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Politik

Chemnitz-Prozess: Rechtsextreme Gewalt vor Gericht

10. Dezember 2023

2018 jagten rechte Gewalttäter tagelang vermeintliche Migranten durch Chemnitz und griffen Demonstranten an. Fünf Jahre nach den Ausschreitungen beginnt am Montag der Prozess gegen sieben Beschuldigte.

Demonstrierende mit Plakaten und Transparenten. In der Bildmitte hält jemand ein großes rotes Herz hoch, auf dem "Herz statt Hetze" steht
"Herz statt Hetze": Mitglieder des Bündnisses protestieren in Chemnitz am 1.9.2018 gegen rechte Gewalt (Archivbild)Bild: Sean Gallup/Getty Images

Auf diesen Moment haben die Opfer rechtsextremer Gewalt lange gewartet: Vor dem Landgericht Chemnitz beginnt am 11. Dezember nach fünf Jahren der Prozess zu den Ausschreitungen am 1. September 2018, bei denen elf Menschen verletzt wurden.

Beim Prozessauftakt am Montag geht es um sieben Beschuldigte im Alter zwischen 26 und 51 Jahren, denen gefährliche Körperverletzung und Landfriedensbruch vorgeworfen wird. Für den Prozess sind insgesamt elf Verhandlungstage bis Ende Januar angesetzt.

"Gewalttätige Auseinandersetzungen"

Laut Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft Dresden "sollen die Angeklagten am 1. September 2018 zwischen 19:55 Uhr und 20:15 Uhr in der Innenstadt von Chemnitz im Anschluss an eine von AfD, Pegida und Pro Chemnitz organisierte Veranstaltung, gewalttätige Auseinandersetzungen mit Teilnehmern der Demonstration 'Herz statt Hetze' begangen haben. Insgesamt sollen elf Personen durch verschiedene Handlungen verletzt worden sein. Den Angeklagten wird jeweils Landfriedensbruchs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in elf tateinheitlichen Fällen vorgeworfen." (AZ: 4 KLs 373 Js 46/20).

Chemnitz kämpft gegen Rechts

05:24

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Die von der AfD, der rechtspopulistischen Vereinigung "Pro Chemnitz" und der rechtsextremen Organisation "Pegida" (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) organisierte Veranstaltung fand in einer politisch angespannten Lage in Chemnitz statt.

Tagelanger Ausnahmezustand

Anlass war der Tod eines 35-Jährigen, Daniel H. Der Deutsche mit kubanischen Wurzeln war in der Nacht zum 26. August 2018 nach einem Streit am Rande eines Stadtfestes in Chemnitz erstochen worden.

Der Fall und dessen Folgen hatten international Aufmerksamkeit erregt. Einer der Tatverdächtigen, der Syrer Alaa S., wurde am 22.8.2019 wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt.

Trauer und Wut: Nach dem gewaltsamen Tod von Daniel H. kam es in Chemnitz 2018 zu tagelangen AusschreitungenBild: Odd Andersen/AFP/Getty Images

Nach der Tötung befand sich die Stadt tagelang im Ausnahmezustand. Es kam zu Massendemonstrationen gegen Einwanderung und Flüchtlingspolitik.

Opferberatungsstellen sprechen von einer "Neonazi-Hetzjagd". Um den fremdenfeindlichen Kundgebungen etwas entgegenzusetzen, kam es auch zu Gegendemonstrationen unter dem Motto "Herz statt Hetze".

29 Tatbeteiligte, 43 Zeugen

Im Gerichtssaal des Landgerichts Chemnitz dürfte es am Montag eng werden. Für die Presse sind 20 Plätze reserviert. Aufgrund der vielen Angeklagten - nach Angaben des Landgerichts Chemnitz sind 29 Tatbeteiligte ermittelt worden - gibt es drei Prozesse. Bisher seien 43 Zeuginnen und Zeugen geladen. 

Die Vorsitzende Richterin am Landgericht Chemnitz, Petra Kürschner, machte gegenüber der DW deutlich, dass es sich bei dem Prozess nicht um eine politische Aufarbeitung der Ereignisse handelt.

Chemnitz im Aufruhr: Demonstranten der rechten Szene drohen Gegendemonstrierenden am 27.8.2018 unverhohlen mit GewaltBild: Jan Woitas/dpa/picture alliance

"Eine politische Aufarbeitung darf nicht durch das Gericht erfolgen", stellte sie klar. "Wir haben in dem Verfahren festzustellen, ob die Angeklagten sich einer Straftat schuldig gemacht haben, und wenn es zum Schuldspruch kommt, wie jede dieser Personen aufgrund der individuellen Schuld dafür zu ahnden ist."

"Rechter Protest ist Normalität"

Im Gegensatz zur erst jetzt beginnenden juristischen Aufarbeitung ist das politische Klima der Stadt weiterhin von den Ereignissen 2018 geprägt. "Rechter Protest ist in Sachsen zur Normalität geworden", heißt es der Schriftenreihe "Rechts unten" von der Nichtregierungsorganisation Kulturbüro Sachsen. "Mit den Ausschreitungen in Chemnitz 2018 kam es zum offenen Schulterschluss der extremen Rechten, vom parlamentarischen Flügel um die AfD über neurechte Organisationen bis hin zu rechten Hooligans und Nazigruppierungen."

Rechtsextremismusforscherin Beate Küpper, die an der Hochschule Niederrhein lehrt, bestätigt den Trend: Der Rechtsextremismus habe es geschafft, in relativ breite Milieus der Bevölkerung hineinzusickern, erklärte sie in einem TV-Interview. Gewalttaten würden als Widerstand gerechtfertigt.

"Schwerpunkt politisch motivierte Kriminalität"

In Sachsen spiegelt sich dies in der polizeilichen Kriminalstatistik wider. Für das Jahr 2022 wird dort eine Zunahme der politisch motivierten Kriminalität um ein Drittel gegenüber dem Vorjahr festgestellt.

"Politisch motivierte Kriminalität rechts bildet, mit einem Anteil von zirka 30 Prozent an allen politisch motivierten Straftaten, nach wie vor einen Schwerpunkt", heißt es in der Polizeilichen Kriminalstatistik des Freistaates Sachsen 2022.

Kapitalismus und Kommunismus: Von 1953 bis 1990 hieß Chemnitz Karl-Marx-Stadt. Mit dieser Kreditkarte erregte die Sparkasse Chemnitz weltweit AufsehenBild: Hendrik Schmidt/dpa/picture alliance

Rechtsruck im Stadtrat

In den politischen Gremien hat sich der Rechtsruck fest etabliert. Bei den Kommunalwahlen 2019 erreichte die AfD in Chemnitz 17,9 Prozent und konnte somit ihren Stimmenanteil gegenüber 2014 (5,6 Prozent) mehr als verdreifachen.

Die rechtspopulistische Wählervereinigung Pro Chemnitz steigerte sich von 5,7 auf 7,7 Prozent. SPD, Linke und CDU hingegen verloren deutlich an Wählerstimmen. Der Wahlkampf für die Kommunalwahlen am 9. Juni 2024 läuft bereits auf Hochtouren.

Einen Tag vor den Wahlen findet das Festival für Demokratie, Gesellschaft, Musik und Kultur "Kosmos Chemnitz" statt, zu dem rund 50.000 Besucher erwartet werden. Das Festival wurde nach dem 1. September 2018 als Antwort auf rechtsextreme Gewalt ins Leben gerufen und soll die Rolle von Chemnitz als Kulturhauptstadt Europas 2025 einläuten.

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