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Politik

Chemnitz kommt nicht zur Ruhe

8. September 2018

Nach Massendemos und Krawallen sorgt ein antisemitischer Angriff für neue Aufregung in Chemnitz. Zugleich wächst der Druck auf Verfassungsschutz-Chef Maaßen, der die Echtheit eines "Hetzjagd"-Videos angezweifelt hatte.

Chemnitz jüdisches Restaurant Schalom
Bild: Getty Images/AFP/J. MacDougall

Es hätte ein Tag zum Durchatmen werden können in Chemnitz: Zwei angekündigte Versammlungen in der Innenstadt blieben am Samstag weitgehend ohne Zulauf. Doch nun sorgt die erst spät bekannt gewordene Anzeige eines jüdischen Restaurants wegen einer Attacke bei den Ausschreitungen vor zwei Wochen für Aufregung.

Das Restaurant "Schalom" liegt am Rande der Innenstadt und ist ein schmuckes Lokal in einer ruhigen Wohngegend. Rund 40 Gäste haben dort Platz, es wird koscheres Essen serviert. Geschäftsführer Uwe Dziuballa (Artikelbild) schildert den Vorfall vom Montag vergangener Woche so: An dem Tag habe es im Restaurant einen Vortrag gegeben. Gegen 21.40 Uhr, als schon fast alle Besucher das Lokal verlassen hätten, sei er wegen eines Geräuschs vor die Tür getreten. Vor ihm hätten zwischen zehn bis zwölf zum Teil vermummte Personen gestanden.

"Entweder habe ich laut gedacht oder leise gesagt: Haut ab", erinnert sich Dziuballa. Er meint, den Satz "Judensau, hau ab aus Deutschland!" gehört zu haben. In der derselben Sekunde seien Steine, Flaschen und eine Eisenstange an ihm vorbeigeflogen. Er sei an der rechten Schulter getroffen worden. "Nach weiteren drei oder vier Sekunden war das Ganze vorbei." Dziuballa rief sofort die Polizei, die auch schnell am Restaurant war.

Kretschmer: "Eine schändliche Tat"

Schon in der Vergangenheit war es mehrmals zu Angriffen aus das Lokal gekommen. Seit ein paar Jahren waren diese aber ausgeblieben. Die Polizei Chemnitz wollte sich am Samstag zu der Anzeige nicht äußern. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) verurteilt die Attacke scharf: "Das ist eine ganz schändliche Tat. Es zeigt, wie sehr sich da die Gewalt Bahn bricht", sagte er.

In der Chemnitzer Innenstadt war es unterdessen weitgehend ruhig. Eine Versammlung gruppierte sich um die Kerzen, Blumen und Fotos an dem Ort, an dem vor knapp zwei Wochen ein 35-jähriger Deutscher mutmaßlich von Asylbewerbern getötet wurde. Zwei Versammlungen wurden von Privatpersonen angemeldet, doch es kamen nur wenige. "Es sind Personen im unteren zweistelligen Bereich", sagt ein Polizeisprecher. Noch am Freitag hatten in der Stadt Tausende demonstriert.

Politische Kundgebungen hatten am Samstag nur wenig Zulauf Bild: picture-alliance/dpa/H. Schmidt

Kramp-Karrenbauer: Maaßen soll Belege vorlegen

Unterdessen steht Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen weiter unter massivem politischen Druck, nachdem er die Echtheit eines Videos angezweifelt hat, das eine "Hetzjagd" auf Migranten zeigen soll und und in den Medien verbreitet worden war.

CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer sagte bei einem hessischen Wahlparteitag, Maaßen müsse Beweise vorlegen. Er habe "eine Behauptung getätigt und die muss er jetzt entsprechend belegen und auf diesen Beleg hat die Öffentlichkeit auch ein Recht."

SPD-Chefin Andrea Nahles zog die Eignung von Maaßen und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) für ihr jeweiliges Amt in Zweifel. "Die Äußerungen Seehofers, aber auch des Präsidenten des Verfassungsschutzes Maaßen aus der vergangenen Woche lassen zweifeln, ob die beiden geeignet sind, unsere Verfassung und damit unsere Demokratie zu schützen", sagte Nahles dem Berliner "Tagesspiegel". Seehofer hatte nach den Ausschreitungen in Chemnitz die Migrationsfrage als "Mutter aller politischen Probleme" in Deutschland bezeichnet. 

Grüne wollen Verfassungsschutz neu aufstellen

Die Grünen forderten eine Auflösung des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Die Bundesregierung könne nicht die Augen davor verschließen, dass der Verfassungsschutz unter Maaßen "vor die Wand gefahren ist", erklärten die Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck. Nun sei eine "klare Zäsur" notwendig.

Für einen neuen Verfassungsschutz: Annalena Baerbock und Robert HabeckBild: Reuters/H. Hanschke

"Der Verfassungsschutz braucht einen Neustart", forderten die beiden Parteichefs. Nötig sei ein personell und strukturell völlig neues "Bundesamt zur Gefahrenerkennung und Spionageabwehr", das klar abgegrenzt von polizeilichen Aufgaben arbeite. 

gri/wa (dpa, afp)

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