Chaos im Paradies Vanuatu
20. März 2015Kurz bevor die Maschine auf der Piste aufsetzt, kann ich von meinem Fensterplatz die Beleuchtung der Landebahn sehen. Aber das war es dann auch mit Licht. Terminal und Vorfeld liegen zunächst in tiefem Dunkel. Man will keinen Strom für "Unwichtiges" verbrauchen. Dann wird der Weg vom Flugzeug zum Terminal für die ankommenden Passagiere durch die Scheinwerfer eigens aufgereihter Autos beleuchtet. Im Terminal selbst schimmert nur Notbeleuchtung.
Am Morgen fahre ich durch die Hauptstadt. Noch immer liegen Bäume quer über den Straßen, Menschen hausen in Häusern, von denen höchstens noch die Wände stehen. Überall wird gebaut und repariert. Doch es geht extrem langsam voran. Die Versorgung mit Trinkwasser ist noch nicht wieder hergestellt. Nach wie vor sind Tankwagen unterwegs, um Trinkwasser zu verteilen. Festnetztelefone funktionieren nur sporadisch, das Internet nur stundenweise. Nur Mobiltelefone scheinen hier in Port Vila wieder zuverlässig zu arbeiten - aber außerhalb der Hauptstadt und auf den anderen Inseln wohl noch nicht.
Hier in der Hauptstadt soll es 20 bis 30 Supermärkte geben. Genau vier davon sind geöffnet. Diese wenigen haben funktionierende Generatoren. Andere Geschäfte haben ihre Tiefkühlkost verschenkt - oder gleich ins Meer geworfen. Im Hafen hängen Schiffe und Boote zerstört an den Kaimauern. Zwei Passagierschiffe sind an Land geschleudert worden.
Retten, was zu retten ist
Mein Fahrer heißt Carlos. Er kennt sich auf der ganzen Insel Efate aus. Erst vor zwei Tagen ist er aus Takara, seinem Heimatdorf im Norden der Insel, zurückgekommen. "Dort steht nichts mehr", erzählt er mit Tränen in den Augen. "Zuerst kam der Wirbelsturm, um sich eine Viertelstunde lang an unseren Häusern auszutoben.“ Schon danach habe noch kaum ein Gebäude mehr gestanden. "Und dann kam das Wasser - und mit dem Wasser Unmengen von Sand. Der hat alles, was in den Häusern war, unter sich begraben."
In Takara und in Tausenden anderer Dörfer der Inselrepublik versuchen die Menschen zu retten, was noch zu retten ist. Oft ist es nicht viel. Das Meer habe es gefressen, sagen sie.
Wie hoch die Zahl der Todesopfer ist, weiß immer noch niemand genau. Derzeit spricht man von acht Toten, die durch den Wirbelsturm ums Leben kamen. Doch diese Zahl kann sich erhöhen, denn viele Teile des Inselstaates sind auch fünf Tage nach der Katastrophe noch abgeschnitten.
Jahrelanger Wiederaufbau
Starke Winde, hin und wieder auch tobende Stürme sind nichts Neues für die Menschen in Vanuatu. Sie leben vom Meer und sie leben mit dem Meer. Sie hatten sich arrangiert. Doch der Zyklon vom vergangenen Wochenende war anders: So brutal und so lang anhaltend war noch kein Wirbelsturm zuvor.
Es werde schwer, sagt Baldwin Lonsdale, der Präsident des Inselstaates. Der Wiederaufbau könne bis zu zehn Jahre dauern. Doch Vanuatu werde die Katastrophe überwinden, ist er überzeugt.
Für die Bewohner kommt aber ein neues Problem hinzu: Sie sehen sich mehr und mehr gezwungen, vor "ihrem" Meer zu flüchten. "Der Meeresspiegel steigt sichtbar an", sagt Carlos. Er habe es erst sehr spät erkannt, aber seit rund fünf Jahren komme das Wasser immer dichter an die Häuser heran.
Hilfe kommt nur schleppend in Gang
Rund 250.000 Einwohner hat der Staat. Sie verteilen sich auf knapp 70 Inseln, rund 15 weitere sind unbewohnt. Dass das Land eines Tages einfach untergehen könnte - so, wie es den Malediven droht - das ist hier wohl unmöglich. Denn Vanuatu ist ein gebirgiges Land. Der Tabwemasana ist mit 1879 Metern der höchste Gipfel, fast alle Inseln sind bergig. Doch bewohnbar sind praktisch nur die schmalen Küstenstreifen zwischen den Steilhängen und dem Meer. Und genau auf diesen Küstenstreifen, wo über 95 Prozent der Bevölkerung leben, wird es immer enger. Denn das Wasser rückt immer näher an die Berge heran.
Doch nun konzentrieren sich alle erst einmal auf den Wiederaufbau. In vielen Regionen heißt das: Jeder ist sich selbst der Nächste. Denn von öffentlicher Seite ist beim Neubau der Wohnhäuser keine Hilfe zu erwarten. Die Hilfsorganisationen aus dem Ausland stellen übergangsweise nur einfache Zelte für die Familien zur Verfügung. Das geht für ein paar Wochen, vielleicht auch für zwei Monate. Aber den nächsten "normalen" Sturm dürften viele der Notunterkünfte nicht überstehen.
Alleine in und um Port Vila hat der Wirbelsturm Dutzende Schulen getroffen. Bei einigen fehlt nur das Dach, andere sind bis auf die Grundmauern weggeblasen. Nach amtlichen Schätzungen sollen zwischen 60 und 80 Prozent der Schulgebäude beschädigt oder ganz zerstört sein. Zwei bis drei Monate soll es dauern, bis wieder regelmäßiger Unterricht möglich ist. Viele Eltern sind nicht böse, dass ihre Kinder außerplanmäßig Ferien haben. Denn beim Wiederaufbau der Wohnhäuser wird jede Hand gebraucht.