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Bundestagswahl: CDU und CSU ringen um Kanzlerkandidatur

10. September 2024

Zwei Männer im Wettstreit. Oder vielleicht doch drei? Die konservativen Unionsparteien CDU und CSU wollen klären, wer bei der nächsten Bundestagswahl 2025 in Deutschland als Kanzlerkandidat antritt.

Beim CDU-Bundesparteitag im Mai 2024 in Berlin zeigen sich Friedrich Merz und Markus Söder einander herzlich zugewandt
Friedrich Merz (links) und Markus Söder im Mai 2024 beim CDU-BundesparteitagBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Seit der Wahl von Friedrich Merz zum CDU-Vorsitzenden Ende Januar 2022 heißt es unionsintern häufig, damit habe er den ersten Zugriff auf die gemeinsame Kanzlerkandidatur der beiden Unionsparteien (CDU und CSU). Und doch schauen viele Beobachter mit Spannung auf die Entscheidung. Sie solle, betont Merz seit Monaten, im Spätsommer fallen, nach der Landtagswahl in Brandenburg am 22. September.

Für Spannung um diese Personalie sorgt weniger Friedrich Merz. Dafür ist eher CSU-Chef Markus Söder verantwortlich. Der bayerische Ministerpräsident sorgt dafür mit lautstarken Beiträgen. Dabei fordert er (noch) polternder als Merz die Ablösung der von Olaf Scholz geführten Ampel-Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen und liberaler FDP im Bund und lehnt ungewöhnlich harsch jegliche Zusammenarbeit mit den Grünen ab. Beide verwenden eine sprachliche Schärfe, wie sie die frühere Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel nie gepflegt hätte.

Markus Söder auf der "Gillamoos"-BühneBild: Peter Kneffel/dpa/picture alliance

Zuletzt äußerte sich Söder zur K-Frage, zur Kanzlerkandidatenfrage, in einer Bierzelt-Rede Anfang September beim "Gillamoos", einem großen Jahrmarkt im bayerischen Land zwischen Regensburg und Ingolstadt. "Ich würde mich nicht drücken, Verantwortung für unser Land zu übernehmen", sagte Söder. Als Stunden später im fernen Berlin bei einer Pressekonferenz Merz mit dieser Aussage konfrontiert wird, wiegelt der ab. Die Aussage Söders habe "keinen Neuigkeitswert", sagte er und brachte damit die Medienvertreter zum Grinsen. Es ist eine Konkurrenz. Merz und Söder sind zwei politische Alphatiere. Beide haben ihre jeweilige Partei konservativer gemacht und auf ihre Linie gebracht.

Diese Konkurrenz gehört zum ungewöhnlichen Gefüge der Union. CDU und CSU sind eigenständige Parteien, bilden aber im Bundestag gemeinsam eine Fraktion. Die CSU existiert nur in Bayern, die CDU in allen anderen 15 Bundesländern. Bislang einigte man sich stets auf einen gemeinsamen Kanzlerkandidaten. Meist kam er von der CDU. Die CSU stellte ihn 1980 (Franz-Josef Strauß) und 2002 (Edmund Stoiber). Beide unterlagen einem SPD-Konkurrenten. Söder, der Strauß bewundert und von Stoiber beim Aufstieg in der CSU gefördert wurde, wollte bereits 2021 für die Unionsparteien ins Rennen gehen. Er verlor aber in einer parteiinternen Vorentscheidung gegen den CDU-Politiker Armin Laschet, über den er seitdem immer mal wieder lästert. Nach der Bundestagswahl 2021 wurde dann der SPD-Politiker Olaf Scholz Kanzler.

Analysiert die Lage: der Politikwissenschaftler Thomas BiebricherBild: privat

In der Festlegung des Kandidaten sieht der Frankfurter Politikwissenschaftler Thomas Biebricher "eine Grundsatzentscheidung von großer Tragweite". Das gelte nicht nur für die Unionsparteien selber, sondern auch für das Parteiensystem, sagt er der DW. Biebricher lehrt an der Universität Frankfurt am Main und veröffentlichte 2023 das Buch "Mitte/Rechts - Die internationale Krise des Konservatismus", in dem er den Aufstieg rechter Parteien in Europa nach 1990 analysierte.

Dazu passen durchaus manche Auftritte der beiden Hauptkonkurrenten. Sowohl Markus Söder als auch Friedrich Merz sorgten während der Sommerwochen mit Äußerungen, die zweideutig blieben oder eindeutig populistisch wirkten, für Aufsehen. 

