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Politik

China setzt auf Massen-Quarantäne gegen Corona-Virus

Hans Spross
12. Februar 2020

China hofft auf ein Ende der Virus-Epidemie bis April. Millionen Einwohner müssen sich unterdessen Kontrollen und Isolierungsmaßnahmen bisher ungekannten Ausmaßes unterwerfen.

China Wuhan Registrierung an Kontrollpunkt eines Wohngebietes
Bild: Reuters/China Daily

Die offiziell gemeldeten Zahlen über tägliche Neuansteckungen in China werden etwas kleiner: Die am Mittwoch gemeldeten 2015 Fälle liegen leicht unter den Zahlen der Vortage. In der am stärksten betroffenen Provinz Hubei gab es 1638 neue Fälle, die niedrigste Zahl seit dem 31. Januar, als 1347 neue Fälle registriert wurden. Die Gesamtzahl der registrierten Fälle beträgt 44.653 , so die chinesische Gesundheitskommission. Davon entfallen 33.366 auf die Provinz Hubei. Die Zahl der offiziell gemeldeten Todesfälle betrug 1113, davon in der Provinz Hubei 1068.

Um die Ansteckungsgefahr durch das neuartige Corona-Virus einzudämmen, leben in Hubei und den Nachprovinzen rund 60 Millionen Chinesen inzwischen unter quarantäneähnlichen Bedingungen, wie Reuters meldet. Wuhan, Hauptstadt von Hubei und Ausgangspunkt der Epidemie, wurde am 23. Januar unter Quarantäne gestellt, anderthalb Monate nach der Registrierung des ersten Patienten mit der damals noch mysteriösen Lungenerkrankung. Aus- und Einreisen sind seitdem dort für Normalbürger nicht mehr möglich.

Führung unter Druck: Staats- und Parteichef Xi Jinping besucht Zentrum für Seuchenkontrolle in PekingBild: picture-alliance/Xinhua News Agency/L. Bin

Nicht nur Wuhan betroffen

Die in der Elf-Millionen-Stadt Wuhan geltenden Einschränkungen der Bewohner, was das Verlassen und Betreten ihrer Wohnungen betrifft, werden jetzt auf die ganze Provinz Hubei ausgedehnt. Die "Hubei Ribao" (Volkszeitung von Hubei) meldet: "Das Wohnungsministerium der Provinz hat am Montag angeordnet, dass sämtliche Wohnsiedlungen isoliert werden müssen. Grundsätzlich ist nur ein einziger Ein- und Ausgang zulässig. Personen, die herein- oder herausgehen, wird die Temperatur gemessen, die Werte werden registriert. Besucher mit mehr als 37,3 Grad dürfen nicht die Siedlungen betreten. Gemeinschaftsräume wie Büchereien und Aktivitätsräume werden bis auf weiteres geschlossen."

Ähnliche Restriktionen gelten auch für die benachbarte ostchinesische Küstenprovinz Zhejiang, und zwar in Millionenstädten wie Hangzhou, Sitz des Online-Konzerns Alibaba, Ningbo, mit einem der größten Häfen weltweit, Taizhou und Wenzhou. Letztere ist mit 481 gemeldeten Infektionen Stand Dienstag am schwersten außerhalb von Wuhan betroffen. Dort wurden nach Ausbruch der Epidemie rund 20.000 Personen, die entweder Symptome zeigten oder sich in Hubei  aufgehalten oder Kontakt mit Infizierten hatten, in sogenannter "zentralisierter Quarantäne" in Hotels untergebracht. Bisweilen werden dabei Familien getrennt und können nur über Handy Kontakt halten, wie die "Washington Post" berichtet. Über 100.000 Bewohner von Wuhan stammen aus Wenzhou. Sie besuchten wie Millionen anderer Chinesen ihre Familien zum Frühlingsfest und brachten so das Virus mit.

Patienten in einem improvisierten Krankenhaus in Wuhan Bild: Imago-Images/Xinhua/Xiong Qi

"Volkskrieg"

Die Abriegelung der Stadt Wuhan gilt als Symbol für die im Stil einer militärischen Kommando-Aktion durchgeführte Maßnahme, wie sie so - ohne nennenswerten Widerspruch der Betroffenen - nur in einer Einparteiendiktatur wie China möglich ist. "Die Machthaber fühlen sich derzeit ganz wohl in diesem kriegsähnlichen Zustand", sagt der regimekritische Historiker Lifan Zhang im DW-Interview, "größerer Volkswiderstand ist allerdings unwahrscheinlich, denn die Menschen haben Angst vor dem Virus und meiden deswegen Versammlungen." Die staatlich gelenkte Presse benutzt unter Anlehnung an Begrifflichkeiten aus der Mao-Zeit den Begriff "Volkskrieg" für die Maßnahmen zur Bekämpfung der Epidemie, in Umschrift Ren Min Zhan Yi. Das Zeichen für "Yi" bedeutet hier nicht Schlacht, sondern Epidemie, beides mit derselben Aussprache.

Sinn oder Unsinn der Abschottung Wuhans werden unterschiedlich bewertet. Der äthiopische WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus lobte die chinesische Führung für ihre Entschlossenheit: "Man muss ihnen dankbar dafür sein, dass sie das Epizentrum abgeschottet haben. Sie schützen damit den Rest der Welt."

Auch Peking sieht die Maßnahme als vollen Erfolg. So sagte der chinesische Botschafter in der Schweiz gegenüber der "Neuen Zürcher Zeitung": "Die Epidemie konnte auf die Stadt Wuhan und Umgebung eingedämmt werden. Ohne Isolation und Quarantäne hätten wir noch mehr Wuhans, und wohl auch Krankheitsfälle in der Schweiz."

Zhong Nanshan, Chinas bekanntester Virenbekämpfer, sieht noch "längere Zeit harter Arbeit in Wuhan" voraus. Bild: Getty Images/AFP

Vor- und Nachteile

Der amerikanische Virologe Ian Lipkin, der sich während der aktuellen Krise in China vorübergehend zur Beratung der Regierung aufgehalten hat, wird von der FAZ mit einer skeptischeren Einschätzung zitiert: "Für die Menschen in Wuhan stieg damit die Gefahr einer Infektion, für alle anderen, auch im Ausland, sank sie." Die Sterberate in Wuhan liegt deutlich höher als im Rest des Landes. "Lipkin hält es für wahrscheinlich, dass dies mit der angespannten Versorgungssituation in der Stadt zu tun hat – die wiederum auch eine Folge der Absperrung ist", schreibt die FAZ.

Dies betreffe auch die medizinische Logistik: Nachdem Wuhan von der Außenwelt abgeschnitten wurde, wurden die örtlichen Krankenhäuser mit einem Ansturm an Patienten überfordert. Infizierte und potentiell Gesunde drängelten sich über Stunden in überfüllten Gängen – "ein epidemiologischer Albtraum." Insgesamt sei die Frage, ob die Abriegelung aus gesundheitspolitischen Gründen sinnvoll war, nicht zu beantworten, weil es keine Vergleichsgruppe gibt, meint der US-Virologe Lipkin.

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