CERN: Teilchenbeschleuniger wird größer, stärker, besser
14. Juni 2018
Am Freitag fällt am CERN der Startschuss für die nächste große Modernisierung des Beschleunigerrings. Das Ziel: Noch mehr Teilchenkollisionen erzeugen und Daten gewinnen - über Higgs- und andere Elementarteilchen.
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Das Europäische Kernforschungszentrum CERN ist Europas größte gemeinsame Forschungsanlage. Hier forschen Wissenschaftler aus 85 Ländern - von China bis Südamerika. Es liegt in der Nähe von Genf - auf schweizerischem und französischen Staatsgebiet. In riesigen Beschleunigeranlagen, erzeugen Teilchenphysiker hier Strahlen für alle möglichen Anwendungen in der Grundlagenforschung.
Der größte Beschleunigerring ist der Large Hadron Collider (LHC) mit einem Umfang von 27 Kilometern. Darin lassen Physiker Protonen aufeinanderprallen, die anschließend in winzige Bestandteile zerfallen. Hier wurde 2012 das berühmte Higgs-Teilchen gefunden, hier wollen Forscher herausfinden, welche Zustände beim Urknall herrschten, wie unser Universum aufgebaut ist und was es mit der mysteriösen dunklen Materie auf sich hat.
Das Rechenzentrum des CERN, in dem die Daten dieser Kollisionsversuche gesammelt und verarbeitet werden, ist einzigartig und mit Instituten in der ganzen Welt vernetzt. Hier wurde übrigens auch das World Wide Web erfunden.
Was ist Dunkle Materie?
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Das CERN ist also schon jetzt eine gigantische Anlage. Und es soll noch größer werden:Gut eine Milliarde Euro wird die nächste Modernisierung des LHC in den kommenden Jahren kosten. Bis 2020 wollen die Ingenieure und Teilchenphysiker den Beschleunigerring so aufrüsten, dass er deutlich mehr Teilchenkollisionen erzeugt, und das bei einer höheren Energie als bisher.
Das ganze läuft unter dem Namen"High Luminosity". Luminosity bedeutet "Leuchtkraft". In der Astronomie versteht man darunter die in einer bestimmten Zeit auf allen Bereichen des elektromagnetischen Spektrums abgestrahlte Energie.
Beim LHC ist Luminosity im Prinzip das gleiche: Leuchtkraft wird freigesetzt, wenn Teilchen kollidieren und sich in ihre Bestandteile zerlegen. Die Kollisionsenergie, die der Beschleunigerring den Teilchen verleiht, trägt aber nur zu einem Teil zur erhöhten Leuchtkraft bei.
Bisher erreichte der der LHC 13 Terra Elektronenvolt (TeV). Ab etwa 2020 möchten die Forscher etwa 14 TeV erreichen. Nach der vollständigen Modernisierung soll der dann fertige Hi-Lumi LHC ab etwa 2025 noch höhere Energien erreichen - vielleicht irgendwann sogar über 16TeV.
Diese Steigerung bewirkt zwar für sich mehr Leuchtkraft, am Ende kommt es aber auf die eigentlichen Kollisionen an. Durch weitere technischen Verbesserungen wird deren Zahl in Zukunft deutlich erhöht, so dass die Leuchtkraft etwa um das zehnfache ansteigt.
Präzisere Strahlführung und rotierende Teilchenpakete
Eine der Verbesserungen besteht darin, die Präzision des Teilchenstrahls zu verbessern. Wenn der geschickter geführt wird, treffen mehr Protonen aufeinander und es kommt zu mehr Kollisionen. Derzeit ist der Strahl 16 Mikrometer dünn. In Zukunft soll die Hälfte reichen.
Die Leuchtkraft der Anlage wird zudem dadurch erhöht, dass Teilchenpakete vor dem Aufeinandertreffen durch Hohlraumresonatoren, sogenannte "crab cavities", in Rotation versetzt werden. Dadurch prallen die Pakete vollständiger aufeinander als zuvor, die Anzahl der Teilchenkollisionen pro Teilchenpakete erhöht sich deutlich und damit auch die Ausbeute der durch Kollisionen freigesetzten kleinsten Teilchen.
Die Forscher erwarten zum Beispiel, dass das Hi-Lumi LHC bis zu 15 Millionen Higgs-Teilchen pro Jahr produzieren kann. Noch 2012, als am LHC erstmals die Existenz des lange gesuchten Teilchen bestätigt worden war, konnte der Beschleunigerring gerade mal 1,2 Millionen dieser Teilchen im Jahr produzieren.
Die Suche nach der Weltformel der Physik
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Ziel: Den Aufbau unseres Universums besser verstehen
Aber es geht auch um andere Teilchen, die den Physikern erklären sollen, wie unser Universum im Inneren aufgebaut ist. Auch wenn Alle über Higgs-Teilchen reden: Diese sind grundsätzlich eher selten zu finden. Aber gibt es noch genügend andere Teilchen zu entdecken.
Bisher kommt es am LHC pro Sekunde zu etwa einer Milliarde Protonenkollisionen. Beim Hi-Lumi LHC sollen es fünf mal so viele sein.
Um den LHC dafür zu aufzurüsten, wird nun erstmal fleißig gebaut und eingerichtet. Die Ingenieure installieren stärkere supraleitende Elektromagneten und erneuern die riesigen Detektoren der Anlage von Grund auf. Denn sie müssen mit den höheren Energien klarkommen und sollen die Fragmente, die bei den Kollisionen entstehen auch zuverlässig messen.
Auch das Rechenzentrum des CERN, in dem alle Daten auflaufen wie auf der Speicherkarte einer riesigen digitalen Fotokamera, muss für die neue Aufgabe aufgerüstet werden. Denn die Daten müssen auch in Zukunft zügig an die mit dem CERN verbundenen Rechenzentren in Forschungsinstituten und an Universitäten in aller Welt weiterverteilt werden, wo die Physiker sitzen, die sie auswerten.
Riesenkamera für kleinste Teilchen
Am LHC des CERN wurde zuerst ein Urknall simuliert, später das Higgs-Teilchen nachgewiesen: An dem Teilchenbeschleuniger prallen Ionen mit Lichtgeschwindigkeit aufeinander. Kleinste Elementarteilchen entstehen.
Bild: DW/F.Schmidt
Mini-Urknall
Am 30. März 2010 führten Teilchenphysiker am Teilchenbeschleuniger (LHC) der Europäischen Organisation für Kernforschung einen Mini-Urknall vor. Gegner des Experiments hatten versucht, das gerichtlich noch zu verhindern, weil sie einen Weltuntergang fürchteten. Der kam dann aber nicht. Anstelle dessen gab es viele weitere spannende Entdeckungen.
2013 wurde dann das Higgs-Teilchen nachgewiesen: Im ATLAS-Detektor - einer riesengroßen Digitalkamera. Sie kann die kleinsten Bausteine des Universums fotografieren: Einzelteile der Atomkerne. Das Wandgemälde zeigt, wie groß ATLAS ist. Aber nur fast - denn das Original liegt gut 90 Meter tiefer und ist noch etwas größer.
Bild: DW/F.Schmidt
Helmpflicht für Teilchen-Fotografen
Vier Detektor-Kameras liegen entlang des Large Hadron Colliders (LHC), also des CERN-Teilchenbeschleunigers. Sie heißen ALICE, ATLAS, CMS und LHCb. Wer sie sehen will, muss tief hinunter in den Fels der Schweizer und französischen Alpen. Dort unten herrscht Helmpflicht, denn überall sind Rohre und Leitungen. Leicht kann man sich den Kopf stoßen, oder es fällt ein Werkzeug von oben herab.
Bild: DW/F.Schmidt
Bilder aus der Welt des Urknalls
So sehen die Bilder aus, die die Detektoren schießen. Beim Zusammenprall von Protonen, wie hier am CMS Detektor, oder Blei-Ionen, die mit Lichtgeschwindigkeit aufeinanderprallen, werden die kleinsten der Elementarteilchen freigesetzt - zum Beispiel das jüngst gefundene Higgs-Boson. Es sind Teilchen, aus denen unser Universum in der ersten Billionstel Sekunde nach dem Urknall bestand.
Bild: 2011 CERN
Eisenbahn für Lichtgeschwindigkeiten
In diesem Rohr werden Blei-Ionen und Wasserstoff-Protonen beschleunigt. Sie fliegen durch eine Vakuumröhre mit der Energie eines Schnellzuges. Elektromagneten halten sie in ihrer Bahn. Das Rohr hat einen Umfang von 27 Kilometern. Es liegt unter der Schweiz und Frankreich. Zugänge zu dem Röhrensystem gibt es bei den vier großen Detektoren. Dort finden auch die Teilchenkollisionen statt.
Bild: DW/F.Schmidt
Nicht eins, sondern zwei Rohre
Unter der blauen Ummantelung verbergen sich zwei Rohre, denn die Teilchenströme sollen ja gegeneinander laufen. Obwohl die Protonen und Ionen aus Sicht der Außenstehenden jeweils mit Lichtgeschwindigkeit aufeinander zu fliegen, treffen sie nicht mit doppelter Lichtgeschwindigkeit aufeinander. Aus Sicht eines fliegenden Teilchens, nähert sich das andere nur mit einfacher Lichtgeschwindigkeit.
Bild: DW/F.Schmidt
Eiskühlung für Supraleiter
Die Elektromagnete, die den Teilchenstrahl auf Kurs halten, bestehen aus supraleitenden Spulen. Die Kabel werden auf -271,3 Grad Celsius heruntergekühlt, dann haben sie keinen elektrischen Widerstand mehr. Dazu braucht der Teilchenbeschleuniger viel flüssiges Helium, das hier durch die Rohre fließt. Das CERN betreibt damit den größten Kühlschrank der Welt.
Bild: DW/F.Schmidt
Magneten mit höchster Präzision
Der LHC ist kein präziser Kreis, sondern besteht aus geraden Strecken, unterbrochen von Krümmungen, an denen solche Magneten den Strahl umlenken. Die Elektromagneten sind extrem präzise: Kurz vor der Kollision fokussieren sie den Strahl so genau, dass zwei Protonen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit exakt treffen. Der Zusammenprall findet dann genau in der Mitte des Detektors statt.
Bild: DW/F.Schmidt
Alles musste durch dieses Loch
Die Detektoren sind so groß ist wie mehrstöckige Wohnhäuser. Aber sie mussten alle in vielen Einzelteilen in den Berg eingebracht werden, zum Beispiel durch diesen engen Schacht. Darunter liegt eine gigantische Kaverne, eine Grotte. Darin, wurde ALICE zusammengebaut - ähnlich wie ein Buddelschiff in einer Glasflasche.
Bild: DW/F.Schmidt
Digitalkamera mit 8000 Bildern pro Sekunde
Der ALICE-Detektor in geöffnetem Wartungs-Zustand: Im Betrieb treffen in seinem Zentrum die Ionenstrahlen aufeinander. Die dabei entstehenden Teilchen fliegen in verschiedene Richtungen durch mehrere Schichten von Silizium-Chips - ähnlich den Sensoren von Digitalkameras. Die Chips und andere Detektoren zeichnen die Wege der Teilchen auf. Pro Sekunde entstehen 1,25 Gigabyte an digitalen Daten.
Bild: DW/F. Schmidt
Elektromagnet macht Teilchen erkennbar
Dieser blaue Klotz ist ein riesiger Elektromagnet, ein wichtiger Teil des ALICE-Detektors. Das von ihm erzeugte Feld macht es überhaupt erst möglich, die bei der Kollision entstehenden Teilchen zu identifizieren. Je nachdem, in welche Richtung sie fliegen, können die Forscher zum Beispiel erkennen, ob sie positiv oder negativ geladen oder neutral sind.
Bild: DW/F.Schmidt
Flügel zum Einfang von Myonen
Der Atlas-Detektor hat ganz spezielle Messgeräte: Sogenannte Myon-Spektrometer. Wie große Flügel liegen sie außerhalb des Detektor-Kerns. Damit läßt sich ein schwerer Verwandter des Elektrons einfangen: Das Myon. Es ist schwer zu finden, weil es nur zwei Millionstel einer Sekunde besteht.
Bild: DW/F.Schmidt
Beobachtung aus sicherer Entfernung
Alle Detektoren haben solche Kontrollräume, wie hier ATLAS. Wenn der Teilchenbescheluniger im Betrieb ist, darf sich niemand in den unterirdischen Anlagen aufhalten. Ein außer Kontrolle geratener Protonenstrahl könnte 500 Kg Kupfer schmelzen. Durch austretendes Helium drohen Erfrierungen und Erstickungen. Außerdem kann der Teilchenstrahl Radioaktivität erzeugen.
Bild: DW/F. Schmidt
Wohin mit den vielen Bildern?
40 Millionen Mal pro Sekunde liefern die vier Detektoren Daten. Da nicht alle Kollisionen für die Wissenschaftler interessant sind, wird ausgefiltert: Am Ende bleiben gut 100 interessante Teilchenkollisionen pro Sekunde übrig. Das sind immer noch 700 Megabyte pro Sekunde - der Inhalt einer handelsüblichen CD. Alle Daten landen zunächst hier, im Rechenzentrum des CERN.
Bild: DW/F.Schmidt
Ein weltweites Computernetzwerk
Pro Jahr produziert das CERN so viele Daten, dass ein CD-Stapel von 20 Kilometern Höhe entstünde. Solche Band-Archive können zwar viele Daten aufnehmen, aber das reicht immer noch nicht aus. Die Daten werden deshalb weltweit verteilt: Über 200 Universitäten und Forschungseinrichtungen haben sich mit ihren Rechenzentren zu einem weltweiten CERN-Computernetzwerk zusammengeschlossen.
Bild: DW/F.Schmidt
Daten für die Menschheit
Teilchenphysiker aus der ganzen Welt haben Zugang zu den CERN-Daten. Das CERN versteht sich als Dienstleister für Universitäten und Institute, die Grundlagenforschung betreiben - als Gemeinschaftsprojekt für die ganze Menschheit.