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China: Kontrollsystem für Firmen

Andreas Rostek-Buetti
28. August 2019

Firmen, die in China arbeiten, müssen bald mit flächendeckenden Kontrollen rechnen. Die EU-Handelskammer warnt, europäische Firmen seien darauf noch gar nicht vorbereitet. Dabei sei "ein radikaler Wandel" in Sicht.

China Symbolbild Spionage
Bild: Colourbox/O. Mach

"Rasen Sie nicht und fahren Sie nicht unter Alkoholeinfluss. Gefährden Sie ihren Sozialkredit nicht." Bisher gibt es Warnschilder wie dieses in manchen Städten Chinas am Straßenrand. Bald könnten sich ähnliche Warnungen an die Firmen im Land richten: Halten Sie sich an die Umweltstandards, zahlen Sie ihre Steuern, geben Sie verlangte Informationen an den Staat weiter.

Ein auf die Unternehmen ausgeweitetes Sozialkreditsystem soll bereits im Herbst in eine Testphase gehen, berichtete jetzt die EU-Handelskammer in Peking. Bis 2020 soll nach Plänen der Regierung in China das Sozialpunktesystem landesweit eingeführt und nach und nach ausgebaut werden. Es soll Vertrauenswürdigkeit ermitteln und zwischen "guten" und "schlechten" Bürgern - und Unternehmen - unterscheiden.

Dass die "Gefährdung des Sozialkredits" einschneidende Folgen zeitigen kann, haben Millionen von Bürgern bereits erfahren, seit das Kontrollsystem schrittweise eingeführt wird. So berichtete die staatliche "Global Times", mehr als elf Millionen Mal sei Reisenden bereits ein Flugticket verweigert worden, weil etwas mit deren Sozialpunkten nicht stimmte; weit über vier Millionen Chinesen wurde deshalb ein Ticket für einen Hochgeschwindigkeitszug verweigert. Die Zahlen beziehen sich auf die Zeit bis Ende April.

"Leben oder Tod"

Für die betroffenen Unternehmen - und das sollen über kurz oder lang alle in China sein - könne es um "Leben oder Tod" gehen, warnte der Vorsitzende der EU-Handelskammer in Peking Jörg Wuttke. Riesige Datenmengen aus den Unternehmen sollen für dieses "gesellschaftliche Bonitätssystem" ausgewertet werden - Informationen über die Produktion, anfallende Emissionen, Zulieferer etc. etc. Nach 300 Kriterien sollen so Daten erhoben werden.

Überwachung alter Schule: Sicherheitsbeamte checken Versammlungssaal in PekingBild: Reuters/J. Lee

Die Konsequenzen können drastisch sein: Höhere Punktzahlen können niedrigere Steuersätze, bessere Kreditbedingungen, einfacheren Marktzugang und mehr öffentliche Beschaffungsmöglichkeiten für Unternehmen bedeuten, so die EU-Kammer. Niedrigere Punktzahlen führen zum Gegenteil, im Ernstfall sogar zu einem Marktausschluss.

China-Fachleute gehen allerdings davon aus, dass internationale Konzerne sich auf das neue System einstellen werden: "Wenn man als ausländisches Unternehmen, als multinationaler Konzern in China aktiv ist, dann hat man bereits alle möglichen Restriktionen akzeptiert, die man in keinem anderen Land akzeptieren würde", sagt Steve Tsang vom China Institute der Universität London gegenüber der Deutschen Welle.

So hätten beispielsweise ausländische Fluglinien die Bezeichnung für Taiwan geändert, weil Peking das verlangt habe. Auch die Hotelkette Marriott sei so vorgegangen, sagte Tsang. Und die Fluggesellschaft Cathay Pacific habe auf Druck der chinesischen Regierung einen Manager in Hongkong ausgewechselt. "Wenn man ausreichend gute Gründe hat, in China zu bleiben, dann wird man auch nicht durch ein Sozialkreditsystem abgeschreckt", so Tsang.

Überwachung und riesige Datenmengen

Das neue System nutzt die neuen Möglichkeiten, ungeheure Datenmengen zu verarbeiten, die klassische Überwachungstechniken nicht hatten. Die Ziele allerdings sind möglicherweise die alten - die Gesellschaft steuern. "Bewertungsmaßstab des Sozialkreditsystems sind das von der Kommunistischen Partei vermittelte Menschenbild sowie gewünschte Verhaltensstandards", urteilte jüngst die deutsche Sinologin Katika Kühnreich in der Zeitschrift "Das Parlament". 

