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China dreht den Spieß um

Xiegong Fischer6. November 2013

Seit Jahren bezichtigen die USA China der systematischen Internetspionage. Die Enthüllungen Edward Snowdens bieten nun eine Steilvorlage, die sich Chinas staatliche Medien nicht entgehen lassen.

Snowden in den chinesischen Medien (Foto: REUTERS/Bobby Yip)
Bild: Reuters/Bobby Yip

"Der britische Schriftsteller George Orwell beschreibt in seinem Roman 1984 einen totalitären Präventions- und Überwachungsstaat. Die USA haben diesen fiktiven Überwachungsstaat mit ihren skrupellosen Ausspähaktionen auf der ganzen Welt wahr gemacht!" So der Anfang eines am Montag (04.11.2013) veröffentlichten Kommentars der chinesischen amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua. Der Kommentator wirft den USA vor, unter dem Vorwand von "nationalen Interessen" ihren Technologievorsprung zu missbrauchen und die geltenden internationalen Regeln zu missachten.

Angriff ist die beste Verteidigung

Harte Worte, die man von offizieller chinesischer Seite nicht gewohnt ist, sind in den chinesischen Medien jetzt immer häufiger zu vernehmen. Seit Jahren wirft Washington Peking Cyberangriffe auf Einrichtungen und Institutionen der US-Regierung und US-Konzerne vor. Peking weist die Vorwürfe stets zurück und betont seine Opferrolle. Mit den Enthüllungen durch den ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiter Snowden hat sich der Spieß umgedreht.

Für Li Datong, erfahrener Medienexperte und ehemaliger Chefredakteur einer Wochenbeilage einer staatlichen Jugendzeitung, nutzt die offizielle chinesische Presse den günstigen Zeitpunkt für ihre Propaganda: "Momentan sind die Beziehungen zwischen den USA und ihren Verbündeten in Europa und auch Länder wie Brasilien von der Abhöraffäre belastet. Die chinesischen Medien wollen nun die öffentliche Meinung geschickt lenken." China solle jedoch nicht übertreiben, fährt Li Datong im Gespräch mit der Deutschen Welle fort. Schließlich sei es kein Geheimnis, dass jedes Land spioniere und China sogar noch weiter gehe: "Auch dieses Gespräch, das ich gerade am Telefon führe, wird von der chinesischen Polizei abgehört. Das haben sie mir offen mitgeteilt."

China als Topziel der USA

Als der ehemalige US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden in Hongkong Zuflucht suchte, war das anfangs kein großes Thema in den offiziellen chinesischen Verlautbarungen. Erst nachdem er weiter nach Moskau geflogen war, aber zuvor noch mit einer Hongkonger Zeitung über systematische Cyberspionage der US-Regierung bei chinesischen staatlichen Einrichtungen und Universitäten berichtete, starteten die in China stark kontrollierten Medien ihren Gegenangriff. Xinhua warf den USA unter anderem Scheinheiligkeit vor und bezeichnete diese in einem Kommentar als "den größten Schurken unserer Zeit".

Hua Chunying, die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, fordert eine Stellungnahme der USABild: picture-alliance/AP

Vergangene Woche veröffentlichte Spiegel Online eine Karte der Spionageaktivitäten der NSA (National Security Agency). Die Quelle dafür war wiederum Edward Snowden. Laut Snowden gehört China zu den Top-Zielen der NSA. Demnach sollen diplomatische Vertretungen der US-Amerikaner in Peking, Shanghai, Chengdu und Hongkong Abhöraktionen betrieben haben. In derselben Woche berichtete die australische Zeitung "Sydney Morning Herald", dass Australiens diplomatische Vertretungen in Asien Informationen für den US-Geheimdienst besorgt haben sollen. Australien gehört zum sogenannten "Five Eyes"- Spionagenetz der USA, zu dem auch Großbritannien, Neuseeland und Kanada gehören. Die Empörung ließ nicht lange auf sich warten. Die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums verlangte Aufklärung von Washington.

Der Schuss kann nach hinten losgehen

China will die NSA-Affäre nutzen, um sich weltpolitisch stärker zu positionieren. Xinhua spekulierte bereits über eine "entamerikanisierte" Weltordnung. Thomas Rid, Cyber-Sicherheitsexperte von der Abteilung War Studies am King's College in London, sieht die Snowden-Affäre als schweren Rückschlag für die Obama-Regierung: "Wenn massenhafte Überwachungsaktivitäten öffentlich werden, gibt es ernste politische Konsequenzen, wie jetzt der Fall für die NSA und Obama."

Auch im chinesischen Netzwerk Weibo wird diskutiertBild: Reuters

Dennoch solle Peking sich nach dieser Abhöraffäre nicht voreilig über einen Sieg freuen, fügte Thomas Rid im Interview mit der Deutschen Welle hinzu. "Snowden hat Whistleblowern überall auf der Welt, auch innerhalb Chinas, ein Beispiel gegeben. Ich nehme an, dass das Risiko Peking durchaus bewusst ist. Massenüberwachung, wie es sie in China gibt, kann nach hinten losgehen und ernsthafte politische Konsequenzen haben."

Auch die chinesischen Netizens verfolgen die NSA-Affäre intensiv. Auf Weibo, dem chinesischen Äquivalent zu Twitter, führen die Internetnutzer mit einer Portion Selbstironie die Diskussionen. Ein User richtete sein Statement direkt an Obama: "Mr. Präsident, auf dem Handy eines chinesischen Studenten werden Sie ohnehin nichts anderes lesen können, als unzählige versaute Witze und betrügerische Werbung." Ein anderer User schrieb: "Was ist schlimmer? Amerikanische Überwachung von Telefonaten und Kurznachrichten? Oder doch die Gehirnwäsche (hierzulande)?"

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