dabei stets verschwiegen.
Autorin: Christina Bergmann, Washington D. C.
Redaktion: Martin Schrader