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Cannes: Die hohe Kunst der Liebe

Susanne Lenz-Gleißner22. Mai 2012

Bei den Filmfestspielen dreht sich vieles um das Thema Liebe. Im Wettbewerb um die Goldene Palme treffen einige Cannes-Veteranen aufeinander. Ein erster Favorit hat sich bereits herauskristallisiert.

Alec Baldwin und Hilaria Thomas auf dem Roten Teppich in Cannes (Foto: REUTERS/Virginia Mayo/Pool)
Bild: Reuters

Zum 65. Mal feiert das Städtchen Cannes an der Cote d'Azur den Film - und ein Topthema des Wettbewerbs der Filmfestspiele ist - natürlich! - Amour, die Liebe. In "Beyond the Hills" (Originaltitel: "Dupa Dealuri") vom rumänischen Regisseur Cristian Mungiu geht es zum Beispiel um die Liebe zu Gott. Vor fünf Jahren wurde sein Abtreibungsdrama "4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage" mit der begehrten Goldenen Palme geehrt. Jetzt wendet Mungiu sich der Ära nach der Ceausescu-Diktatur zu.

Im Wettbewerb: "Beyond the Hills" von Cristian MugiuBild: Festival de Cannes 2012

Es ist die Geschichte von Voichita und Alina, zwei Freundinnen, die gemeinsam in einem Waisenhaus aufwuchsen und einst ein Liebespaar waren. Doch ihre Wege trennten sich. Alina ging nach Deutschland, um zu arbeiten. Voichita schloss sich einer christlich-orthodoxen Sekte an und lebt abgeschieden in den tief verschneiten rumänischen Bergen. Alina besucht sie dort, will sie mit nach Deutschland nehmen. Doch Voichita klammert sich an die neugefundene Heimat in der Glaubensgemeinschaft. Die strengen Reglementierungen geben ihr die tief ersehnte Sicherheit. Ihre Liebe zu Alina habe sich verändert, sagt sie der Freundin - und will sie doch nicht im Stich lassen, sie hinüberziehen in ihre Glaubensgemeinschaft. Alina begehrt auf, rebelliert gegen den orthodoxen Priester, seine Allmacht über die in schwarz gehüllten unterwürfigen Frauen.

Quälendes aus Osteuropa

Eine neue Eiszeit scheint auf dem Land zu lasten, die keinen Raum lässt für die Liebe zweier Frauen, die Freundschaft und Optimismus erfrieren lässt und - man ahnt es bereits in der ersten Einstellung - unvermeidlich tragisch endet. Mit 155 Minuten ist dies der längste Film des Festivals, mit quälend langen Einstellungen. Ein Film über das Opfer der Liebe.

Auch im Wettbewerb: Große Unterhaltung - "Lawless" von John HillcoatBild: Festival de Cannes 2012

"Lawless" vom australischen Regisseur John Hillcoat ist ein Western- und Gangsterdrama, das 1931 in der Prohibitionszeit in den USA spielt. Die drei Bondurant-Brüder halten unerschrocken zusammen und behaupten sich mit ihrer Loyalität im illegalen Alkoholgeschäft in Franklin County gegen Polizei und Behörden. Die Geschichte basiert auf dem autobiografischen Roman von Matt Bondurants "The Wettest County In the World" und sorgt mit den ironisch überzeichneten Charakteren der drei eingeschworenen Brüder und einem Starensemble (Gary Oldman, Guy Pearce und Jessica Chastain) für spannende Unterhaltung und jede Menge Glamour.

Jessica Chastain in CannesBild: Susanne Lenz

Mit seinem intensiven Kammerspiel "Amour" nähert sich Michael Haneke der Liebe zwischen den Eheleuten Georges und Anne. Die Liebe der beiden über Achtzigjährigen wird auf eine harte Probe gestellt, als Anne einen Schlaganfall erleidet. Die ehemalige Musiklehrerin wird zum Pflegefall, ist halbseitig gelähmt, auf den Rollstuhl angewiesen. Georges pflegt sie voller Hingabe. Die beiden ringen um ihre Würde, darum, ihr gemeinsames kultiviertes Leben zumindest in den eigenen vier Wänden fortsetzen zu können. Ein Film über zärtliche Hingabe, die Kraft lebenslanger Liebe und innige Verbundenheit über den Tod hinaus. Und zugleich die unsentimentale Darstellung von Stillstand im Alter, von Krankheit und Verfall. Wieder setzt Michael Haneke, der 2009 für "Das weiße Band" die Goldenen Palme bekam, auf kompromisslose Verdichtung.

Mads Mikkelsen (l.) und Thomas Vinterberg bei der Pressekonferenz in CannesBild: Reuters

Eine bitterböse Abrechnung mit der Erbarmungslosigkeit vermeintlich guter Bürger liefert ein weiterer Cannes-Liebling: Thomas Vinterberg aus Dänemark. Der Mitbegründer der Dogma-Bewegung, 1998 in Cannes mit dem Jurypreis für "Das Fest" bedacht, thematisiert in "Jagten" das Thema Kindesmissbrauch aus neuer Perspektive: Endlich hat der 40-jährige Lucas, hervorragend gespielt von Mads Mikkelsen, in seinem Leben wieder Fuß gefasst. Nach der Schließung seiner Schule hat der ehemalige Lehrer in einem Kindergarten einen neuen Job gefunden, den er begeistert und umsichtig ausübt. Sein zwölfjähriger Sohn will nach der Scheidung endlich zu ihm ziehen. Und eine neue Freundin hat Lucas auch. Doch alles stürzt zusammen, als die fünfjährige Klara der Leiterin des Kindergartens erzählt, Lucas habe sie sexuell belästigt.

Ein erster Favorit

Lucas ist unschuldig. Doch das Gerücht verbreitet sich mit rasender Geschwindigkeit wie ein bösartiger Virus und vergiftet sein Leben. Lucas verliert seinen Job und seine Freunde, er wird gnadenlos ausgestoßen und gejagt. Und auch als der Verdacht endlich entkräftet wird, bleibt er beschädigt zurück. Vinterberg erzählt von der überschwänglichen Liebe fürsorglicher Eltern und Erzieher zu ihrem Kind, einer Liebe, die gefährlich wird. Denn die Angst, dem Kind könnte etwas passiert sein, löst blinde Hysterie bei den Erwachsenen aus und weckt ihren Jagdinstinkt. Dieser grandiose Film über die zerstörerische Kraft der Liebe ist bisher der heißeste Kandidat für die Goldene Palme in Cannes.

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