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GesellschaftFrankreich

Streit um Meinungsfreiheit in Frankreich

22. März 2021

Im französischen Grenoble stehen zwei Professoren am Pranger, weil ein Streit um den Begriff Islamophobie eskalierte. Ist die Meinungsfreiheit in Gefahr?

Demonstration gegen Islamophobie in Paris
Demonstration gegen Islamophobie in ParisBild: Imago Images/PanoramiC/F. Pestellini

Debatte um Cancel Culture

04:02

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"Faschisten in unseren Hörsälen! Professor Kinzler Entlassung! Die Islamophobie tötet", haben Studierende in großen Lettern an das Gebäude der Universität in Grenoble gepinselt. Zeitgleich entfachten Aktivisten, sekundiert von der Studentengewerkschaft Unef, einen Shitstorm in den sozialen Medien, Tenor: "Islamophobie - ca suffit!" (dt. "Islamophobie - es reicht!"). Fünf Monate nach der brutalen Ermordung des Geschichtslehrers Samuel Paty ist Frankreich alarmiert. Zwei Professoren erhalten nun Polizeischutz. Und die Affäre zieht immer weitere Kreise.

Was war passiert? Vor dreieinhalb Monaten diskutierten Studierende und Lehrkräfte an der Universität Grenoble noch über den Titel eines geplanten Seminars zum Thema Gleichheit. Sollte in der Überschrift "Islamophobie" gleichrangig mit "Antisemitismus" und "Rassismus" stehen? Nein, urteilte Professor Klaus Kinzler, der deutsche Sprache und Kultur lehrt. Denn hinter Islamophobie verberge sich nur allzu oft Rassismus und nicht zwingend Verachtung für die Religion. Auf seinen Rat hin, "Islamophobie" nicht in den Titel aufzunehmen, schloss ihn die Runde aus der E-Mail-Debatte aus. 

Ein Teil der intellektuellen extremen Linken, so Kinzler gegenüber der DW, wolle jetzt in jedem Muslim ein Opfer sehen, das es zu verteidigen gelte - "auch wenn man damit natürlich Munition liefert und Argumente für Islamisten."  Eine Rolle bei der jetzigen Debatte habe auch gespielt, was Carolin Fourest in ihrem Buch "Generation beleidigt" beschrieben habe. So hätten sich einige muslimische Studierende über ihn beschwert; sie wollen nicht mehr mit ihn zusammenarbeiten, weil er sie mit seinen Argumenten verletzt habe. "Sie können also nicht diskutieren mit jemandem, der nicht ihre Meinungen teilt", so der Professor. 

Professor Klaus KinzlerBild: privat

Ministerin schaltet sich ein

Offenbar hatte sich noch nicht herumgesprochen, dass der aus Stuttgart stammende Wahlfranzose Kinzler mit einer Muslima verheiratet ist. Als sich ein weiterer Professor mit Kinzler solidarisierte, rückte auch dieser ins Visier der Studentengewerkschaft Unef. Daraufhin reagierte die beigeordnete Innenministerin für Staatsbürgerschaft, Marlène Schiappa öffentlich: Nach der Enthauptung des Lehrers Samuel Paty sei die aktuelle Kampagne gegen die Lehrkräfte "eine besonders widerliche Tat", so Schiappa in einem TV-Interview, "denn er war genauso den sozialen Netzwerken zum Fraß vorgeworfen worden". Die Unef habe es "in Kauf genommen, die beiden Professoren in Lebensgefahr zu bringen".

Philipp Blom: deutscher Historiker und Autor Bild: Helmut Fohringer/APA/picture alliance

Aus Sicht des deutschen Historikers und Autors Philipp Blom spiegelt der französische Streit um Islamophobie das gesellschaftliche Klima in der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich wider, wo ein starker "funktionaler Rassismus" herrscht. Die Integration der Einwanderer aus Nordafrika sei eklatant gescheitert, sagte Blom im Interview mit der DW. "In den Banlieues in der Peripherie von Paris lebt man nicht in Frankreich. Man hat nicht die gleichen Chancen wie andere Leute."

Da sei eine Generation herangewachsen, wütend und gedemütigt, in Milieus, in denen Kleinkriminelle und radikale Islamisten um die Vorherrschaft buhlen. "Dass das Wut erzeugt, auch mörderische Wut, das kann ich verstehen", sagt Blom. Aber das sei kein speziell französisches Problem, so Blom, der Mitglied im Stiftungsrat des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels ist. Doch sei die Erfahrung von Demütigung "eine sehr wichtige politische Kraft".

