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Carsten S. macht "reinen Tisch"

Marcel Fürstenau11. Juni 2013

Unter Tränen schildert der Angeklagte vor dem Oberlandesgericht München, wie er dem "Nationalsozialistischen Untergrund" eine Pistole besorgte und welche Bedenken ihm dabei gekommen sind.

Der Angeklagte Carsten S. versteckt sich im Gerichtssaal immer unter einner großen Kapuze (Foto: Pool/Getty Images)
Bild: Getty Images

Carsten S. wirkt gefasst, als der Vorsitzende Richter Manfred Götzl die am vergangenen Mittwoch unterbrochene Befragung vor dem Oberlandesgericht (OLG) München fortsetzt. "Ich bin an einen Punkt gekommen, wo ich reinen Tisch machen möchte", beginnt S. seine Aussage am achten Verhandlungstag gegen die mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte. Carsten S. ist einer von ihnen. Die Bundesanwaltschaft wirft dem 33-Jährigen Beihilfe zum Mord in neun Fällen vor.

Er wolle sich seiner Verantwortung stellen und alles so erzählen, "wie es war", sagt S. diesesmal. An den ersten beiden Tagen erweckte der Angeklagte noch den Eindruck, sich keine Gedanken über seine Helferdienste für den "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) gemacht zu haben. S. hat dem NSU eine Waffe vom Typ "Ceska" besorgt. Wahrscheinlich ist es die Waffe, mit der im Zeitraum 2000 bis 2006 neun Männer mit ausländischen Wurzeln erschossen wurden.

Seinen Sinneswandel begründete S. mit Sorgen um seine Familie. Er habe Angst, seine Mutter könne einen Nervenzusammenbruch bekommen. "Ich wollte ihr nicht den Sohn nehmen, auf den sie stolz war." Carsten S. hatte nach einer abgebrochenen Konditor-Lehre und einer Ausbildung zum Autolackierer das Fachabitur nachgeholt und in Düsseldorf Sozialpädagogik studiert. Bis zu seiner Festnahme nach dem Auffliegen des NSU arbeitete S. in der Aids-Hilfe. 

Die Hauptangeklagte Zschäpe mit ihren AnwältenBild: Getty Images

Dass ihm der frühere NPD-Funktionär und Mitabgeklagte Ralf Wohlleben den Auftrag gegeben habe, eine Waffe für Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zu besorgen, hatte S. schon am ersten Tag seiner Befragung zugegeben. Nun macht er weitere Angaben. "Die wollten auf jeden Fall über 50 Schuss", erinnert sich S. Nachdem er die Pistole vom Typ "Ceska" in einem Szeneladen gekauft habe, sei er damit zu Wohlleben gegangen. Der habe den Schalldämpfer aufgeschraubt, die Waffe mit auf ihn gerichtet und dabei gelacht. "Ich habe einen Schreck bekommen und gedacht: Damit zielt man nicht auf Menschen."

"In Nürnberg wurde jemand angeschossen"

Was dann folgt, klingt im ersten Moment zusammenhanglos. S. stockt in seinen Ausführungen, schluchzt und bricht in Tränen aus. Bei der Übergabe der Waffe hätten Böhnhardt und Mundlos gesagt, sie hätten in Nürnberg "in einem Laden eine Taschenlampe hingestellt". Er habe nicht gewusst, "was die damit meinen", sagt S. weiter. Zu einem späteren Zeitpunkt habe Wohlleben dann in einem Telefonat gesagt, "in Nürnberg ist jemand angeschossen worden". Daraufhin habe er, S., gedacht, "hoffentlich nicht mit dieser Waffe".  

Tatsächlich wurde am 9. September 2000 in Nürnberg der Blumenhändler Enver Simsek erschossen. Der 39-Jährige war das erste Opfer der fremdenfeindlich motivierten Mordserie, über deren Hintergründe die Sicherheitsdienste jahrelang im Dunkeln tappten. Anstelle rechtsextremistischer Motive vermuteten Polizei und Verfassungsschutz die Täter im Umfeld der Organisierten Kriminalität und verdächtigten sogar die Opferfamilien, in die Taten verwickelt zu sein.

Erst durch das Auffliegen des NSU wurde klar, wer die mutmaßlichen Täter waren. Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die sich Anfang November 2011 das Leben nahmen, um ihrer Festnahme zu entgehen. Ihre mutmaßliche Komplizin Beate Zschäpe, die wegen mehrfachen Mordes angeklagt ist, verweigert im Gegensatz zu Carsten S. vor dem Oberlandesgericht München die Aussage. 

Anwälte fühlen sich übergangen

Für Irritationen hatte zu Beginn des achten Verhandlungstages die Bundesanwaltschaft gesorgt. Oberstaatsanwältin Anette Greger teilte mit, im Zusammenhang mit dem "Nationalsozialistischen Untergrund" seien rund 500 Personen überprüft worden, die dem Umfeld der rechtsextremistischen Terrorgruppe zugerechnet werden könnten.  Bislang war lediglich von 129 Personen die Rede. Sowohl Anwälte der Angeklagten als auch der Nebenkläger kritisierten, darüber nicht informiert worden zu sein. Aus ihrer Sicht könnte die Liste von bei der Zeugenbefragung von Bedeutung sein. Nun soll ihnen auf Antrag Einsicht in die aktualisierte Liste gewährt werden.
 

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