In Umfragen ist Söder meist beliebter als Merz, der schon im eigenen Parteilager eher schlechte Zustimmungswerte bekommt. Bei der jüngsten ARD-"Deutschlandtrend"-Umfrage von infratest dimap erreicht Söder als möglicher Kandidat 41 Prozent Zustimmung bei allen Befragten. Merz kommt nur auf 23 Prozent. Er schneidet noch schlechter ab als der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst, einer seiner Stellvertreter als CDU-Chef, der als so etwas wie der aufsteigende Stern einer bürgerlicheren, weniger krawalligen CDU gilt.

Der Ausdruck "Parteifreunde" passt nur bedingt: Markus Söder, Angela Merkel und Armin Laschet (v.l.n.r.) kurz vor der Bundestagswahl 2021Bild: Matthias Balk/dpa/picture alliance

Biebricher kennt die Umfragen und den Vorsprung Söders. Ob das aber bei jenen, die in der CDU entscheiden, entsprechend berücksichtigt werde, da habe er seine Zweifel. In der CDU gebe es "nach wie vor große Vorbehalte gegenüber Markus Söder und seiner Verhaltensweise im Jahr 2021 im Rahmen des Wahlkampfs". Damals habe es zwischen den Konkurrenten Laschet und Söder einen "regelrechten Showdown" gegeben, vom CSU-Chef als "Persönlichkeitsdarsteller" provoziert. "Das hat Spuren hinterlassen und ist vielen in der CDU in Erinnerung geblieben", sagt der Wissenschaftler.

Und trotz der besseren Umfrageergebnisse sei Söder "nicht derjenige, der darüber bestimmen kann. Es liegt nicht in seiner Hand." Dazu könne es nur kommen, wenn dem Konkurrenten Merz nun ein entscheidender Fehler unterlaufe, beispielsweise bei der Begleitung der schwierigen Regierungsbildungen nach den Landtagswahlen in Ostdeutschland.

Wer auch immer Spitzenkandidat der Union wird: Biebricher sieht derzeit durchaus ein "großes Risiko", dass die Repräsentanten "gerade bei der Migrationspolitik erkennbar den Ton verschärfen". Gerade Söder habe "das Talent dafür". 

Da fällt der Blick doch auf den dritten Unionspolitiker, dem Chancen auf die Kanzlerkandidatur eingeräumt werden: jenen Hendrik Wüst, der zusammen mit den Grünen im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen regiert. Mit Äußerungen zur Kandidatensuche und zum verbalen Hin-und-Her der beiden Älteren hält sich Wüst fein zurück. In Interviews, so in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (am 7.9.), ignoriert oder umschifft er die wiederholt gestellten Fragen nach seinen Kandidaten-Ambitionen. "Wer Wahlen gewinnen will", so Wüst, "tut immer gut daran, solche Entscheidungen auf eine breite Basis zu stellen. Das gilt ganz besonders für eine föderal geprägte Partei wie die CDU." Im Vergleich zu den beiden anderen klingt das staatstragend.

Biebricher hält es für möglich, dass auch Wüst in dem Rennen noch eine Rolle spielt. Sollte Merz wegen der Entwicklungen infolge der Landtagswahlen und der Regierungsbildungen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg "größere Beschädigungen erleiden und als Kanzlerkandidat nicht mehr tragfähig sein, dann sind sicherlich nicht alle in der CDU gleich auf Seiten von Markus Söder. Dann wird es für viele um die Frage gehen, sich auf die Seite von Wüst zu stellen, weil man von Söder schon genug hat." Der Politikwissenschaftler sieht darin auch eine Rolle, die der 68-jährige Merz sehr gut spielen könnte: derjenige zu sein, "der die generationelle Brücke baut in eine neue Ära der CDU". Das würden ihm, sagt Biebricher, viele in der Partei gewiss hoch anrechnen.

Hendrik Wüst (l.) könnte der lachende Dritte seinBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Ob Zweikampf oder Dreikampf, ob Merz, Söder oder Wüst - auf dem Kalender der CDU steht als nächstes ein Termin, der vieles von den Verwerfungen im christdemokratischen Lager in Szene setzen wird. Ende September feiert die Partei den 70. Geburtstag ihrer langjährigen Vorsitzenden Angela Merkel nach, mit gut zwei Monaten Verspätung. CDU-Chef Merz, der nicht müde wird zu betonen, wie er der Partei einen neuen Kurs verordnet und das Steuer herumgerissen habe, wird gewiss lobende Worte für eine Politikerin setzen, die als Ostdeutsche auf ihre Art das westdeutsche Parteienmilieu gut 15 Jahre beherrscht hatte.