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China beschwört "neue Produktivkräfte"

5. März 2024

Chinas Staatschef Xi Jinping setzt auf die Aktivierung "neuer Produktivkräfte", um sein Land aus der Wirtschaftsflaute herauszuführen. Aber was ist mit dem neuen Slogan gemeint? Und was ist neu daran?

Produktion eines digitalen Teaching Boards in einer Fabrik in Lianyungang in der Provinz Jiangsu
Vorfahrt für Hightech: Produktion eines digitalen Teaching Boards Bild: STR/AFP/Getty Images

Seit Wochen berichten Chinas staatlich kontrollierte Medien über Xi Jinpings neueste Idee, um die Wirtschaft der Volksrepublik anzukurbeln. Mit der Aktivierung "neuer Produktivkräfte" will der Staats- und Parteichef beim Wettrennen um Zukunfts-Technologien aufs Tempo drücken und zunehmend unabhängiger vom Rest der Welt werden.

Der Begriff der Produktionskräfte ist ein Rückgriff auf die marxistische Wirtschaftstheorie aus dem 19. Jahrhundert, mit dem natürliche Ressourcen, Arbeitskräfte, Produktionsmittel und technisches Wissen einer Volkswirtschaft definiert werden.

"Die politische Führung in China spricht in jüngerer Vergangenheit häufig von 'neuen Produktivkräften', die es zu entwickeln gelte, um auch in der Zukunft ein starkes Wirtschaftswachstum zu ermöglichen", umschreibt die Parteizeitung China Daily die neue Marschrichtung Xi Jinpings, der das Land seit elf Jahren führt. "Diese fußen, anders als traditionelle Produktionsmittel wie Arbeit und Kapital, vor allem auf technologischen Innovationen."

Dabei gebe es viel Raum für Interpretationen, sagt Volkmar Baur, Chefvolkswirt für China bei der Fondsgesellschaft Union Investment gegenüber der DW.

Xi Jinping gibt den Kurs vor, interpretieren und umsetzen müssen ihn andere Bild: Florence Lo/REUTERS

Neuer Slogan mit Raum für Spekulationen

"Noch steckt in dem Slogan nicht viel drin. Das ist in China aber auch nicht unüblich. Diese Slogans geben immer erst einmal eine grobe Richtung vor und werden dann langsam und schrittweise mit 'Leben' gefüllt", erklärt der China-Experte. Auch bei Xi Jinpings Slogan Common Prosperity wisse man immer noch nicht "so wahnsinnig viel, was es konkret bedeuten soll". Bei der Belt and Road Initiative sei das am Anfang genauso gewesen, so Baur. Erst im Laufe der Jahre sei das Konzept dieser Neuen Seidenstraße klarer geworden.

Den Begriff der New Productive Forces fiel erstmals im Herbst 2023 bei einem Besuch Xi Jinpings in der Provinz Heilongjiang. "Bisher wissen wir nur, dass es in Zukunft ein wichtiger Slogan sein wird, den man noch öfter hören wird", so Baur.

Die Partei-Presse verkaufe das Ganze als eine Art wichtiger Innovation und Weiterentwicklung der Marxistischen Theorie durch Xi Jinping, so Baur. Besonders im Vorfeld des Nationalen Volkskongresses, der am 5. März in Peking startete, wurde die chinesische und internationale Öffentlichkeit auf das Konzept der neuen Produktivkräfte eingestimmt.

Exportschlager "Made in China": Produktion von Photovoltaik-Modulen in Lianyungang, Provinz Jiangsu Bild: CFOTO/NurPhoto/picture alliance

Neuer Kurs sorgt für Kopfzerbrechen

Für Nils Grünberg von der China-Denkfabrik MERICS in Berlin dürfte Xis wirtschaftspolitische Initiative bei vielen Entscheidungsträgern in den Provinzen für Kopfzerbrechen sorgen: "Die Beamten sind in einer schrecklichen Situation. Sie müssen irgendwie herausfinden, was auf der Wunschliste von Peking steht, um es umzusetzen." Man müsse diese Slogans Xi Jinpings interpretieren, in eine "seltsame Sprache umformulieren, die keinen greifbaren Inhalt hat", um nicht angreifbar zu sein. Es sei immer wieder für die Parteifunktionäre in den Provinzen "sehr schwierig zu erkennen, wie sich die Herangehensweise Pekings ändert, wenn Xi Jinping regelmäßig mit diesen kryptischen Botschaften auftritt."

