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"Chancen gibt es genug"

Kersten Knipp8. Juli 2015

Die Griechenland-Krise beschäftigt die internationalen Medien. Sie sorgen sich um die Zukunft des Landes wie auch des gesamten europäischen Kontinents. Doch am Ende eines langen Tunnels sehen sie auch etwas Licht.

Ein Ferienhaus in Griechenland mit Blick auf das Meer (Foto: Lux Pixel & Création - Fotolia)
Bild: Fotolia/Pixel & Création

Was wird passieren, wenn sie weg sind? Wenn sie wieder abgereist sind, die rund 1000 internationalen Journalisten, die derzeit aus Athen berichten? Wenn das Interesse an Griechenland irgendwann wieder nachlässt - zu einer Zeit, in der das Land die Eurozone verlassen hat und sich niemand mehr für sein Schicksal interessiert? Es ist ein düsteres Szenario, das die konservative griechische Zeitung "Ekathimerini" in ihrer Mittwochs-Ausgabe entwirft. Griechenland nach dem Euro, warnt sie, wäre kaum wieder zu erkennen: "Ein Land mit nur einigen tausend Touristen, weniger internationalen Flügen, mit abgesagten Kulturveranstaltungen, niedergehenden Geschäften, einem schrumpfenden Markt, steigender Arbeitslosigkeit, Banken, die sich gerade so durchwurschteln, leeren Supermarktregalen." Geht es in Brüssel weiter wie gewohnt, könnte eine solche Zukunft dem Land bald blühen, warnt die Zeitung. Und weist darum noch einmal auf die verhängnisvollen Folgen hin, die entstehen, sollten Griechenland und seine Gläubiger weiter aneinander vorbeireden: "Syriza und die Unabhängigen Griechen sprechen von Würde, während die Partner des Lands dessen Glaubwürdigkeit suchen."

Ernüchterung auf dem Balkan

Sind es wirklich nur die griechischen Unterhändler, an denen die Zukunft des Landes zu scheitern droht? Nein, schreibt die englische Zeitung "The Times" - und weist mit dem Finger nach Deutschland. Die Deutschen, schreibt das Blatt, verbänden die Einheit Europas auf geradezu dogmatische Weise mit der Einheit der Eurozone. "Um das Scheitern dieses brüchigen Konstrukts abzuwenden, ist Deutschland nun bereit, Griechenland aus der Eurozone zu werfen." Und das, so die "Times", habe langfristig verheerende Folgen an den südöstlichen Rändern Griechenlands. Der westliche Einfluss werde dort schrumpfen. "Die auf Mitgliedschaft in der NATO und der EU drängenden Balkanstaaten hatten Griechenland als beispielhaft dafür gesehen, wie man sich in der internationalen Gemeinschaft Akzeptanz verschafft. Wenn sie nun nach Westen schauen, sehen diese Staaten eine EU, die ausländischen Arbeitsmigranten gegenüber feindlich ist und rigide für Haushaltskontrollen eintritt. Eine solche EU scheint nicht allzu attraktiv."

Auch auf dem Balkan, hier in der Stadt Makarska an der kroatischen Riviera, blickt man sorgenvoll auf GriechenlandBild: picture-alliance/dpa

"Marktfundamentalismus"

Die Ernüchterung am Rande Europas ist für den britischen "Guardian" nur der Auftakt zu weiteren politischen Enttäuschungen. Verantwortlich dafür macht er einen "Marktfundamentalismus", der sich vor allem der Bekämpfung der Inflation verschrieben habe. Im Grunde setze diese Politik jene fort, die zu Zeiten des Goldstandards bestanden habe. Damals habe die Geldmenge, weil an das Gold gebunden, nicht gesteigert werden können. Leidtragende waren vor allem die Armen, die an der Knappheit der Währung am meisten hätten leiden müssen. Der einzige Weg, deren Not zu lindern, habe darin bestanden, den Reichtum der europäischen Kolonien zu plündern. Zwar gebe es den Goldstandard nicht mehr, aber an seine Stelle sei der europäische Fiskalpakt getreten, der die Regierungen der EU-Staaten zu einer straffen Haushaltsführung verpflichte. Dagegen hätten sich die Griechen in dem Referendum aufgelehnt - und hätten damit für entsprechendes Entsetzen in Brüssel gesorgt. Denn klar sei: "Die einzige mögliche demokratische Lösung ist der Zusammenbruch des Euros. Alles andere wäre sanfte Tyrannei."

