1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Eine endgültige Scheidung?

Victoria Dannemann
8. Februar 2018

Drei Wochen nach dem Besuch von Papst Franziskus in Chile scheint sich das Land noch weiter von der Katholischen Kirche zu entfernen. Ein Missbrauchsfall treibt einen Keil zwischen Gläubige und Pontifex.

Chile Demonstrationen nach Papstbesuch
Bild: picture-alliance/dpa/NurPhoto/F. Lavoz

Dass der Besuch von Papst Franziskus in Chile schwierig werden würde, hatten viele erwartet. Aber drei Wochen später wird klar: Niemand hatte so recht vorhergesehen, wie sehr die Verstrickung des chilenischen Bischofs Juan Barros in einen Missbrauchsfall das Vertrauen in Rom erschüttern würde.

Auf dem überwiegend katholischen Kontinent ist die aktuelle Entfremdung zwischen Gläubigen und Papst ein einzigartiger Vorgang - und das mit dem ersten lateinamerikanischen Pontifex.

Der Ankunft des Papstes gingen sogar Brandanschläge auf Kirchen voraus, und den Gottesdiensten des Heiligen Vaters wohnten weit weniger Menschen bei als von den Organisatoren erwartet. Was unterscheidet Chile von anderen lateinamerikanischen Ländern?

Laut einer Umfrage von Anfang Januar in 18 Ländern der Region die von Latinobarómetro, einer Non-Profit-Organisation für sozialwissenschaftliche Erhebungen erstellt wurde, ist Chile das lateinamerikanische Land, in dem man der Katholischen Kirche am wenigsten vertraut und den Papst am schlechtesten bewertet. Franziskus erhielt auf einer Notenskala von 0 bis 10 die Bewertung 5,3. Im Jahre 1995 erklärten sich noch 74 Prozent der Chilenen für katholisch, heute sind es nur noch 45 Prozent. Insgesamt gaben nur 36 Prozent der chilenischen Bevölkerung an, Vertrauen in die Katholische Kirche zu haben.

Fortgeschrittene Säkularisierung 

Einer der Faktoren ist eine besonders weitreichende Säkularisierung der chilenischen Gesellschaft. "Obwohl es sich um einen Prozess handelt, der ganz Lateinamerika betrifft, ist er in Chile besonders ausgeprägt. Die mit dem Wirtschaftsboom verbundene Modernisierung verstärkte den Trend zur Individualisierung", erklärt Philosophieprofessor Álvaro Ramis von der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universidad de Chile in der Hauptstadt Santiago de Chile.

Zum Gottesdienst in Iquique kamen weniger Menschen als erwartet. Bild: Reuters/A. Bianchi

Während der Pinochet-Diktatur genoss die Kirche noch einen Ruf als politischer und sozialer Akteur, der sich glaubwürdig für die Verteidigung der Menschenrechte und für die Solidarität mit den Ärmsten einsetzte. Doch der Missbrauchsskandal untergrub das ohnehin schwindende Ansehen weiter. "Der Image-Schaden und der Vertrauensverlust ist hier weit ausgeprägter als in anderen Ländern", meint Álvaro Ramis.

Die Missbrauchskrise um Bischof Barros verschärft sich

Die Pastoralreise des Papstes wurde überschattet von den Vorwürfen gegen Bischof Juan Barros, der den Missbrauch von Kindern durch den Priesterausbilder Fernando Kardima vertuscht haben soll. Die Ernennung des Kardima-Vertrauten Barros zum Bischof von Osorno im Jahre 2015 durch Papst Franziskus verschärfte die Krise schon vor dem Papst-Besuch, sagt Álvaro Ramis: "Der Missbrauchsfall wiegt schwer, aber die Vertuschung hat die Menschen erst recht empört. Das Verbrechen eines einzelnen Klerikers ist eine Sache, aber die Vertuschungsversuche betreffen die gesamte Kirche."

Bischof Juan Barros während der Papstmesse in IquiqueBild: Reuters/A. Bianchi

Barros nahm während des Papstbesuchs an den Gottesdiensten teil, was für zusätzliche Kritik sorgte. Darauf angesprochen, forderte Papst Franziskus barsch Beweise für die Vorwürfe gegen Barros. Kurz darauf entschuldigte er sich für den Schmerz, den seine Worte bei den Angehörigen der Opfer ausgelöst haben mussten. Eines der Opfer enthüllte nun, dass Papst Franziskus bereits 2015 von den Vorwürfen gewusst haben könnte. Über den US-amerikanischen Kardinal Sean O'Malley, Franziskus' Berater für Missbrauchsfälle, hatte der Laie Franziskus über den Missbrauch und Barros' Schweigen informiert.

Papstbesuch vertieft die Entfremdung

"Papst Franziskus hat eine große Gelegenheit verspielt seiner Null-Toleranz-Botschaft Glaubwürdigkeit zu verleihen", sagt Juan Carlos Claret, Sprecher der Katholischen Laienorganisation Chiles. "Stattdessen hat er die undurchsichtigen Strukturen, den blinden Gehorsam und den autoritären Machtmissbrauch innerhalb der Kirche bestätigt."

Die kleine Gruppe der Katholiken, die der Katholischen Kirche treu bleibt, identifiziert sich indes mit den konservativsten Strömungen. "Es gibt eine streng katholische Anhängerschaft in der Wirtschaftselite des Landes. Sie ist klein, sehr einflussreich und orientiert sich an einer strengen Sexualmoral", sagt Philosoph Álvaro Ramis. "Papst Franziskus spricht diese Leute mit seiner Botschaft der Sozial-Ethik nicht an." Letztendlich, so scheint es, schwimmt Franziskus in Chile also gegen alle Ströme und erreicht weder die katholischen Eliten noch die breite Bevölkerung.