Beim Blick in die Parteipresse wird deutlich, wo bei der Aktivierung der "Neuen Produktivkräfte" der Schwerpunkt liegt: "Im Vergleich zu den traditionellen Produktionsmitteln, die durch Elemente wie Arbeit, Land und Kapital angetrieben werden, beziehen sich diese 'neuen Produktivkräfte' auf jene Elemente, die primär von technologischen Innovationen und neuen Elementen wie zum Beispiel Daten geprägt werden", erklärt China Daily.

Die Wirtschaftsplaner im Reich der Mitte seien der Meinung, so das Parteiblatt weiter, "dass Chinas Schwerpunkt auf neuen Produktivkräften die Entwicklung zukunftsorientierter Industrien und Schlüsseltechnologien beschleunigen und damit die moderne industrielle Entwicklung fördern und die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt in der globalen Wertschöpfungskette voranbringen könne."

Nach seinem Verständnis gehe es dabei schlicht und einfach um die Steigerung der Produktivität, unterreicht Volkmar Baur. "Leider muss man allerdings sagen, dass viele Dinge, die China in der letzten Zeit gemacht hat, nicht für steigende Produktivität sprechen. Der Staat mischt sich immer stärker in Forschung und Wirtschaft ein, was Innovationen tendenziell eher begrenzt." Auch werde den Unternehmen immer kleinteiliger vorgegeben, wo und in welchen Bereichen sie investieren sollen. "Und das senkt die Produktivität eher. Wie diese Diskrepanz aufgelöst wird, wird sicherlich spannend zu beobachten sein", betont der Makro-Analyst von Union Investment.

Produktion von LED-Chips in der Stadt Weifang, Provinz Shandong Bild: picture alliance/dpa

Nicht viel Neues?

Auf die Frage der DW, ob sich China mit dem Schwenk zu den "Neuen Produktivkräften" von früheren wirtschaftspolitischen Programmen, wie der Initiative Made in China 2025 (MiC 2025) verabschiedet, hat Jacob Gunter von MERICS eine klare Antwort: "Der Begriff 'Made in China 2025' macht den Ausländern Angst, also verwenden die Chinesen ihn nicht mehr. Das heißt aber nicht, dass sie diesen Plan aufgegeben haben."

Technologie sei eine "Besessenheit von Xi Jinping", so Gunter. "Sie ist eine klare Priorität für ihn. Und die zehn Technologien, die in 'Made in China 2025' aufgeführt sind, sind weiterhin Bereiche, auf die sich Kapital und Ressourcen sowie Forschung und Entwicklung konzentrieren."

Hightech-Ambitionen mit langem Atem

Auch wenn China seine ehrgeizigen Ziele in zentralen Bereichen wie der Produktion von High End-Halbleitern, die bei Made in China 2025 formuliert sind, nicht umsetzen konnte, bleibe die Volksrepublik hartnäckig auf Kurs, meint auch Volkmar Baur. Schließlich habe China bei Made in China 2025 trotz einiger Rückschläge auch eine ganze Reihe von Erfolgen vorzuweisen. "Bei E-Autos, Zügen und Erneuerbaren Energien ist man sicherlich (mit) führend in der Welt", so China-Experte Baur.

Start einer Trägerrakete vom Typ "Langer Marsch" mit Satellit an Bord im Dezember 2023 in der Provinz Sichuan Bild: Xu Lihao/Xinhua/IMAGO

Bei Schiffbau, Raumfahrt und Robotik habe die Volksrepublik ebenfalls große Fortschritte gemacht. Es seien vor allem die Kommunikationstechnologien, bei denen China durch westliche Sanktionen ausgebremst worden ist. "Alles ist vielleicht nicht gelungen. Und in vielen Bereichen ist man noch von westlicher Technologie abhängig. Aber als Misserfolg kann man MiC 2025 sicherlich nicht einstufen."

Thomas Kohlmann Redakteur mit Blick auf globale Finanzmärkte, Welthandel und aufstrebende Volkswirtschaften.
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