Chassiden in Uman: "Wir fühlen genauso wie die Ukrainer"
23. September 2025
Die "Straße der Touristen" markiert das chassidische Viertel von Uman, rund 200 Kilometer südlich von Kyjiw. Zahlreiche Hotels dort haben ihre Informations- und Werbeschilder in hebräischer Schrift aufgehängt.
Wie jedes Jahr im September pilgern Chassiden zum Grab des Zaddik, des rechtschaffenen Rabbi Nachman, und feiern das jüdische Neujahrsfest Rosch ha-Schana. Der Chassidismus zählt zum ultraorthodoxen Judentum und entstand im 18. Jahrhundert in Osteuropa. Seit dem Holocaust liegen seine Zentren vor allem in den USA und in Israel.
Wie kommen die Chassiden ins ukrainische Uman?
Die Anreise nach Uman ist für die Pilger schwieriger geworden seit dem russischen Überfall auf die Ukraine. Mit dem Flugzeug geht es nur bis nach Rumänien, in die Republik Moldau oder nach Polen, ab da müssen sie zumeist einen Bus nehmen.
Viele Pilger seien erst sehr spät angekommen, berichtet Iryna Rybnyzka. Sie ist Geschäftsführerin der gemeinnützigen Stiftung "Historisch-kulturelles Zentrum der Stadt Uman". Der Feiertag begann in diesem Jahr mit dem Sonnenuntergang des 22. September. Zwei Tage zuvor war Schabbat und die gläubigen Juden durften nicht reisen. "Die Rabbiner rieten den Pilgern, dort zu warten, wo sie während des Schabbats waren", sagt Rybnyzka.
Dennoch sind über 35.000 Chassiden nach Uman gekommen. Das entspricht nicht den Erwartungen, aber ungefähr den Zahlen aus dem vergangenen Jahr. "Jeder weiß, dass es eine sehr lange Reise hierher ist. Aber alle kommen", freut sich der kanadische Chassid Shmaya Friedman, der über Italien nach Polen geflogen und dann mit dem Bus nach Uman gefahren ist.
Mehr als 30 Stunden benötigte Abraham Kaufman von New York bis Uman. Aber es habe sich gelohnt, findet er: "Rosch ha-Schana ist für uns wie eine Prüfung, bei der Gott entscheidet, ob ein Mensch im neuen Jahr gesund und erfolgreich sein wird. Wenn man einen Fürsprecher wie Rabbi Nachman hat, dann sind es die 30 Stunden Reise wert." Kaufman kommt seit 28 Jahren nach Uman, zunächst mit seinem Vater, jetzt begleiten ihn seine eigenen Söhne.
Wie stehen die Einwohner von Uman zu den Chassiden?
Kurz vor dem Feiertag decken sich die Chassiden noch mit Lebensmitteln ein. Manche tun dies in einem Supermarkt im "chassidischen Viertel". Dort gibt es viele Lebensmittel aus Israel, allerdings zu hohen Preisen. Viele Pilger kaufen deshalb auf dem Markt in Uman ein. "Sie wollen Zitronen, Trauben, Granatäpfel, aber nicht viele. Sie verhandeln und drücken die Preise", klagt die Verkäuferin Kateryna.
Auch auf den Märkten feiern die Chassiden, singend und tanzend. Das gefällt nicht jedem. "Sie sind wie Wilde. Unsere Leute sind gebildeter", ärgert sich Verkäufer Roman. Viel verdienen könne er an den Chassiden auch nicht. Andere Verkäuferinnen halten die lauten Feiern angesichts des Krieges für unangebracht.
Obwohl die Feiernden die meiste Zeit im "chassidischen Viertel" von Uman verbringen, sind sie doch in der ganzen Stadt präsent. Die meisten Einwohner sind daran gewöhnt, dass ihre Stadt einmal im Jahr für wenige Wochen um fast die Hälfte wächst. "Das ist eine Gelegenheit, Geld zu verdienen, denn es gibt hier keine anderen Möglichkeiten", sagt Switlana. Sie hat nach der Schließung eines Kindergartens, in dem sie als Köchin arbeitete, eine Anstellung im Speisesaal einer der Synagogen gefunden.