Eine europäische Öffentlichkeit?

Von einem demokratisch repräsentierten Europa möchte in der französischen Zeitung "Libération" auch der Jurist Dominique Rousseau nicht mehr sprechen. Die politischen Institutionen Europas würden der Gegenwart nicht mehr gerecht, so Rousseau. "Die gesamten derzeitigen Instrumente, einschließlich des universalen Stimmrechts, berauben die Bevölkerung ihrer Macht. Denn sie erkennen ausschließlich die Äußerungen ihrer Repräsentanten an. Auf europäischem wie auf nationalem Niveau gilt die Bevölkerung als politisch minderjährig. Darum, so die Überzeugung seiner Vertreter, braucht es einen Tutor." Dabei, fährt Rousseau fort, sei der Staat in Europa selbst an sein Ende gekommen. Sogar seine Bevölkerung habe er verloren. Es gebe nämlich keine nationale, sondern nur noch eine europäische Bevölkerung. Diese sei am vergangenen Sonntagabend entstanden, als Europäer auf dem ganzen Kontinent auf den Ausgang des griechischen Referendums gewartet hätten.

Die Frage ist nur, welcher Art die neue europäische Öffentlichkeit sein könnte. Die portugiesische Zeitung "O Público" ist nicht allzu optimistisch. Als Gewinner des derzeitigen Gezerres um Griechenland sieht sie vor allem die europäischen Populisten, rechter ebenso wie linker Couleur. Sie alle setzten auf Tsipras. Denn der, so ihre Hoffnung, würde die in der EU konzentrierte Macht wieder zurückstutzen. Eines eine sämtliche Populisten: Sie arbeiteteten einem Nationalismus zu, der vor allem auf Vorurteile setze. Im Umfeld der Griechenland-Krise sei das schon jetzt absehbar: Einige der nördlichen EU-Länder scherten die südlichen EU-Staaten über einen Kamm: "Für sie teilen die Südländer die gleichen Schwächen und Laster, die alle nur dazu dienen, den Euro zu schwächen. Darum, so ihre Überzeugung, hätten sie niemals der Eurozone beitreten dürfen."

Stunde der Populisten? Beppe Grillo, Vorsitzender der Bewegung "Cinque Stelle" in ItalienBild: Reuters

Neue Chancen

Vielleicht entsteht aber auch eine europäische Öffentlichkeit anderer Art. Der italienische"Corriere della Sera" verweist auf die Crowd-Funding-Aktion des jungen Briten Thom Feeney. Um das Leid der Griechen zu mildern, rief er im Netz zu Spenden auf. In wenigen Stunden kamen rund zwei Millionen Euro zusammen. Die großzügigsten Spender: Deutsche, Briten und Österreicher. Vielleicht, hofft der "Corriere", setzt sich statt der Volksverführer am Ende doch das Volk durch. Dieses zeichne sich zuletzt womöglich durch ein neues Bewusstsein aus. Es setze nämlich "auf die Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen Kontinent, einer gemeinsamen Demokratie und Kultur".

Damit die Schönheit der Gedanken am Ende auch politische Wirklichkeit werde, weist die deutsche "Tageszeitung" (TAZ) darauf hin, wie wichtig es nun sei, Griechenland dabei zu helfen, wieder auf eigenen Füßen zu stehen. "Chancen gibt es genug: im Energiesektor mit dem Ausbau der Erneuerbaren und der Erschließung von Erdgasfeldern, im Tourismus mit dem Trend zum Aktivurlaub, in der Landwirtschaft, im Handel mit der Nähe zur boomenden Türkei."

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