Und Steve Tsang vom China Institute der Universität London sagt dazu: "Es ist ein Leninistisches System, und bei einem Leninistischen System geht es um Kontrolle. Es gibt keinen Grund, warum die KP das nicht so sehen sollte."

Überwachung neuer Art? - Supercomputer in der ostchinesischen Provinz JiangsuBild: Imago/Xinhua

Die Deutsche Handelskammer in Peking hat festgestellt, rund ein Jahr vor der geplanten Einführung zeige sich, dass knapp sieben von zehn deutschen Unternehmen in China nicht mit dem System, seiner Wirkungsweise und Zielsetzung im Geschäftskontext vertraut sind. Bisher gibt es eine Menge von Pilotprojekten, die den einfachen Bürgern gelten - die davon aber nichts wissen und sich nicht dagegen wehren können. Allerdings hält sich die Kritik an dem System allem Anschein nach in Grenzen. Die Hoffnungen richten sich eher auf mehr Sicherheit und mehr Transparenz.

Auch die Handelskammer sieht positive Aspekte in dem geplanten Sozialkreditsystem: "In mancher Hinsicht sind das gute Nachrichten", schrieb die EU-Kammer in ihrem Bericht. Das vollautomatisierte System zur Überwachung könnte so dafür sorgen, dass alle Firmen gleich behandelt werden. Ausländische Unternehmen in China beklagen oft willkürliche Benachteiligung gegenüber heimischen Konkurrenten. Auch die Einhaltung von gewissen sozialen Standards bei Unternehmen ist als solche durchaus erstrebenswert.

"Viele Aspekte des gesellschaftlichen Bonitätssystems stehen im Widerspruch zu europäischen Werten", so beurteilen dagegen Mareike Ohlberg und Kristin Shi-Kupfer vom deutschen Thinktank "merics" das Kontrollsystem. Das gelte zum Beispiel beim "Schutz der Privatsphäre und der Meinungsfreiheit" und bei "Bemühungen der EU, ethische Standards für die Digitalisierung zu etablieren". Die Privatsphäre, Sicherheit und Rechte von europäischen Bürgern müssten jedenfalls vor Eingriffen der chinesischen Regierung geschützt werden.

Privatsektor, Partei, Militär

Allerdings könnte mancher Zug auf dem Feld digitaler Kontrolle längst abgefahren sein. Dazu liefern die Autorinnen ein paar Zahlen:

"China hat mindestens zehn Mal so viel im Bereich Quantenforschung ausgegeben wie die Vereinigten Staaten - Schätzungen gehen von umgerechnet 50 Milliarden US-Dollar aus. Im Bereich Künstliche Intelligenz meldete China allein im vergangenen Jahr 30.000 Patente an, zweieinhalb Mal mehr als die USA." Außerdem wolle Peking "zwischen 2020 und 2030 mehr als 400 Milliarden Dollar in die Modernisierung seiner Telekommunikationsinfrastruktur auf den 5G-Standard" investieren.

Überwachung mit deutscher Hilfe - Polizeiauto in Schanghai Bild: Daniel Kalker/dpa/picture alliance

"Ein Netzwerk von Staat, Kommunistischer Partei und Privatwirtschaft im Sektor der Informations- und Kommunikationstechnologie stützt die chinesische Digitalpolitik", schreiben Ohlberg und Shi-Kupfer. "Ein kaum durchschaubares Geflecht aus staatlichen Kontrollmechanismen, Einflussnahme durch die Partei und internationalen Verbindungen stützt Chinas wachsendes Hightech-Ökosystem aus innovativen Start-ups, Risikokapitalfonds, Provinz- und Lokalregierungen - und dem Militär."

Europa sei da weit abgeschlagen. Das rächt sich nun auch für europäische Unternehmen, die mit dem neuen Bonitätssystem in China zurechtkommen müssen. Die Handelskammern warnten, die Einführung des Systems sei mit zahlreichen Ungewissheiten verbunden. Das System, in dem alle Daten zusammengeführt werden, beruhe auf einem "intransparenten Algorithmus", so die Deutsche Handelskammer.

Viel Spielraum sehen die Handelskammern nicht mehr: "Wie auch immer, das Sozialkreditsystem für Unternehmen wird kommen", so Jörg Wuttke. "Unternehmen in China müssen sich auf die Konsequenzen vorbereiten, um sicherzustellen, dass sie wegen der Kreditpunkte nicht untergehen, sondern mit den Punkten leben können."           

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