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Emotionaler Abend in der Elbphilharmonie

Rick Fulker suc
30. Oktober 2018

Wenn ein türkischer Journalist im Exil beim Auftritt eines Orchesters mit syrischen Flüchtlingen eine Rede in Hamburgs Vorzeigekonzerthaus hält, klingt das nach schwerer Kost. Doch das Gegenteil war der Fall.

Eine Sängerin und das Syrian Expat Philharmonic Orchestra
Bild: Körber-Stiftung/Claudia Höhne

Can Dündar und das Syrian Expat Philharmonic Orchestra waren die umjubelten Protagonisten der Veranstaltung unter der Schirmherrschaft der Körber Stiftung, die am Montag (29.10.2018) in der Hamburger Elbphilharmonie unter dem schlichten Titel "Speech on Exile & Concert" (Rede über das Exil und Konzert) stattfand.

Der Abend begann mit einer flammenden und bewegenden Rede Dündars, in der der türkische Journalist und ehemalige Chefredakteur der Tageszeitung "Cumhuriyet" berichtete, wie sich seine Heimat innerhalb von nur fünf Jahren in einen autokratischen Staat verwandelt habe. Und er machte klar, was Exil nach außen, aber vor allem auch nach innen bedeutet: "Dein Exil beginnt dann, wenn du dich nicht dem Mainstream beugst."

Can Dündar: "Exil heißt, alles zu verlieren, das Bett, das Bücherregal, die Katze, den Hund"Bild: Körber-Stiftung/Claudia Höhne

Dündars Rede war der Auftakt zum ersten "Exile Media Forum" der Körber-Stiftung, das deutsche Medienschaffende und im Exil lebende Journalisten zusammenführt. Und sie fiel auf den Tag genau auf das Gründungsdatum der türkischen Republik vor 95 Jahren. Es war auch der Tag, an dem am Abend zuvor die flüchtlingsfeindliche Partei AfD in das letzte der 16 deutschen Landeskabinette einzog. Da er miterlebt habe, wie seine Heimat unter ähnlichen Vorzeichen in den Totalitarismus abgeglitten sei, warnte Dündar Deutschland, das ihn aufgenommen hat, eindringlich: "Sollte die AfD morgen die Regierung in Deutschland stellen, werden die Migranten wahrscheinlich zurückgeschickt, aber seien Sie sicher: Die meisten von Ihnen werden sich wie Migranten im eigenen Land fühlen, so wie wir in unserem Land, der Türkei."

Traurig und erhebend zugleich

Es ging an diesem Abend aber nicht nur um düstere Kapitel der Politik, sondern vor allem um Gefühle. Dirigent Ghassan Alaboud gab den Takt bei der ergreifenden und melancholischen Komposition "The Borrowed Dress" aus der Feder von Suad Bushnaq an. Auch "My Beautiful Homeland" mit Solo-Geiger Jehad Jazbeh ging ans Herz: ein Gefühlsausbruch freudiger Klänge, in die sich doch immer wieder ein trauriger Unterton schlich, eine Reminiszenz an jüdische Klezmer Musik. Das Thema des Abends,"Exil", wurde auch in Dia Succaris Werk "Passion" von 1975 heraufbeschworen, als würdevoller und doch zärtlicher Tanz und dann wieder als scheinbar endloser Marsch.

"Syriac Fantasy II"

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Die eindrucksvolle Musik des abgespeckten Ensembles, das nur mit Streichern antrat, wurde von der hervorragenden Akustik im Kleinen Saal der Elbphilarmonie noch unterstrichen. Die fensterlosen Wände mit einer speziellen blasenartigen Furnierung warfen den Klang vollendet zurück.

"Wir sind wie Gold"

So mancher mag zunächst Hemmungen gehabt haben, dieses Kunstevent unter dem Motto "Exil" zu besuchen - denkt man bei Syrien doch zunächst an unvorstellbare Kriegsgräuel, das Leid von Millionen Flüchtlingen und Hunderttausende von Asylsuchenden in Europa. Doch wenn man einmal diese geheimnisvollen und beschwörenden Klänge gehört hat, möchte man wissen: Welche Geschichten verbergen sich hinter dieser Musik?

Violinistin Rasha MasalkhiBild: SEPO/P. Adamik

"Wir sind wie Gold", sagte der Orchestergründer und künstlerische Leiter Raed Jazbeh gegenüber der DW. "In Syrien, einem Land mit 32 Millionen Einwohnern, gibt es ungefähr 100 klassische Musiker. Im Syrian Expat Philharmonic Orchestra sind wir auch rund 100 klassische Musiker. Insofern sind wir eine wichtige Ressource."

Wenn der Krieg zuende ginge und einige Orchestermitglieder in ihre Heimat zurückkehren würden, wäre das nicht das Ende seiner Arbeit, so Jazbeh, sondern eher ein Neuanfang. Eine neue Phase des Netzwerkens, des Aufbaus und des gegenseitigen fruchtbaren Ideenaustausches.

Musik, die unter die Haut geht

Der Klang ist facettenreich: Zwischentöne, feinste Pizzicati und seufzende Dissonanzen charakterisieren das lange und traurig anmutende Werk "Syriac Fantasy II", 2018 von Wassim Ibrahim komponiert. Doch den größten Applaus im ausverkauften Haus bekommt Mahmer Mahmoud. Als er ein Solo auf der arabischen Laute, der Oud, spielt, ist es ganz still im Saal, bis ein medizinischer Notruf irgendwo in den Reihen ihn unterbricht. Doch dann geht es weiter mit dem Stück "Roaming" von 2015 und die leisen Töne explodieren schließlich zu einer virtuosen Jazzeinlage.All das geht unter die Haut. Die Zuhörer müssen sich nicht erst einlassen auf die Klänge, sie werden sofort mitgerissen. Der einzigartige sinfonische Klang des Orchesters entstand aus der Zerstörung eines ganzen Landes heraus. Hier stehen nicht nur Künstler auf der Bühne, die Musik aus einem exotischen Land spielen: Stattdessen ist durch die Arbeit mit syrischen Komponisten im Exil etwas Neues entstanden, volkstümliche Klänge sind in einem sinfonischen Umfeld aufgegangen. 

Doch das Syrian Expat Philharmonic Orchestra hat sich nicht nur auf die Fahnen geschrieben, die Klänge aus der Heimat zu bewahren, es sprudelt geradezu über vor Kreativität. Seine Musik ruft die Gefühle eines Menschen im Exil wach, so auch Can Dündars bittersüße Worte, ein Spiegelbild der Einsamkeit, Trennung, Entfremdung, Verzweiflung - aber auch Hoffnung: "Es gibt dir die Gelegenheit, ausgetretene Wege zu verlassen und dir einen neuen Weg zu suchen und Fähigkeiten an dir zu entdecken, von denen du bisher gar nichts wusstest. Das Pflaster, das deinen Mund verschloss, ist fort, ebenso wie die Ketten an deinen Fußgelenken und die Binde vor deinen Augen. Das gemütliche Heim zu verlassen, um dich neu zu erschaffen, hat etwas vom Sprung ins kalte Wasser. Zunächst zitterst du, aber dann fühlst du dich wie neu belebt, jünger, stärker, frei."

Das Syrian Expat Philharmonic Orchestra bedankte sich beim PublikumBild: Körber-Stiftung/Claudia Höhne

"Roaming"

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