China bedrängt Deutschland - nicht nur bei Autos
20. März 2025
Deutschlands industrielles Rückgrat steht vor nie dagewesenen Herausforderungen. Einst führend im Bereich hochwertiger Fertigung, verzeichnet das Land seit fünf Jahren einen Rückgang der Industrieproduktion. Dies bedroht laut einem aktuellen Bericht des Londoner Centre for European Reform (CER) bis zu 5,5 Millionen Arbeitsplätze und 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
Russlands Überfall auf die Ukraine hatte Deutschland gezwungen, seine Abhängigkeit von russischem Öl und Gas schnell zu reduzieren. Dies trieb die Energiepreise in die Höhe und schädigte energieintensive Betriebe in der Chemie- und Stahlbranche schwer. Darüber hinaus hatten bereits Lieferkettenunterbrechungen infolge der Pandemie die Nachfrage nach deutschen Exportgütern einbrechen lassen.
Ein weiterer wichtiger Faktor ist Chinas rasanter Wandel von der Werkbank der Welt hin zu High-Tech-Produkten und innovativen Industrien. Dieser wird durch die "Made in China 2025"-Strategie der Kommunistischen Partei vorangetrieben, die darauf abzielt, eine weltweit führende Rolle in der fortschrittlichen Fertigung und Technologie zu übernehmen.
Chinas Aufstieg
Während Deutschland von Chinas anfänglichem Wachstumsschub Anfang der 2000er Jahre, der sich auf Low-Tech-Elektronik, Haushaltsgeräte und Textilien konzentrierte, weitgehend unberührt blieb, konzentriert sich Pekings Industriepolitik seitdem auf deutsche Kernsektoren wie die Automobilindustrie, Umwelttechnologie und Maschinenbau.
"China hat in mehreren fortschrittlichen Industrien aufgeholt. Das Land ist in diesen Bereichen sehr stark und das trägt zu Deutschlands schwacher Wachstumsleistung bei", sagte Holger Görg, Leiter der Forschungsgruppe Internationaler Handel und Investitionen am Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), gegenüber der DW.
Die Geschwindigkeit, mit der Deutschland ins Hintertreffen gerät, zeigt sich am deutlichsten in der Automobilindustrie. Die Autobauer stehen in der Kritik, zu wenig innovativ zu sein, den Übergang zu Elektrofahrzeugen verschlafen zu haben und die starke Konkurrenz durch chinesische Marken wie BYD zu unterschätzen. Diese Probleme haben zum Abbau Zehntausender Jobs und der Schließung inländischer Werke geführt.
Chemie und Maschinenbau unter Druck
Die wachsende Bedrohung durch China in anderen Wirtschaftssektoren ist nicht so augenfällig. Chinesische Chemiegiganten beispielsweise haben ihre Produktion in den letzten Jahren deutlich gesteigert, insbesondere bei Polyethylen und Polypropylen. Dies führte zu einem weltweiten Überangebot, das die Gewinnmargen deutscher Hersteller wie BASF drückte.
Selbst in der Europäischen Union, einem wichtigen Markt für Deutschland, steigerte China seinen Anteil an den Chemieexporten in den zehn Jahren bis 2023 um 60 Prozent, während der deutsche Anteil um mehr als 14 Prozent sank, wie aus Daten des Handelsblatt Research Institute hervorgeht. Der deutsche Maschinenbau, bekannt für seine Präzision und Qualität, sieht sich ebenfalls starker Konkurrenz ausgesetzt: Während Deutschlands Marktanteil an den Exporten von Industriemaschinen von 2013 bis 2023 auf 15,2 Prozent zurückging, stieg Chinas Anteil um mehr als die Hälfte (von 14,3 Prozent auf 22,1 Prozent).
Vorteile durch Subventionen
Verschärft wird diese Herausforderung durch Chinas Politik hoher staatlicher Subventionen. Daher können chinesische Hersteller zu Kosten zu produzieren, mit denen westliche Unternehmen nicht mithalten können. Einer vorsichtigen Schätzung zufolge beliefen sich Chinas Industriesubventionen im Jahr 2019 auf rund 221 Milliarden Euro. Ein Bericht des Internationalen Währungsfonds (IWF) aus dem Jahr 2022 stellte fest, dass der Großteil der chinesischen Subventionen auf die Chemie-, Maschinenbau-, Automobil- und Metallindustrie abzielte.
Claudia Barkowsky, China-Geschäftsführerin des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), sagte dem Handelsblatt in der vergangenen Woche, deutsche Maschinenbauer seien unter Druck geraten, weil ihre chinesischen Konkurrenten deutlich niedrigere Preise anböten, "manchmal 50 Prozent oder sogar noch günstiger". Eine Umfrage der Deutschen Handelskammer in China (AHK) ergab, dass mehr als die Hälfte der in China tätigen deutschen Unternehmen erwartet, dass ihre chinesischen Konkurrenten in den nächsten fünf Jahren zu Innovationsführern in ihren Branchen werden.
