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Kunst

"Cartoons for Future" auch in der Türkei

Ceyda Nurtsch
15. Januar 2020

Der Klimawandel war in der krisengebeutelten Türkei lange kein Thema. Doch mittlerweile gehen immer mehr Bürger gegen Umweltsünden auf die Straße. Da kommt die Ausstellung "Cartoons for Future" wie gerufen.

Cartoons for Future | Karikatur "Clean the World"
Bild: Menekşe Çam

Ein Rabe fliegt durch die Luft, in seinem Schnabel schleppt er einen großen grauen Sack mit stinkendem Müll. Kein Wunder, dass der Vogel unter seiner Last ächzt und mürrisch in die Welt blickt. Ihm entgegen kommt ein gutgelaunter Storch, der ein Baby im sauberen weißen Beutel transportiert. "Clean the world" heißt die Zeichnung aus der Feder der türkischen Künstlerin Menekşe Çam. Die Karikatur ist eines von insgesamt 100 Werken, das die Kuratoren für die Ausstellung "Cartoons for Future" aus einem Pool mit Zeichnungen von 2500 Künstlern aus aller Welt ausgewählt haben. Nach ihrem ersten Halt in Dortmund ist die Schau nun bis zum 30. März in Izmir in der Westtürkei zu sehen. Mit vielen neuen Karikaturen, denn die Klimaereignisse scheinen sich zu überschlagen: Brasilien in Flammen, Venedig unter Wasser, apokalyptisch anmutende Großfeuer in Australien.

"Freiheit der Kunst ist keine Selbstverständlichkeit mehr"

Die Zeichnerin Menekşe Çam hat die Ausstellung nach Izmir geholt. Man merkt ihr an, wie stolz sie darauf ist, denn die Freiheit der Kunst ist in der Türkei längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Die Menschen in der Ägäis-Stadt seien immer schon modern, offen und freiheitsliebend gewesen, erklärt sie, in dieser Hinsicht habe Izmir immer eine Sonderstellung in der Türkei gehabt. Große Unterstützung habe die Ausstellung auch durch Bürgermeister Tunç Soyer von der oppositionellen Republikanischen Volkspartei CHP und das Adnan-Saygun-Kulturzentrum erfahren, wo die "Cartoons for Future" zu sehen sind.

"Noch sind Klimafragen in der Türkei eher abstrakt" 

Bei Ausstellungsbesuchern und türkischen Medien kommen die klimakritischen Karikaturen gut an. Mittlerweile haben auch weitere Städte wie Istanbul und Ankara Interesse bekundet, die Schau zu zeigen. "Es ist eine besondere Herausforderung, eine Cartoon-Ausstellung zum Thema Klimakrise in der Türkei anzubieten - in einem Staat, dessen Bevölkerung von ganz anderen und wirklich erheblichen Konflikten im internen und zugleich geopolitischen Bereich betroffen ist", erklärt Bernd Pohlenz, selbst Karikaturist und Initiator und Co-Kurator der Ausstellung.

"Mona Greta" wirbt für die Ausstellung in IzmirBild: toonpool.com/Bernd Pohlenz

Denn derzeit bestimmen besonders Arbeitslosigkeit und hohe Privatverschuldung den Alltag der Menschen in der Türkei. Zudem erklärten viele Türken, sie lebten ohnehin mit einem "Tanz auf dem Vulkan"- Gefühl" , so Pohlenz weiter - nämlich in Erwartung des nächsten großen Erdbebens. Da bleiben Klimafragen für die meisten eher abstrakt.

Proteste gegen Bausünden der Regierung werden lauter

Doch in den letzten Jahren hat sich, besonders bei der jüngeren Generation, etwas verändert. Es entstehen, wenn auch noch zaghaft, die ersten "Fridays for Future"-Gruppen. Ökologisch begründete Kritik an Bausünden und Proteste gegen die Regierung gehen Hand in Hand und werden immer lauter: etwa gegen die Erstellung des neuenIstanbuler Großflughafens, die Rodung eines Naturschutzgebiets im Ida-Gebirgeund eines weiteren zum Bau des Präsidentenpalastesoder zuletzt den Plan für eine alternative Wasserstraße, die parallel zum Bosporus verlaufen und das Schwarze Meer mit dem Marmarameer verbinden soll: den "Kanal Istanbul". Ständig müsse die Bevölkerung mit den Politikern kämpfen, die sie doch eigentlich gewählt hätte, um sie zu vertreten so Çam.  Verwüstung der Grünflächen 

Auch die Verantwortlichen der türkischen Tourismusbranche machen sich Sorgen – denn gerade die vielfältige und beeindruckende Natur lockt die Kundschaft ins Land. Aber wie lange noch?, fragt sich Menekşe Çam: "Auf Fotos von Google Earth sehen wir, wie stark hier in den vergangenen 17 Jahren die Grünflächen zurückgegangen sind. Besonders in den letzten Jahren erleben wir eine Verwüstung, wie es sie in der Geschichte noch nicht gegeben hat", erzählt sie. Das Land sei einer wirklichen Bedrohung ausgesetzt. "Wenn sich das derzeitige Verständnis und die Politik nicht ändert, wird die Türkei eines der Länder sein, das am Ende der Krise mit den höchsten Preis bezahlt", so Çam weiter. Und genau deshalb sei die Ausstellung "Cartoons for Future" gerade auch in ihrer Heimat so wichtig.

Karikaturen sind weltweit verständlich  

Mit der universellen Sprache der Kunst wird auf den Punkt gebracht, wie brisant die Klimakrise ist. "Gute Cartoons bedürfen keiner langen Texte", so Bernd Pohlenz. "Sie sollten weltweit sofort für jeden verständlich sein und dem Publikum einen Raum für neue Sichtweisen und Visionen öffnen." Er weiß aus Erfahrung, dass viele Zeichnerinnen und Zeichner ein feines Gespür für aufkommende Entwicklungen und durchaus begründet furchterregende Szenarien haben, vor denen andere um der eigenen Beruhigung willen gern die Augen verschließen - als wären sie mit einem besonderen "Frühwarnsystem" ausgestattet. "Vielleicht ist es die Aufgabe der Künstlerinnen und Künstler, dem Publikum neue gedankliche Wege in die Zukunft zu ebnen", so Pohlenz, "ganz egal, ob sie bedrohlich auf uns zukommt oder Hoffnung auf Veränderungen zulässt."

Bernd Pohlenz hat die Ausstellung ins Leben gerufen und die "Mona Greta" gezeichnetBild: Privat

Umso erfreulicher ist es, dass die Ausstellung in der Türkei sehr gut besucht ist. "Neben Jugendlichen und Erwachsenen kommen auch immer mehr Schulklassen", sagt Çam. "So kommen wir unserem Ziel näher" - nämlich, alle Menschen in der Türkei für die Klimadebatte zu sensibilisieren. 

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