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Politik

"Rückkehr einzige Perspektive für Rohingya"

5. November 2017

Im Süden Bangladeschs droht eine humanitäre Katastrophe. Das Land hat Hunderttausende geflohene Rohingya aufgenommen. Doch mittelfristig haben sie wohl keine Zukunft dort, sagt Oliver Müller von Caritas International.

Bangladesch Rohingya Flüchtlinge Cox’s Bazar
Bild: Reuters/A. Abidi

Mindestens 600.000 Angehörige der muslimischen Minderheit Myanmars sind seit August ins Nachbarland Bangladesch geflohen. Und es werden jeden Tag mehr. Die Rohingya finden Zuflucht in einem provisorischen Flüchtlingslager im Distrikt Cox's Bazar. Doch die Versorgungslage und die sanitären Verhältnisse in der ohnehin armen Region sind prekär. Die Regierung und das Militär von Bangladesch koordinieren die Aufnahme der Geflohenen bereitwillig und gut, sagen internationale Beobachter. Bisher - denn das Land gehört zu den ärmsten und am dichtesten besiedelten der Welt.

Oliver Müller, Leiter von Caritas International, ist nach Bangladesch gereist, um sich vor Ort ein Bild von der Situation zu machen und die Hilfen zu planen. Wir haben ihn am Telefon gesprochen.

Deutsche Welle: Herr Müller, was haben Sie in den letzten Tagen gesehen?

Zunächst ist auffällig, dass der Flüchtlingsstrom immer noch nicht aufgehört hat. Allein in den letzten zwei Tagen sind etwa 3000 Menschen neu angekommen. Sie sind völlig erschöpft, einige Familien berichten von fünf Tagen Flucht, auf der sie praktisch alles zurücklassen mussten, was sie einmal besaßen.

Auffällig ist aber auch die Ruhe in den Lagern. Man hat den Eindruck, die Menschen sind erst einmal sehr froh, in Sicherheit zu sein. Mit der Situation, die sie in den Lagern erwartet, haben sie sich noch gar nicht wirklich beschäftigt.

Oliver Müller ist Leiter von Caritas InternationalBild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Welche Situation erwartet sie denn?

Die Menschen leben in Plastikhütten, die von Bambusstäben gehalten werden. Man mag sich nicht ausmalen, was geschieht,  wenn ein Wirbelsturm aufkommt. Die sanitären Verhältnisse sind schlecht, um nicht zu sagen katastrophal: Plumpsklos normaler Bauart stehen zu nah an Wasserstellen. Das birgt ein großes Risiko. Ein Gesundheitsexperte sagte mir heute Morgen, dass rund drei Viertel aller Flüchtlinge Durchfallerkrankungen haben, die sie sich durch schlechte Ernährung schon auf der Reise oder durch Infektion im Lager zugezogen haben.

Was steht nun akut an?

Zum einen benötigen wir zusätzliche Ernährung vor allem für Babys, Kleinkinder und stillende Mütter. Zum anderen ist es wichtig, die Notunterkünfte zu verbessern, nicht nur um den Menschen eine bessere Behausung zu bieten, sondern auch um sie vor Krankheiten zu schützen. Unter den wenigen Dingen, die die Flüchtlinge mitgebracht haben, sind teilweise kleine Solarmodule, mit denen sie nachts zumindest etwas Licht haben. Aber damit sich ein Alltag in den Lagern einspielen kann, müssen wir Hilfsorganisationen noch viel leisten.

Was genau tun Sie denn?

Wir haben mit der Hilfe von Caritas Bangladesch circa 30.000 Menschen mit Lebensmitteln versorgt. Nun hat aber die Regierung entschieden, dass die Lebensmittelhilfe aus Mitteln des World Food Program über ihre Strukturen abläuft. Das ist so weit in Ordnung, es gibt genügend andere Aufgaben: die Verbesserung der Unterkünfte, die Versorgung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen, die Trinkwasserversorgung. Wir haben Kochgeschirr verteilt, das ist sehr wichtig für die Selbstversorgung. Es geht also nach wie vor um Grundlegendes.

Einige Flüchtlinge haben Solarmodule und Mobiletelefone aus der Heimat über ihre Flucht gerettet.Bild: Reuters/A. Abidi

Wie reagiert die lokale Bevölkerung auf die Flüchtlinge?

Die Hilfsbereitschaft ist derzeit groß. Sie sprechen die gleiche Sprache wie die Rohingya. Aber Cox's Bazar gehört zu den ärmeren Teilen von Bangladesch, die Mangelernährung ist hier ohnehin mit am höchsten. Deshalb wird es wichtig, die lokale Bevölkerung sehr bald in Hilfsmaßnahmen mit einzubeziehen, um zu zeigen, dass man nicht nur den Flüchtlingen hilft und sie nicht nur Einschränkungen bedeuten. Lebensmittelpreise sind bereits angestiegen, die Flüchtlinge sind um die Reisfelder herum angesiedelt, wo demnächst die Ernte ansteht. Da liegt fast in der Luft, dass es demnächst Konflikte gibt. Deshalb müssen wir auch die Lokalbevölkerung an Hilfen teilhaben lassen.

Welche Perspektive haben die Rohingya in Bangladesch?

Die Flüchtlinge dürfen die Lager nicht verlassen. Das ist für die meisten momentan akzeptabel, weil sie erst einmal zu Kräften kommen müssen. Aber wenn man an die vielen Kinder und Jugendlichen denkt - die haben zunächst einmal überhaupt keine Perspektive.

Was müsste die internationale Gemeinschaft tun?

Die internationale Geberkonferenz hat recht gute Ergebnisse gebracht. Aber im ersten halben Jahr ist es relativ leicht, Hilfen zu bekommen. Wenn die Krise erst einmal eine unter vielen ist, wird man schnell allein gelassen.

Nicht nur deshalb muss auf dem diplomatischer Parkett alles dafür getan werden, den Rohingya eine Rückkehr zu ermöglichen. Das mag momentan nicht sehr wahrscheinlich aussehen. Aber Bangladesch will diesen Menschen aus verschiedenen Gründen wohl nicht erlauben, die Lager zu verlassen und in das Land zu migrieren. Und wenn man die Verhältnisse vor Ort sieht, wird klar, dass eine Rückkehr die einzige wirkliche Perspektive für die Rohingya ist.

Oliver Müller ist Leiter von Caritas International, dem internationalen Hilfswerk des Deutschen Caritasverbandes.

Das Interview führte Jan D. Walter.

Massenflucht der Rohingya

02:07

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Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.
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