War Berlin blind?
Brad Setser, Co-Autor des CER-Berichts, sagte der DW, Chinas Exporte in hochwertigen Segmenten hätten sich "nicht über Nacht entwickelt", und fragt sich: "Wie kann die deutsche Industrie den zweiten China-Schock überstehen? Warum haben Deutschlands Vorgängerregierungen dies nicht erkannt und ihre Politik nicht stärker angepasst?"
Nun fordern Ökonomen, dass Deutschland seine Handels-, Industrie- und Steuerpolitik anpassen müsse, um nicht seine Position als weltweit führender Industrieproduzent zu verlieren. "Aus wirtschaftlicher Sicht ist der Versuch, die Vorherrschaft in diesen Sektoren zurückzuerobern, nicht das beste Preis-Leistungs-Verhältnis", sagte Görg. "Es ist wichtig, sich auf Bereiche zu konzentrieren, in denen Deutschland weiterhin stark ist - Pharma, Biotechnologie und Wissensgenerierung."
China zu verstärktem Binnenwachstum zwingen
Der CER-Bericht fordert die nächste deutsche Regierung - wahrscheinlich eine Koalition aus CDU/CSU und SPD - auf, Druck auf China auszuüben, seinen Binnenkonsum zu steigern. Die Studienautoren fordern auch, die Handelsschutzmaßnahmen der EU zu nutzen und um die Zölle auf stark subventionierte chinesische Exporte, etwa Elektrofahrzeuge und Windkraftanlagen, zu erhöhen.
"Deutschland braucht alternative Märkte für seine Automobile und High-End-Maschinen. Und der mit Abstand größte Markt für Deutschland ist der europäische", sagte Setser, der auch Senior Fellow beim US Council on Foreign Relations (CFR) mit Sitz in New York ist.
Deutschland braucht einen Mentalitätswandel
Serden Ozcan, Professor für Innovation und Unternehmenstransformation an der WHU-Otto Beisheim School of Management in Düsseldorf, ist der Ansicht, dass Politiker und Unternehmensführer einen umfassenden kulturellen Mentalitätswandel benötigen. Er kritisiert die seiner Meinung nach typisch deutsche "Angst vor aggressiver Konkurrenz".
Außerdem unterstütze die Regierung zu sehr Unternehmen, die nicht mehr wettbewerbsfähig seien. "In China ist es genau umgekehrt", sagte Ozcan der DW. "Sie agieren viel darwinistischer und ermöglichen Dutzenden von Unternehmen den Eintritt in eine aufstrebende Branche, obwohl viele von ihnen scheitern. Diejenigen, die überleben, gehen unglaublich stark daraus hervor."
Es bestehen hohe Erwartungen, dass Deutschlands riesiger Verteidigungs- und Infrastrukturplan im Wert von fast einer Billion Euro in den nächsten zwölf Jahren dazu beitragen wird, die schwächelnde Wirtschaft anzukurbeln und gleichzeitig die sogenannte Schuldenbremse - die Gesamtsumme, die die Regierung an Krediten aufnehmen kann - zu lockern.
Da der Großteil des Geldes für die Modernisierung der deutschen Verteidigungsfähigkeiten und Infrastruktur vorgesehen ist, gibt es Bedenken, dass Berlin die Chance verpassen könnte, wachsende Industrien zu stützen. "Ein großer Teil (der vorgeschlagenen Ausgaben der neuen Regierung, Anm. d. Red.) ist für Militärausgaben vorgesehen. Wenn sie es richtig angeht, könnten große Investitionen in neue Waffensysteme auch dazu beitragen, nichtmilitärische Technologien zu fördern", so Görg vom IfW zur DW.
Deutschlands Stärken
"Deutschland ist sehr gut darin, Wissen zu generieren und dieses Wissen anschließend weiterzuverkaufen. Hier hat Deutschland noch immer einen Vorsprung, und wir sollten diesen weiter ausbauen", sagte Görg. Serden Ozcan ist der Meinung, dass eine neue Generation von CEOs die Probleme der deutschen Industrie besser versteht als die aktuelle Generation und sich schneller anpassen kann.
"Ein Autohersteller konkurriert nicht mehr mit anderen Autoherstellern. Er konkurriert mit Tencent, einem Videospielunternehmen", erklärt Ozcan und bezieht sich dabei auf den Vorstoß des chinesischen Unternehmens in die Technologie für Elektrofahrzeuge. "In Zukunft werden es KI-Unternehmen sein, die Heilmittel gegen Krebs entwickeln, und nicht mehr Pharmariesen."
Dieser Beitrag wurde aus dem Englischen adaptiert.