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KlimaGlobal

CCS-Technik: Klimaretter oder teurer Bluff?

Ajit Niranjan
5. Juli 2023

Damit Industrien wie die Zement- oder Chemiebranche klimafreundlicher werden, gilt CO2-Abtrennung und -Speicherung als unerlässlich. Bislang aber wurde mit CCS vor allem mehr Öl gefördert, statt die Klimakrise bekämpft.

Aus Kühltürmen des RWE-Kohlekraftwerks Niederaussem im rheinischen Braunkohlerevier steigt Dampf auf
Bei der Verstromung von Braunkohle werden große CO2-Mengen frei Bild: Ina Fassbender/AFP/Getty Images

Laut Weltklimarat (IPCC) kann das Pariser Klimaziel zur Eindämmung der Erderwärmung auf 1,5 Grad nur noch erreicht werden, wenn der Atmosphäre aktiv Kohlendioxid (CO2) entzogen wird. Eine Möglichkeit dies zu tun ist die technische CO2-Abtrennung und -Speicherung (Carbon Capture and Storage - CCS). Doch dieses Instrument ist kostspielig und hat jahrzehntelang nicht so gut funktioniert, wie es die Fossilindustrie versprochen hat.

Dennoch gilt CCS in einigen Sektoren und Branchen mit schlechter Umweltbilanz als dringend erforderlich. "Es gibt Fälle, in denen die Abscheidung von Kohlenstoff sehr sinnvoll ist - aber wir müssen auch alle Möglichkeiten ausschöpfen, um CO2 von vornherein zu vermeiden", so Georg Kobiela, Experte für Industriesanierung bei der gemeinnützigen Umweltschutzorganisation Germanwatch. "Manche CCS-Anwendungen dienen oft nur als Feigenblatt, um die Geschäftsmodelle der Fossilindustrie am Leben zu erhalten."

Wie funktioniert Kohlenstoffabscheidung und -speicherung?

Bei der CCS-Technik geht es darum, CO2 aufzufangen und unterirdisch einzuschließen. Sie unterscheidet sich von der Kohlendioxidabscheidung (Carbon Dioxide Removal - CDR), bei der Kohlenstoff aus der Atmosphäre abgesaugt wird.

Einiges der beiden Technologien überschneidet sich, doch der Hauptunterschied besteht darin, dass CDR die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre verringert und so den Planeten abkühlt, während CCS in Kraftwerken und Fabriken verhindert, dass das Treibhausgas überhaupt erst in die Atmosphäre gelangt.

Der UN-Weltklimarat (IPCC) kam in seiner jüngsten Überprüfung der wissenschaftlichen Forschung zu dem Schluss, dass beide Anwendungen erforderlich sein werden. Bei chemischen Prozessen, bei denen Kohlendioxid freigesetzt wird, gibt es nur wenige Alternativen zur sofortigen Abscheidung oder zum späteren Absaugen des CO2 aus der Luft.

Zementwerk bei Berlin: Bei der Zementherstellung fallen sehr große Mengen CO2 an, hier könnte CCS sinnvoll sein Bild: Joko/Bildagentur-online/picture alliance

Laut Wissenschaft dürfte CCS vor allem in Fabriken, die Zement und Düngemittel herstellen, sowie in Anlagen, die Müll verbrennen eine große Rolle spielen. Ob die Technik auch bei der Herstellung von Stahl und Wasserstoff angewendet werden sollte - darüber gehen die Meinungen auseinander, teils wird dort der Einsatz umweltfreundlicherer Alternativen befürwortet.

Die größte Skepsis herrscht gegenüber der Kohlenstoffabscheidung bei der Stromerzeugung, denn es gibt bereits billigere Alternativen, die besser funktionieren, wie Windturbinen und Solaranlagen.

