Ein Star der globalen Literaturszene
15. September 2019Es ist ein vergleichsweise kleiner Preis, mit dem Chimamanda Ngozi Adichie am Sonntag (15.09.2019), an ihrem 42. Geburtstag, in Kassel ausgezeichnet wurde. Die nigerianische Schriftstellerin bekam - wie vor ihr unter anderen schon Ai Weiwei und Edward Snowden - den Bürgerpreis "Glas der Vernunft" als "eine kämpferische, aber nicht fanatische Persönlichkeit, die anprangere, aber auch Wege zur Veränderung aufzeige". Es sei eine "Graswurzelsache", eine Angelegenheit der Bürger der hessischen Stadt, deshalb freue sie sich besonders darüber, sagte Adichie im Gespräch mit der Deutschen Welle. Denn Preise bestärkten sie darin, dass das, was sie tue, etwas bewirke, und dass es wichtig sei weiterzumachen.
Zweifel daran sollte sie eigentlich nicht mehr haben. Adichies Bücher und ihr politischer Kampf gegen Sexismus und Rassismus sind längst kein Phänomen mehr, das nur für ihr Heimatland Nigeria von Bedeutung wäre. Als sie während des Internationalen Literaturfestivals in Berlin auftrat, wurde sie bejubelt wie ein Popstar. Minutenlang feierte das Publikum im Theater "Hebbel am Ufer" die Autorin, als diese die Bühne betrat. Dabei klang der Reihen-Titel "The Art of Writing" (Die Kunst des Schreibens), unter dem ihre Veranstaltung angekündigt war, eher theoretisch als populär. Doch die Zuhörerinnen und Zuhörer, darunter auffällig viele Frauen mit attraktiver Afromähne, kannten ihren Star, Adichies Bücher - und vor allem aber auch ihre TED-Talks, deren Videoaufzeichnungen den Feminismus in der Popkultur verankert hatten.
Eine Doppel-Karriere zwischen Uni und Schreiben
Kurzgeschichten und erste Romane veröffentlichte die 1977 in eine Akademikerfamilie im südlichen Nigeria geborene Adichie schon während ihres Studiums. Mit 19 ging sie in die USA, um in Philadelphia Politik- und Kommunikationswissenschaften zu studieren. 2003 folgte ein Master-Titel in Creative Writing, 2008 einer in Afrikanistik an der Yale University. Danach standen ihr die Türen der besten akademischen Adressen offen: 2005 war sie Fellow-Stipendiatin an der Princeton, 2011/12 an der Harvard University. In diesen Jahren wurde sie zur Grenzgängerin zwischen den USA und ihrem Heimatland Nigeria, literarisch und im realen Leben. Auch heute noch teilt sie ihre Zeit zwischen den beiden Ländern auf.
Schon ihr 2003 erschienener Debutroman "Purple Hibiscus" (deutsch 2005, "Blauer Hibiskus"), eine aus der Perspektive einer 15-Jährigen erzählte Geschichte, die in den politischen Wirren im Nigeria der 1990er Jahre spielt, gewann Preise. Ihren zweiten Roman "Half of a Yellow Sun" (2007, "Die Hälfte der Sonne") siedelte Adichie in den 1960er Jahren des 20. Jahrhunderts an, als die Region Biafra nach Nigerias Souveränität 1960 die eigene Unabhängigkeit anstrebte.
"Americanah" - Roman einer Grenzgängerin
Zur weltweit anerkannten Bestsellerautorin machte sie ihr 2013 erschienener Roman "Americanah". In Berlin las Adichie nur kurz aus ihrem in 37 Sprachen übersetzten Klassiker, der in allen Übersetzungen denselben Titel trägt - er gibt die in Nigeria übliche Bezeichnung für Rückkehrer aus den USA wieder. Der stark autobiografisch geprägte Roman über eine Afrikanerin, die zwischen den USA und Nigeria lebt, trug ihr internationale Anerkennung und viele Preise ein.
Unterhaltsam, aber mit großer analytischer Schärfe beschreibt "Americanah" die Rituale von Diskriminierung und betonter Liberalität gegenüber den Schwarzen in den USA. Dass der umfangreiche Text mit seinem gesellschaftspolitischen Anliegen immer noch und keineswegs nur in den Vereinigten Staaten hochaktuell sei, betonte Adichie im Gespräch. "Es gibt Rassismus gegenüber Menschen mit afrikanischer Abstammung in den verschiedensten Weltregionen. Aber es geht dabei nicht nur um Rasse, es geht auch darum, welches Bild von sich selber man sich in einer Umgebung macht, die einen als nicht zum Zentrum zugehörig definiert. Es geht um ein Problem von Peripherie und Zentrum."
"Mehr Feminismus!" - ein Vortrag macht Adichie zum Internet-Star
Ein weiteres großes Thema Adichies ist der Feminismus. "Ich war schon als Kind Feministin, noch ehe ich das Wort kannte", erzählt sie. "Als ich mich in einem TED-Talk als Feministin outete, sprach ich ganz einfach über etwas, das ich schon immer war." Dass ihr Talk von 2012 "We should all be Feminists" ("Mehr Feminismus!") Furore machte, freut sie besonders. "Zumal ich ihn vor einem afrikanischen Publikum hielt und annahm, dass er eher feindselig aufgenommen würde." Die Rede wurde legendär, Millionen Menschen haben sie sich im Internet angesehen, und sogar Popsängerin Beyoncé zitiert einige kurze Passagen daraus in ihrem Song "Flawless". Am Landestheater Salzburg wird das Manifest zur Zeit als Stück inszeniert.
"Liebe Ijeawele": Für eine Erziehung gegen Rollenzuschreibung
Den Kampf gegen weibliche Rollenzuschreibungen, Sexismus und Diskriminierung führt Chimamanda Ngozi Adichie mit viel Entschiedenheit, aber vor allem auch Charme. "Ich schimpfe nicht laut herum, weil ich weiß, dass ich dann nicht gehört werde", erklärt sie ihr Verständnis. Statt dessen schreibt und spricht sie darüber, "wie unsere Töchter selbstbestimmte Frauen werden können". In ihrem letzten Buch "Liebe Ijeawele" von 2017 ("Dear Ijeawele, or A Feminist Manifesto in Fifteen Suggestions") breitet sie Vorschläge für eine feministische Erziehung aus.
Dass die Ratschläge sich aber auch und vorrangig an Männer richten müssten, macht sie auf amüsante Weise deutlich: "Wir können nichts ändern, wenn wir nicht über Jungs und Männer sprechen. Wisst Ihr, wir müssen die guten Männer finden, damit sie die Botschaft verbreiten!"
Lindberghs Porträtaufnahme einer "mutigen" Frau
Adichie ist ein Star der globalen Literaturszene, aber auch als Feministin. Ihr Porträt ist eines von fünfzehn, die das Cover der Septemberausgabe der britischen Vogue zieren, an der Herzogin Meghan als Gastherausgeberin mitgewirkt hat. Die Aufnahmen von "mutigen", engagierten Frauen gehören zu den letzten des Fotografen Peter Lindbergh. "Wir verstanden uns prächtig", erzählt die Autorin. "Sie mussten ihn regelrecht von mir wegziehen, damit er weiterfotografieren konnte - denn wir haben nur geredet und gelacht."