Kein Raum für Diskussionen

Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie spricht von einer "kulturellen Gefechtslage" in Frankreich, in der Toleranz, Meinungsfreiheit und Diskussionskultur auf der Strecke blieben. In Frankreich, so hatte Klaus Kinzler zuvor in einem Interview mit der deutschen Tageszeitung "Die Welt" beklagt, gebe es einen politischen Aktivismus, der sich als Wissenschaft verkleide. Jene Aktivisten kämpften nicht gegen die Mächtigen, das Establishment, die Rechte, die echten Faschisten, so Leggewie, sondern gegen Leute, die nicht genug pro-islamisch seien. Es gehe darum, jemanden zu "canceln", zum Schweigen zu bringen, also "um Sprech- und Denkverbote".

In Frankreichs Vorstädten brodelt es seit Jahren: Schon 2005 titelte die Presse über Unruhen in den BanlieuesBild: Getty Images

Zunehmend würden Gruppen-Identitäten konstruiert, die sich immer weiter aufspalten und andere ausgrenzen würden. Die sozialen Medien wirkten wie verrohende Echo-Kammern. "Man inszeniert Shitstorms und ist sich des medialen Beifalls der anderen sicher. Genau das ist jetzt in Grenoble und im Grunde genommen auch schon bei Samuel Paty passiert, wo es tödlich ausging", erläutert Leggewie.

Islamophobie versus Antisemitismus

Seit mittlerweile 25 Jahren unterrichtet Professor Klaus Kinzler am Grenoble-Institut für politische Studien. Von den Parolen am Uni-Gebäude sei er "nicht überrascht" gewesen, da ihn die Studentengewerkschaft Unef schon in den sozialen Netzwerken als Rechtsextremen und Islamophoben gebrandmarkt habe.  

Rassismus und Antisemitismus - beides Strafttatbestände im laizistischen Frankreich - hätten jedoch nichts mit Islamophobie zu tun, so Kinzler in einem Interview der Tageszeitung "Die Welt". "Antisemitismus hat Millionen Tote zur Folge gehabt. Genozide ohne Ende. Dann gibt's Rassismus, Sklaverei. Auch das hat in der Geschichte zu zig Millionen Toten geführt. Aber wo sind die Millionen Toten der Islamophobie?", fragt Kinzler und stellt klar: "Ich bestreite nicht, dass Menschen muslimischen Glaubens diskriminiert werden. Ich weigere mich nur, das auf die gleiche Stufe zu stellen. Ich halte das für ein absurdes Täuschungsmanöver."

Politologe Claus Leggewie sieht Parallelen zwischen der Diffamierung von Professoren und dem Fall PatyBild: picture-alliance/dpa

Er sei ein "ganz normaler Deutschprofessor an einem Provinzinstitut" und habe stets viel Freude an seiner Arbeit gehabt, sagte Kinzler unlängst gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Seine Studentinnen und Studenten hätten an ihm geschätzt, dass er freiheitliche, liberale Positionen verteidige. "Der Austausch war immer bereichernd", so Kinzler. Den Studierenden nehme er die Hasskampagne weniger übel als vielen der Forscherinnen, Forschern und Lehrkräften, die sich von ihm distanziert hätten. "Das ist mir in 30 Jahren Universitätskarriere nie passiert", sagte er der DW. "Ich durfte immer sagen, was ich wollte, auch wenn ich damit angeeckt bin. Es ist etwas Neues, mit dem ich konfrontiert bin, dass also Widerrede im akademischen Betrieb mehr oder weniger nicht mehr genehm ist, sondern dass es eine Form von Delikt ist."

Für viele seiner Kollege sei er jetzt der "reaktionäre rechtsradikale Nestbeschmutzer", der dem Ruf seines Instituts zutiefst geschadet habe." Ihm sei klar, sagt Kinzler, dass er in den nächsten Jahren als "persona non grata" gelte - vielleicht sogar bis zur Rente. "Aber damit kann ich leben. Ich habe nichts anderes getan, als die Demokratie zu verteidigen. Ich habe mich verteidigt, meinen Kollegen verteidigt und die akademische Freiheit."

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