Theoretisch könnte CCS in Gaskraftwerken eine Rolle spielen, die dann laufen, wenn weder die Sonne scheint noch ausreichend Wind weht - vor allem in Ländern, die heute noch Kraftwerke für fossile Brennstoffe bauen - aber in diesem Fall müsste die Technik möglichst schnell deutlich billiger und effektiver werden. Klimamodelle zeigen, dass Öl und Gas außerhalb der Industrienationen auch weiterhin genutzt werden könnten, sagt Margriet Kuijper, ehemals Ingenieurin beim Ölriesen Shell, heute als Beraterin für Umweltgruppen tätig. Dennoch, so Kuijper, "stimme ich mit den Leuten überein, die sagen, dass wir wahrscheinlich mit erneuerbaren Energien auskommen können".

Wie effektiv ist die CCS-Technik?

Bereits seit Jahrzehnten wird Kohlenstoff aus konzentrierten Abgasen abgefangen, in Tanks gepresst, gereinigt und entweder gelagert oder in der Industrie verwendet. Einige Bioethanol-Anlagen vermelden bereits, dass sie mehr als 95 Prozent ihrer Kohlenstoffemissionen abfangen. Wenn es jedoch um die Abscheidung von Kohlenstoff aus verunreinigten Abgasen geht, wie etwa aus Fabriken und Wärmekraftwerken, haben CCS-Projekte wiederholt zu viel versprochen und zu wenig geliefert.

Abgetrenntes CO2 wird verflüssigt und über Leitungen unterirdisch verpresstBild: Georg Ismar/picture alliance/dpa

"Man muss Chemikalien verwenden, um das CO2 von allem anderen abzutrennen", sagt Julia Attwood, Leiterin der Abteilung für nachhaltige Materialien beim Forschungsunternehmen BloombergNEF. "Ich würde sagen, dass diese Technologie bereits erfolgreich demonstriert wurde - aber sie wurde noch nicht in großem Maßstab kommerzialisiert."

Während es einer Handvoll Testanlagen gelungen ist, mehr als 90 Prozent der Emissionen aus verunreinigten Abgasen abzufangen, haben kommerzielle Projekte mit Problemen zu kämpfen. Einige gingen in die Brüche oder waren nicht für einen Dauerbetrieb ausgelegt. Andere wurden so konzipiert, dass sie nur einen Bruchteil der Gesamtemissionen auffangen.

Doch solche Probleme seien vielmehr wirtschaftlicher als technischer Natur, heißt es von Expertenseite: Denn Unternehmen hätten kaum echte Anreize, ihre Emissionen abzuscheiden. "Wir müssen anfangen, Geld dafür auszugeben, um Dinge zu bauen und sie dann so lange zu verbessern, bis sie funktionieren", sagt Chris Bataille, einer der Hauptautoren des jüngsten IPCC-Berichts. "Das ist machbar - aber nicht billig."

Warum ist CCS umstritten?

Klimaschützer kritisieren, dass Energieunternehmen weiterhin fossile Brennstoffe fördern, obwohl sie es nicht schafften, ausreichend Kohlenstoff abzuscheiden. Stattdessen, so der Vorwurf, werde sogar Lobbyarbeit betrieben, um Gesetze zu verhindern, die die Förderung von Erdöl und Erdgas drosseln sollen. Aus Sicht der meisten Umweltorganisationen sollte die Politik vielmehr gesellschaftliche Veränderungen einleiten, etwa um den Energiebedarf zu senken, statt auf wackelige Technologien wie CCS zu setzen.

Die Gefahr bestehe nicht nur darin, dass die Technologie nicht so zu funktionieren scheine, wie sie angepriesen werde, so Genevieve Gunther, Gründerin von End Climate Silence, einer Kampagnengruppe, die Journalisten dazu auffordert, mit größerer Dringlichkeit über den Klimawandel zu berichten. "CCS verschafft den Unternehmen, die für die Nutzung fossiler Brennstoffe kämpfen, auch Zugang zu politischen Entscheidungsträgern", meint sie und ergänzt, dass die öffentliche Akzeptanz dieses vorgeblich klimafreundlichen Geschäftsmodells der Fossilindustrie eine Art "soziale Lizenz zum Weiterbetrieb" verschaffe.  Aber, so Gunther: "Sie nutzen die Kohlenstoffabscheidung nicht als Klimalösung. Sie nutzen sie, um die Förderung (fossiler Brennstoffe - Anm.d.Red.) zu verbessern".