Eine Stadt mit tragischer Geschichte
Chassidische Juden betrachten Uman als heilige Stadt mit einer langen und tragischen Geschichte. Es war das Vermächtnis ihres geistlichen Führers Rabbi Nachman, hier begraben zu werden. So wollte er den Märtyrern näher sein, den Tausenden von Juden, die während des Kolijiwschtschyna-Aufstands in Uman getötet wurden.
1768 hatten sich die Hajdamaken, ukrainische Bauern und Kosaken, gegen die polnische Feudalherrschaft erhoben. Der Aufstand gipfelte in Massakern an Katholiken und Juden. Heute steht in der Nähe des chassidischen Viertels von Uman ein Denkmal für die Anführer der Hajdamaken, das 2015 trotz Protesten der jüdischen Gemeinde errichtet wurde.
Was denken Chassiden über die Kriege in der Ukraine und Israel?
Die Pilger in Uman sind vom Krieg nicht allzu beunruhigt. Die meisten geben zu, dass sie bei Luftangriffen keine Schutzräume aufsuchen. "Wann ist hier das letzte Mal etwas angeflogen gekommen?", fragt der Pilger Abraham aus den USA lächelnd und fügt hinzu: "Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass mich eine Rakete trifft?"
Uri, ein Notarzt aus Israel, arbeitet in einem mobilen Gesundheitszentrum im "chassidischen Viertel". Er reagiert empört auf die Frage, ob er Angst vor Artilleriebeschuss habe: "Sie sprechen mit jemandem, der zwei- oder dreimal pro Woche unter Beschuss steht. Sie wollen uns etwas über Beschuss erzählen?"
Alle Chassiden zeigen sich im Gespräch mit der DW dankbar dafür, nach Uman kommen zu können. Was den Krieg angeht, versichern sie, für den Sieg der Ukraine zu beten. "Weil in Israel Krieg herrscht, verstehen wir das ukrainische Volk. Wir fühlen genauso wie die Ukrainer", sagt ein israelischer Pilger, der seinen Namen nicht nennen will.
Die meisten orthodoxen Juden, darunter auch die Chassiden, arbeiten nicht und waren lange Zeit auch vom Militärdienst befreit. Diese Privilegien führen in Israel zu hitzigen Debatten. Im Juni 2024, mehr als ein halbes Jahr nach Beginn der israelischen Militäroperation nach dem Hamas-Angriff, entschied Israels Oberster Gerichtshof, dass auch die orthodoxen Juden der Wehrpflicht unterliegen. Dennoch bleibt ihr Anteil in der israelischen Armee verschwindend gering.
Der Pilger Nathan aus Israel erklärt dazu, strenggläubige Chassiden würden ihre ganze Zeit dem Studium religiöser Texte widmen. Nathan wünscht sich, dass die von der Hamas festgehaltenen Geiseln schnell freigelassen werden und der Krieg mit einem Frieden endet.
Das diesjährige Rosch-ha-Schana-Fest verläuft ohne Zwischenfälle. Das Pilgerviertel ist von Kontrollpunkten umgeben und Polizisten aus verschiedenen Regionen der Ukraine sind im Einsatz. Alkohol, Waffen und Drogen dürfen nicht in das Viertel mitgebracht werden. Der israelische Polizeisprecher Michael Singerman unterstützt zusammen mit neun weiteren Polizisten aus Israel die ukrainischen Kollegen bei Patrouillen.
Verstöße würden streng geahndet, betont Singerman, bis hin zur Abschiebung und einem Einreiseverbot in die Ukraine. Für Chassiden wäre dies eine Tragödie, denn ihrem Glauben nach sollten sie jedes Jahr zum Grab von Zaddik Nachman pilgern. Weshalb die meisten auch wieder nach Uman kommen wollen.
Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk