Casanova: Herzensbrecher, Hochstapler und Poet
1. April 2025
Bewundernd betrachtet Giacomo Girolamo Casanova seine hochgewachsene, schlanke Gestalt im goldverzierten Spiegel und zupft ein paar Haare an der Perücke zurecht. Es muss alles perfekt sein, wenn die Dame seines Herzens kommt. Der Kamin und das edle Mobiliar spiegeln sich im Schein der vielen Kerzen, die Blumen auf der Wandtäfelung scheinen im flackernden Licht zu tanzen. Austern, Wildbret und Champagner stehen bereit.
Die Schöne, auf die Casanova wartet, ist entzückt von der Bühne, die er ihr bereitet hat. Nach dem Abendessen drängt der Verführer sie ins Schlafgemach, zwischen Seide und Damast geben sie sich dem Liebesspiel hin.
So ungefähr muss man sich die Treffen Casanovas mit seinen Gespielinnen vorstellen - basierend auf den Memoiren, die er hinterlassen hat.
"Da ich mich für das andere Geschlecht geboren fühlte, habe ich es stets geliebt und mich von ihm lieben lassen, soviel ich nur konnte", schreibt Casanova in seinen Memoiren "Geschichte meines Lebens". 116 Geliebte erwähnt er darin namentlich, Historiker gehen allerdings davon aus, dass er mit einigen Tausenden amouröse Beziehungen hatte. Darunter Damen von Stand und Töchter aus gutem Hause, aber auch Dirnen und sogar zwei Nonnen.
Casanova hat nie geheiratet
Zu seinen vielen Eroberungen gehört auch Marie-Louise O'Murphy, die Geliebte des französischen Königs Ludwig XV. Oder jene Henriette, die er in Italien einem ungarischen Offizier ausspannt, und die beim Abschied in Genf mit einem Diamanten in die Fensterscheibe des Gasthofzimmers die Worte einritzt: "Du wirst auch Henriette vergessen!" Die Ehe hat er den Damen oft versprochen, geheiratet hat er allerdings nie. Und obwohl sie von seinem unsteten Lebenswandel wissen, erliegen sie reihenweise seinem Charme.
Man tue Casanova allerdings unrecht, wenn man ihn nur als Frauenheld sehe, so der Italiener Carlo Parodi, der 2018 in Venedig ein Museum für seinen berühmten Landsmann eröffnete (das die Corona-Pandemie allerdings nicht überlebte, Anm. d. Red.). "Casanova", betont er, "war ein großer Denker, Schriftsteller und Philosoph, der ungerechterweise nur als großer Liebhaber in die Geschichte eingegangen ist."
Kindheit und Lehrjahre
Giacomo Girolamo Casanova kommt am 2. April 1725 als ältester Sohn einer Schauspielerfamilie zur Welt. Da seine Eltern oft auf Tournee gehen, geben sie ihn in die Obhut der Großmutter Mariza. Mit 12 Jahren studiert er weltliches und kirchliches Recht an der Universität Padua, mit 17 hat er den Doktortitel in der Tasche. Seine Priesterlaufbahn beendet er allerdings nicht etwa, weil er während einer Predigt betrunken von der Kanzel fällt, sondern erst drei Jahre später - das Metier behagt ihm nicht allzu sehr. Und der Klingelbeutel füllte sich weniger mit Münzen als mit leidenschaftlichen Liebesbriefen.
Er versucht sich in unterschiedlichsten Berufen. Er ist Sekretär, Fähnrich und Leutnant, Orchestergeiger, Poet und Schriftsteller, Alchemist, Geheimagent der Inquisition, Finanzspekulant, Diplomat und Bibliothekar - um nur einige seiner zahlreichen Aktivitäten aufzuzählen.
Für Casanova ist die Welt der kleinen Leute, der er entstammt, ein Gräuel. Er will zu denen gehören, die er geblendet bestaunt: zu den Patriziern. Er hält zwar nicht viel vom Standesdünkel des Adels, aber deren angenehmes und luxuriöses Leben sagt ihm durchaus zu. Als Casanova dem angesehenen Senator Matteo Bragadin bei einem Schlaganfall zur Seite steht, wird der zu seinem Gönner.
"Wer immer du seist", habe er zu dem damals 21-Jährigen gesagt, "ich verdanke dir mein Leben." Von nun an bekommt er freie Kost und Logis, einen Diener, eine Gondel, zehn Golddukaten monatliches Taschengeld und das Versprechen lebenslanger Fürsorge. "Das", frohlockt Casanova, "ist die ganze Geschichte meiner Metamorphose und der glücklichen Zeit, in der ich vom schäbigen Stand eines Geigenspielers zu dem eines vornehmen Herrn aufstieg."
Spektakuläre Flucht aus den Bleikammern
Schnell wird Casanova zum Liebling der vornehmen Gesellschaft. Er ist vielseitig gebildet, ob Theologie, Alchemie, Medizin oder Mathematik - der Venezianer kann bei jedem Thema mitreden. Neben Italienisch beherrscht er auch Französisch, Griechisch und Latein, außerdem ist er ein unterhaltsamer Gesprächspartner. So fällt es ihm nicht schwer, die Menschen in seinen Bann zu ziehen. Doch immer wieder zieht er sich auch den Zorn der Oberschicht zu.
So wird er am 26. Juli 1755 in den berüchtigten Bleikammern, einem Kerker im Dachgeschoss des mit Blei gedeckten venezianischen Dogenpalasts, inhaftiert. Man wirft ihm Gotteslästerung und "Schmähungen gegen die heilige Religion" vor, er soll verbotene Bücher besitzen, der Magie frönen und außerdem junge Menschen zum Atheismus verführen. Wahrscheinlicher ist, so mutmaßt Casanova, dass er sich den Staatsinquisitor Condulmer zum Feind gemacht hat - wegen der Zuneigung einer Dame, die Condulmer selbst begehrt.
Giacomo leidet an Fieber und Schüttelfrost, die Flöhe saugen ihm das Blut aus, es ist unerträglich stickig in seinem Kerker. "Der einzige Gedanke, der mich beherrschte, war die Flucht", schreibt er später. Bis dato ist noch nie jemand aus den Bleikammern entkommen, doch Casanova gelingt der Ausbruch. Er reist nach Paris, wo sich die Geschichte seiner spektakulären Flucht bereits herumgesprochen hat und er wie ein Held gefeiert wird.
Der Finanzjongleur
Casanova ist ein brillanter Hochstapler. Immer wieder ergaunert er hohe Geldsummen, die ihm gutgläubige Seelen, vor allem Frauen, anvertrauen. Beispielsweise Madame d'Urfé, eine der reichsten Aristokratinnen Frankreichs. Sie ist von okkulten Ideen geradezu besessen und giert nach einer wundersamen Verjüngung. Casanova kann bei ihr mit seinen alchemistischen Kenntnissen glänzen, und da er die Marquise, wie er in seinen Erinnerungen bekennt, nicht von ihrem Irrglauben abbringen kann, zieht er ihr lieber das Geld aus der Tasche.
Einen Geldsegen beschert ihm auch die Idee, 1757 in Frankreich eine Lotterie zu gründen; der Posten als Direktor ist äußerst einträglich. Seine Schatulle füllt sich weiter, als er im geheimen Auftrag des französischen Außenministers schwierige finanzielle Transaktionen an der Börse im Ausland abwickelt.
Doch trotz sprudelnder Einnahmen ist Casanova ständig pleite, denn er gibt das Geld verschwenderisch mit beiden Händen aus und ist dem Glücksspiel verfallen. Doch durch sein vollendet selbstsicheres Auftreten - ab dem Jahr 1758 stellt er sich dreist mit dem selbst verliehenen Adelstitel "Chevalier de Seingalt" vor - finden sich immer wieder hohe Herrschaften, die sich in lobenden Empfehlungsschreiben für ihn verbürgen. Trotzdem läuft es nicht immer rund für den Lebenskünstler: Sechsmal landet er im Laufe seines Lebens im Gefängnis, aus ebenso vielen Ländern wird er ausgewiesen.
Der rastlose Reisende
Sein Leben lang reist Casanova von Königshof zu Königshof kreuz und quer durch Europa. Sein Talent, stets in den feinsten Kreisen zu verkehren, verschafft ihm illustre Kontakte. Er lernt Mozart und Voltaire kennen und parliert in Rom mit Papst Clemens XIII., der ihn zum Ritter des Goldenen Sporns schlägt. Friedrich der Große bietet ihm einen Posten als Lehrmeister an der Schule für pommersche Landjunker an, den er allerdings ablehnt. Russlands Zarin Katharina die Große empfängt ihn gleich zweimal.
Kaum ein Zeitgenosse Casanovas dürfte so weit gereist sein wie der Venezianer: Historiker haben errechnet, dass er im Laufe seines Lebens eine Strecke zurücklegte, die dem Erdumfang entspricht. Mit den damaligen Transportmitteln, zu Pferd, in der Kutsche oder auf dem Schiff, eine beachtliche Leistung.
Als er nach 17 Jahren im Exil 1774 nach Venedig zurückkehrt, ist er körperlich erschöpft; seine Heimatstadt, einst Bühne seiner zahlreicher Orgien, reizt ihn nicht mehr.
Das Vermächtnis
Casanova ist 60 Jahre alt, einsam und verbittert, als er 1785 als Bibliothekar des Grafen Waldstein im böhmischen Schloss Dux anheuert. Fünf Jahre später beginnt er mit der Niederschrift seiner Memoiren. Bis zu neun Stunden täglich brütet er über dem Manuskript, 3700 Seiten bringt er zu Papier. Am 4. Juni 1798 stirbt Casanova im Alter von 73 Jahren an den Folgen der Syphilis oder einer Blasenerkrankung, so genau weiß man das heute nicht. Er gerät in Vergessenheit.
Seine Memoiren werden bis ins 20. Jahrhundert unter Verschluss gehalten - die Zensoren dulden die freimütigen Schilderungen seiner sexuellen Abenteuer nicht. Das Werk wird heimlich unterm Ladentisch vertrieben. Doch als es endlich veröffentlich wird, macht es ihn unsterblich. Es bietet einen einzigartigen Einblick in das Leben und die Gesellschaft seiner Zeit und wird in 20 Sprachen übersetzt. Zugleich ist es das teuerste handschriftliche Manuskript der Welt: 2010 erwirbt es der französische Staat für sieben Millionen Euro.
Casanovas Grabstelle kennt man heute nicht mehr, dafür aber sein Lebensmotto: "Ich habe die Frauen bis zum Wahnsinn geliebt", doch "immer habe ich meine Freiheit mehr geliebt".