Mit verflüssigtem CO2 lassen sich Bohrlöcher noch besser ausbeutenBild: Jim Thompson/Albuquerque Journal /Zuma/picture alliance

So wird etwa mit dem sogenannten Enhanced Oil Recovery genannten Verfahren Kohlendioxid in den Untergrund gepumpt, um mehr Öl aus trockenen Bohrlöchern zu fördern. Für diesen Zweck wurde in der Vergangenheit das meiste abgeschiedene CO2 verwendet.

Aus der Wissenschaft wird auch die Frage laut, wie ernst es der Industrie mit ihren Verpflichtungen ist. Denn obwohl die Technologie jahrzehntelang vorangetrieben wurde, gibt es nach Angaben der Branche nur 30 funktionierende CCS-Anlagen, dazu elf Anlagen, die noch im Bau sind und weitere 150 in Planung.

Eine Studie aus dem Jahr 2020 ergab, dass mehr als 100 der 149 CCS-Projekte, die bis 2020 in Betrieb gehen sollten, gestrichen oder auf unbestimmte Zeit verschoben wurden. "Es wurde viel in böser Absicht gehandelt", kritisiert IPCC-Autor Chris Bataille. "Eine sehr unterfinanzierte Anstrengung ging mit einer Menge Greenwashing einher."

Wie lässt sich CCS besser nutzen?

Immerhin gewinnt die Abscheidung von Kohlenstoff langsam an Dynamik. In Norwegen baut der deutsche Industrieriese Heidelberg Materials die erste Anlage zur Abscheidung von Kohlenstoff aus Zement und dessen unterirdischer Lagerung. Laut Unternehmen soll eine Abscheidungsrate von nahezu 100 Prozent möglich sein. Geplant ist aber nur, die Hälfte der Emissionen des Standorts abzuscheiden.

Dies sei deshalb der Fall, um die Anlage so schnell wie möglich errichten und die Technologie demonstrieren zu können, sagt Karin Comstedt Webb, Leiterin der Abteilung Umwelt, Soziales und Governance bei Heidelberg Materials. "Wir haben das Projekt auf der Grundlage der am Standort verfügbaren Abwärme konzipiert, so dass wir keine zusätzliche Energie aus dem Stromnetz zukaufen müssen." Es seien aber international weitere Projekte geplant, bei denen man höhere Abscheidungsraten anstrebe.

Norwegen: Endlager für CO2

05:11

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Doch offenbar beginnen die Öl- und Gasunternehmen, weniger Einfluss auf die CCS-Industrie auszuüben. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA), einer Organisation mit Sitz in Paris, die von den Energieministern aus 31 Ländern geleitet wird, konzentrieren sich neue CCS-Projekte immer mehr auf bestimmte Teilbereiche wie Transport und Speicherung, statt auf den Einsatz zur Förderung von Öl.

Damit die Technologie billiger wird und besser funktioniert, müssten die Regierungen nach Ansicht von Analysten CO2-Steuern erheben, die Genehmigung von CCS-Projekten erleichtern und den Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur unterstützen. Es seien nicht unbedingt Subventionen für die CSS-Technologie an sich nötig, meint etwa Julia Attwood von BloombergNEF. "Wir brauchen vielmehr Anreize für Menschen, die sie nutzen. Es muss eine Subvention für grünen Stahl und grünen Zement geben, denn das ist es, was die Entwicklung von CCS beschleunigen und wirklich vorantreiben könnte."

Eine Adaption aus dem Englischen von Jeannette Cwienk

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