Chaos bei Mega-Events unausweichlich?
27. Juli 2010Wer in Deutschland eine Großveranstaltung plant, der muss sich an das so genannte Ordnungsamt wenden. Das gehört zur Stadtverwaltung. Im Ordnungsamt gibt es einen verantwortlichen Leiter und der entscheidet mit seinem Team, unter welchen Bedingungen eine Großveranstaltung überhaupt erlaubt werden kann.
Geprüft wird zunächst der Veranstaltungsort durch das Bauamt und die Feuerwehr. Stellt sich der geplante Ort als geeignet heraus, prüft der Technische Überwachungsverein (TÜV) vor allem, was auf dem Veranstaltungsgelände errichtet werden soll. Bei allem entscheidet letztlich das Ordnungsamt und teilt die Ergebnisse den Veranstaltern mit. Im Gespräch mit den Veranstaltern wird dann das endgültige Konzept erstellt und genehmigt. Schwierigkeiten dabei fürchten die Veranstalter aber kaum.
Mega-Events sind oft politisch gewollt
Klaus-Jürgen Eisner ist Event-Manager in Haan bei Düsseldorf, betreibt dort das Internet-Portal "eventmanager.de" und hat jahrelang Veranstaltungen organisiert. Aus eigener Erfahrung weiß er: "Das Ordnungsamt ist grundsätzlich nicht der Feind der Veranstalter. Wenn man vor dem Hintergrund mit dem Ordnungsamt spricht, wird man da wenig Abwehrhaltung gegen geplante Projekte bekommen."
Ob bei den Prüfungen durch die Ordnungsämter schon mal ein Auge zugedrückt wird, beschreibt Hans-Jürgen Schulke, Professor für Eventmanagement an der Macromedia Hochschule in Hamburg als "Balanceakt". Zum Teil hätten die Städte selbst ein Interesse daran, dass eine solche Großveranstaltung mit entsprechendem Konsum Geld in die Städte hineinbringt, erklärt Schulke.
Auszuschließen ist eine politische Einflussnahme auf das Ordnungsamt also nicht. Schließlich ist der Chef des Ordnungsamtes der örtliche Bürgermeister. Will die Politik also aus finanziellen Gründen oder aus Prestigedenken eine Veranstaltung unbedingt am Ort halten, dann wird das Ordnungsamt sich dem nicht verschließen können. Wie geht das Amt dann aber mit den bestehenden Gesetzen um? Die Bedingungen für eine Veranstaltung, vor allem die Vorsichtsmaßnahmen, regelt die Versammlungsstättenverordnung.
Regeln können ausgehebelt werden
In § 6 der Versammlungstättenverordnung (VStättVO) ist zum Beispiel geregelt, wie Ein- und Ausgänge oder Fluchtwege angelegt sein müssen. Danach soll es möglichst weit auseinander gelegene und entgegengesetzte Ausgänge ins Freie geben. Und die Fluchtwege dürfen vom jeweiligen Sitzplatz oder Standort auf dem Gelände nur höchstens 60 Meter entfernt liegen.
In Duisburg war das offenbar nicht der Fall. Man operierte dort mit einer Sondergenehmigung. Klaus-Jürgen Eisner ist sichtlich froh, nichts mit der Organisation von Duisburg zu tun gehabt zu haben, denn er kann das als Klein-Veranstalter kaum fassen: "Man wundert sich schon, warum bei kleinen Veranstaltungen so rigide Richtlinien angewandt und durchgezogen werden und bei Veranstaltungen in dieser unvorstellbaren Größenordnung, wie der Loveparade in Duisburg, dann Sachen erlaubt sind, die schwer vorstellbar erscheinen".
Nicht alles genau festgelegt
Eisner wird auf Nachfrage noch deutlicher. Vorschriften für bestimmte Versicherungsarten zum Beispiel gebe es keine: "Nein, weil ich als Veranstalter die komplette Haftung habe. Das heißt, es ist in meinem eigenen Interesse, bestimmte Dinge zu versichern." Während die Anzahl der eingesetzten Polizei, Feuerwehr- und Rettungskräfte sich nach der Größe der Veranstaltung richtet, bleibt die Anzahl der eingesetzten Ordnungskräfte im Belieben des Veranstalters. "Meines Wissens ist das nicht vorgeschrieben! Es ist ja auch ein Unterschied, ob ich ein Kur-Konzert im Park organisiere oder ein Rapper-Treffen in einem Stadion", erläutert Eisner.
Ebenfalls nicht vorgeschrieben ist der Einsatz modernster Kommunikationstechnik, wie sie Professor Hans-Jürgen Schulke empfiehlt: "Mit den Fan-Festen und dem Public Viewing hat sich das Instrument einer elektronischen Teilnehmerzählung entwickelt. Der Veranstalter weiß also in jeder Minute, ob er 245.000 oder 257.000 Teilnehmer auf dem Gelände hat, um sagen zu können, jetzt müssen Bereiche geschlossen werden. Dieses Instrument ist im Augenblick aber auch noch nicht regelmäßig im Einsatz."
Ausbildung der Veranstalter nicht standardisiert
Es sind nicht nur Lücken in den Vorschriften für Veranstaltungen bedenklich. Es ist das Haifischbecken der Veranstalter selbst. Eine richtige Ausbildung haben vielleicht 30 Prozent von ihnen, schätzt Professor Schulke. Alle anderen seien als Quereinsteiger in das Gewerbe hineingerutscht. Das reiche heute aber nicht mehr aus.
Als Beispiel für die immer komplexer werdende Organisation von Veranstaltungen führt Schulke den eigenen Lehrplan des Event-Managers an. Die Ausbildung reiche von Marketing, dem Suchen nach Trends für tolle Erlebnisse über Kenntnisse zur Ton-, Licht- und Bühnentechnik, den Finanzierungsmöglichkeiten und dem Catering bis hin zur Bewertungen von massenpsychologischen Phänomenen. Der Fall der tödlichen Love Parade in Duisburg habe auch gezeigt, dass ein Fach wie Veranstaltungs-Ethik durchaus Sinn mache, betont der Professor. So lehre er in Hamburg die Abwägung von "Spaß und Profit" gegen "Sicherheit der Besucher".
Lernen aus der Tragödie von Duisburg
"Häufig berichten mir meine Studenten, die wir immer wieder zum Erlernen der Praxis bei Großveranstaltungen einbinden, dass sie sich den Umfang der Organisation nicht so groß vorgestellt hätten." Professor Schulke erwartet daher künftig mehr Professionalität: "Die wird weiter voranschreiten, die Behörden werden mehr Aufmerksamkeit walten lassen und die Geschäftspartner von Veranstaltern werden genauer hinsehen, weil sie mit unnötigem Risiko nicht in Verbindung gebracht werden wollen.
Wer in Zeiten der Globalisierung die internationale Entwicklung von Großveranstaltungen verfolgt, der hat so etwas wie in Duisburg kommen sehen. Es ist jetzt die Zeit, dass hier neue Maßstäbe entwickelt werden.
Autor: Wolfgang Dick
Redaktion: Frank Wörner