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Politik

"China übt in Deutschland Druck wegen Tibet aus"

Hans Spross
10. März 2017

Der Dalai Lama taucht auf internationaler Bühne kaum noch auf, Tibet ist derzeit kein großes Thema. Dennoch ruft die Tibet-Initiative Deutschland am 10. März wieder zu Solidarität mit Tibet auf, erläutert Nadine Baumann.

Demonstranten mit tibetischer Nationalflagge in Berlin (Foto: picture alliance/dpa/K. Nietfeld)
Bild: picture alliance/dpa/K. Nietfeld

Deutsche Welle: Der Dalai Lama wird anders als früher nicht mehr von internationalen Politikern empfangen. Ist es ohne seine Medienwirksamkeit schwerer geworden, dem Thema Tibet, also der Lage dieser nationalen Minderheit unter chinesischer Herrschaft, Aufmerksamkeit zu verschaffen?  

Nadine Baumann: Das ist sicher richtig. Aber Chinas Nachrichtensperre über Tibet einschließlich der Einschränkung bzw. Blockade von Internet und Mobilfunk macht es natürlich schwierig, dass über die Lage dort in den Medien berichtet wird. Damit gelingt es China, das Meinungsbild auch im Westen zu beeinflussen. Aber zum Glück gibt es immer wieder mutige Tibeter, die es auf abenteuerlichen Wegen schaffen, Informationen herauszubringen.

Welche Mittel setzt China sonst noch ein?

Die chinesische Regierung investiert inzwischen einiges, um auch hierzulande die Meinung zu beeinflussen. Sei es mit Fake-Twitter-Konten, die Informationen gezielt so präsentieren, dass man meinen müsste, in Tibet wäre alles in Ordnung. Ich erinnere hier an die sogenannte 50-Cent-Partei, die aus bezahlten Mitarbeitern der Propaganda-Behörde besteht, die in Internet-Foren oder Kommentarspalten gezielt entsprechende Beiträge setzen. Und das betrifft auch ganz besonders Tibet, indem immer wieder berichtet wird, wie gut es den Tibetern geht, dass sie sehr glücklich seien über den angeblichen wirtschaftlichen Fortschritt und es insgesamt einfach keine Probleme gebe.

Baumann: Freude über Teilnahme an Flaggen-Aktionen, auch wenn "leider ein Rückgang zu verzeichnen ist" Bild: Tibet-Initiative Deutschland e.V.

Auch dieses Jahr rufen Sie zum 10. März, in Erinnerung an den Aufstand der Tibeter am 10. März 1959, wieder zu der Aktion "Flagge zeigen für Tibet" auf. Wie ist es um diese Initiative inzwischen bestellt?

Insgesamt haben in den letzten 20 Jahren deutschlandweit über 1000 Städte und Kommunen Flagge für Tibet gezeigt. Dieses Jahr sind es an die 400, die das machen werden, also eine öffentliche Flaggenhissung an öffentlichen Gebäuden oder am Rathaus. Grundsätzlich muss man aber leider einen Rückgang verzeichnen, was aber auch damit zusammenhängt, dass die Kampagne in den letzten Jahren immer bekannter geworden ist, was die chinesischen diplomatischen Vertretungen in Deutschland offenbar zum Anlass genommen haben, dem entgegenzutreten.

Seit einigen Jahren gibt es formelle Schreiben der chinesischen Botschaft an die Städte, die uns auch immer wieder zugespielt werden, in denen dazu aufgefordert wird, sich nicht zu beteiligen. Das waren definitiv über zehn Fälle in den letzten Jahren. Es gab auch Bürgermeister, die bei uns verunsichert angerufen haben, und es gibt Städte, die sich ohne Angabe von Gründen zurückziehen, aber der Kampagne weiterhin alles Gute wünschen. Genauso gibt es aber auch immer wieder neue Städte und viele, die unbeirrt weiterhin Flagge zeigen.

Wir haben auch Kenntnis von einem Schreiben des bayerischen Innenministeriums, das teilweise den Wortlaut eines Textes der chinesischen Botschaft übernommen hat. In dem Schreiben wird den bayerischen Städten und Kommunen indirekt nahegelegt, sich daran nicht zu beteiligen. Es sei "einzelfallbezogen zu prüfen". Die Aktivitäten dürften nicht der Außen- und Entwicklungshilfepolitik des Bundes zuwiderlaufen. 

Und Sie haben Hinweise, dass das auf Druck der chinesischen Seite geschah?

Wenn in dem Schreiben des Innenministeriums ein Ausdruck wie "Schneelöwenflagge" verwendet wird, der auch von der chinesischen Botschaft für die Bezeichnung der tibetischen Nationalflagge benutzt wird, dann ist es zumindest wahrscheinlich, dass es da einen Zusammenhang gibt. (Die bayerische Regierung bestreitet, dass sie einer "unangemessenen Einflussnahme nachgegeben hätte." Sie habe nur auf ein "Informationsinteresse aus dem Kreis der bayerischen Kommunen reagiert." - Red.)

Wie ist die Lage der Tibeter aktuell aus Ihrer Sicht?

Die Situation in Tibet hat sich seit der Amtsübernahme von Xi Jinping weiter verschärft, die Unterdrückung hat weiter zugenommen, die Militärpräsenz wurde verstärkt. Gegen jedes zivilgesellschaftliche Engagement sei es noch so friedlich wird gezielt vorgegangen. Die Glaubensausübung wird durch ein neues Religionsgesetz weiter drastisch eingeschränkt.  

In Osttibet wurde der riesige Klosterkomplex Larung Gar, eine buddhistische Lehranstalt, in dem bislang 10.000 Mönche, Nonnen und Laien den tibetischen Buddhismus gelehrt und studiert haben, ins Visier genommen. Seit Juli 2016 wird dieses Institut auf Anordnung der chinesischen Regierung systematisch verkleinert, es gibt einen Acht-Punkte-Plan, der die schrittweise Zerstörung der Anlage und die Halbierung der Bewohnerzahl auf 5000 vorsieht. Die ersten ein- bis zweitausend wurden schon vertrieben, die ersten Abrissarbeiten sind bereits erfolgt.

Ein Zitat aus einem aktuellen Interview der Zeitschrift GEO mit dem Dalai Lama: "(Ich denke auch), dass unsere momentane Beziehung zu China nicht von Dauer ist. Mal sehen: Vielleicht ändert sich die chinesische Haltung mit dem 19. Parteitag im Herbst 2017. Das wäre natürlich sehr gut."

Wir sind natürlich stets großer Hoffnung wie der Dalai Lama, dass sich in China und damit auch für Tibet langfristig etwas ändern kann. Aber momentan gibt es keine Anhaltspunkte, dass irgendwelche Verbesserungen bevorstehen.

Nadine Baumann ist Geschäftsführerin der Tibet-Initiative Deutschland e.V. 

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