China: Mehr deutsche Investitionen trotz Risiko-Abbau
25. September 2023Auch 2023 ist viel Geld ist von Deutschland nach China geflossen. Rund 10,3 Milliarden Euro investierten deutsche Unternehmen allein in den ersten sechs Monaten 2023 im Reich der Mitte, so eine Analyse des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW). China als Zielland allein machte 16,4 Prozent der gesamten deutschen Direktinvestitionen im Ausland in der ersten Jahreshälfte aus. "So bedeutsam war das Land in Relation zum übrigen Ausland noch nie", sagte der IW-Experte Jürgen Matthes gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.
Die Zahlen seien eindrucksvoll, meint auch Johann Fuhrmann, Leiter des Büros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Peking. Allerdings beruhten sie vor allem auf dem Engagement einer relativ kleinen Anzahl deutscher Konzerne, vor allem solcher aus der Chemie- und Automobilbranche. Allein der Chemieriese BASF investierte 2022 zehn Milliarden Euro in einen neunen Verbund-Standort in der südchinesischen Provinz Guangdong, ohne einen chinesischen Partner.
"Wenn man aber mit den Wirtschaftsverbänden spricht, hört man, dass der deutsche Mittelstand im Chinageschäft etwas zurückhaltender geworden ist. Er ist aufgrund der Corona-Auflagen während des Lockdowns vorsichtig geworden. Außerdem sorgen sich diese Firmen aufgrund der Unsicherheit bei Lieferketten sowie geopolitischer Risikofaktoren."
China-Strategie der Bundesregierung fordert De-Risking
Im Juli hat die deutsche Bundesregierung ihre China-Strategie vorgestellt, die zu einem sogenannten "De-Risking" aufruft. China strebe an, "wirtschaftliche und technologische Abhängigkeiten zu schaffen, um diese dann zur Durchsetzung politischer Ziele und Interessen zu nutzen", so die Begründung. Deswegen wolle Deutschland "Abhängigkeiten in kritischen Bereichen verringern, um von ihnen ausgehende Risiken zu mindern." Allerdings strebe die Bundesregierung kein "De-Coupling", also eine Entkoppelung von China an. "An der wirtschaftlichen Verflechtung mit China wollen wir festhalten", hieß es weiter.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) begrüßte diese Strategie. "De-Risking, aber kein De-Coupling! Diese Strategie ist richtig", erklärte Verbandspräsident Siegfried Russwurm im Juli. "Sie adressiert geopolitische Risiken, betont aber gleichzeitig Deutschlands Interesse an substanziellen Wirtschaftsbeziehungen und an Kooperationen mit China zur Bewältigung globaler Herausforderungen."
Risiko, nicht am Wachstum zu partizipieren
Die hohe Summe der Direktinvestitionen (FDI) der deutschen Wirtschaft in China 2023 zeige, dass viele Unternehmen wirtschaftliche Interessen weiterhin isoliert von Sicherheitsfragestellungen betrachten, sagt Nora Kürzdörfer, Ökonomin vom German Institute for Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg. "Diese Strategie birgt langfristig hohe Risiken." Die aktuelle Statistik über die FDI deute aber an, dass viele deutsche Unternehmen das Chinageschäft als "Business as usual" fortsetzen würden, so Kürzdörfer.
Die Unternehmen begründen ihre Investitionsentscheidungen mit den langfristigen Marktchancen in China. Martin Brudermüller, Vorstandsvorsitzender von BASF, rechtfertigte das Mammutprojekt in China Ende August auf einer China-Diskussion in einer Anwaltskanzlei damit, dass "bis 2030 zwei Drittel des Wachstums in der Chemie aus China" kommen würden. Deswegen wolle BASF an dem Wachstum partizipieren und für die dortigen lokalen Kunden lokal produzieren. Um das Risiko für das Investitionsprojekt zu minimieren, habe sich BASF dazu entschieden, dass der neue Verbund-Standort ohne einen chinesischen Joint Venture-Partner in eigener Regie aufgebaut und betrieben werde.
Deutsche Autos in China weiterhin beliebt, aber wie lange noch?
Auch die deutschen Autobauer wollen mehr Autos in China verkaufen und sich der Konkurrenz der chinesischen E-Auto-Fabrikanten stellen. In der ersten Jahreshälfte 2023 wurden weltweit jeder dritte Volkswagen, jeder dritte Mercedes und jeder dritte BMW in China verkauft. Nach amtlichen Statistiken hatten 2022 die deutschen OEMs in China einen Marktanteil von noch 19,5 Prozent, dicht gefolgt von den japanischen Autoherstellern. Allerdings waren es 6,5 Prozentpunkte weniger als 2021. Tendenz sinkend. Längst haben chinesische Hersteller der E-Mobilität die Nase vorn. Das zeigte eindrucksvoll die Mobilitätsmesse IAA Anfang September in München. Die Anzahl der chinesischen Aussteller hat sich verdoppelt.
"Der Grund für weitere Investitionen der deutschen Autobauer in China ist vor allem die überragende Bedeutung Chinas als Absatzmarkt, aber auch die Energiewende und das avisierte Auslaufen des Verbrennungsmotors", so eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft Mitte September.
Die Ökonomen des Instituts glauben, dass man derzeit über die Risiken der Wirtschaftsbeziehungen noch zu wenig wisse. Potenzielle Risiken und Folgen eines Abhängigkeitsverhältnisses müssten weiter erforscht werden. "Es werden dringend Informationen darüber benötigt, ob entsprechende Produkte unentbehrlich sind, welche Rolle sie in den Lieferketten der Unternehmen spielen und ob sie durch andere Lieferländer oder eigene Produktion in hinreichendem Ausmaß und ausreichend kurzer Zeitspanne ersetzt werden können. Hier spielt eine Rolle, ob das Know-how in Europa noch verfügbar ist", so das Fazit.
China gegen "Protektionismus"
In China selbst werde die Debatte in Deutschland um das "De-Risking" aufmerksam verfolgt, sagt Nora Kürzdörfer. Die chinesische Regierung sehe die deutschen Vorbehalte kritisch. Zugleich setze China für eine bessere Konjunktur neben Export auch auf den Binnenkonsum. 2020 hatte die regierende KP ihre Strategie der "Zwei Kreisläufe" vorgestellt.
Der eine Kreislauf bezieht sich dabei explizit auf den Binnenkonsum, der andere auf internationalen Warenaustausch. So soll der Binnenkonsum angeheizt und die Exportabhängigkeit Chinas reduziert werden. Allerdings gehe es dabei ebenso wie bei der Initiative "Made in China 2025" zuletzt um mehr: "Diese Strategien sollen nicht nur den eigenen Standort stärken, sondern auch wirtschaftliche Abhängigkeiten schaffen", so Kürzdörfer.
Peking lehne das "De-Risking" und das "De-Coupling" als Politisierung der Wirtschaftsbeziehungen ab, sagt Johann Fuhrmann von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Es sei Protektionismus und gegen die Globalisierung. "Allerdings tut man in China so, als würden sich ihre Strategien wie 'Made in China 2025', die die weitestmögliche Unabhängigkeit des Landes fördert, von dem, was man in Deutschland tut, groß unterscheiden. Das ist allerdings nicht der Fall."