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China tritt bei Weizenimporten auf die Bremse

6. April 2024

Es war eine Paukenschlag, als China im März Weizenlieferungen aus den USA in Rekordhöhe abbestellte. Doch was steckt hinter dem überraschenden Schachzug des größten Weizenimporteurs der Welt?

Weizenernte - hier auf einem Feld in der Region Odessa im Süden der Ukraine
Weizenernte - hier auf einem Feld in der Region Odessa im Süden der UkraineBild: Ukrinform/dpa/picture alliance

Am 8. März waren es 240.000 Tonnen, am 15. März sogar 264.000 Tonnen Weizen, die eigentlich aus den USA nach China geliefert werden sollten. Doch die Kontrakte für den US-Winterweizen wurden von chinesischer Seite storniert, so dass US-Exporteure entweder auf 504.000 Tonnen Weizen sitzen bleiben oder einen anderen Käufer würden suchen müssen. Australische Weizenlieferungen waren im März ebenfalls betroffen. Chinesische Weizenimporteure stornierten rund eine Million Tonnen australischer Weizenlieferungen oder verschoben sie in das zweite Quartal.

Die Höhe der abbestellten Mengen drückte die Futures an der Warenterminbörse in Chicago für künftige Weizenlieferungen zeitweise auf den niedrigsten Wert seit August 2020. Die Tatsache, dass mehr als eine halbe Million Tonnen US-Weizen storniert wurde, sorgte bei den Getreidehändlern dort für reichlich Gesprächsstoff. Denn nach den Daten des US-Landwirtschaftsministeriums (USDA), die bis ins Jahr 1999 zurückreichen, war es die bisher größte stornierte Menge.

Wichtigster Handelsplatz für Futures und andere Termingeschäfte: die Börse Chicago Mercantile ExchangeBild: Scott Olson/Getty Images/AFP

"Diese Stornierungen zeigen, dass China Weizen von anderen Ländern billiger beziehen kann", kommentierte Ben Buckner, leitender Getreideanalyst bei AgResource, einem Brancheninformationsdienst mit Sitz in Chicago, gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg den überraschenden Schachzug Pekings.

Höhere Lagerbestände und besseres Wetter

Jedenfalls scheinen die Zeiten, als die Preise für Getreide und andere landwirtschaftliche Güter immer höher stiegen, erst einmal vorbei zu sein. Nach Zahlen das US-Landwirtschaftsministeriums vom 28. März nahmen die Lagerbestände für Mais zuletzt um 13 Prozent und für Soja um neun Prozent zu. Den höchsten Anstieg bei den Lagerbeständen gab es aber mit 16 Prozent beim Weizen.

Neben den höheren Lagerbeständen sorgt auch eine Entspannung bei den wetterbedingten Rahmenbedingungen für niedrigere Preise, erklärt Thorsten Tiedemann, Vorstand der Getreide AG in Hamburg, im Gespräch mit der DW. "Wir hatten in den allermeisten Regionen eine mehr als ausreichende Wasserversorgung und damit gute Voraussetzungen für gute Ernten." Das sei im letzten Jahr ganz anders gewesen, als es in einigen Regionen längere Trocken-Perioden und andere negative Faktoren wie Frost gab.

Russland bleibt ein "Big Player" 

Die Situation bei Getreide und Ölsaaten sei daher allgemein entspannter als noch vor einem Jahr. "Wir haben insgesamt eine ordentliche Maisernte. Das ist die green Commodity, die den Futtergetreidemarkt dominiert. Wir haben auch eine reichliche Versorgung bei den Sojabohnen, bei Sojaschrot, jetzt auch wieder perspektivisch", unterstreicht Tiedemann. "Vor allen Dingen, weil Argentinien und Brasilien in den nächsten Wochen eine ordentliche Ernte einfahren werden."

Auch Russland sei beim Weizen nach wie vor in der Lage, viele Millionen Tonnen zu exportieren. "Russland wird wahrscheinlich im kommenden Wirtschaftsjahr 2024/25 einen Marktanteil am globalen Export von circa 29 Prozent haben", so Tiedemann. Dass Russland in den letzten Jahren große Ernten eingefahren habe und das höchstwahrscheinlich auch in diesem Jahr der Fall sein werde, habe global zu einer Entspannung an den Weizenmärkten beigetragen, erklärt der Hamburger Getreide-Experte. "In Russland werden 93 Millionen Tonnen erwartet und das wird Russland wiederum erlauben, deutlich über 50 Millionen Tonnen Getreide zu exportieren."

Preisrekord vom Mai 2022 in weiter Ferne

Im Februar 2024, so die Angaben des Datenspezialisten Statista, lagen die weltweiten Getreidepreise um 22,4 Prozent niedriger als noch im Februar 2023. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine waren die internationalen Weizenpreise im Mai 2022 auf ein neues Allzeithoch von über 522 US-Dollar geklettert. Seit dem Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1990 durch die Welternährungsorganisation FAO war noch nie mehr für eine Tonne Weizen bezahlt worden.

Weizenernte in der russischen Region Rostov: Russland kommt auf einen Weltmarktanteil von 29 ProzentBild: Sergey Pivovarov/SNA/IMAGO

Damals hatte es Befürchtungen gegeben, dass die Ausfuhren der beiden wichtigen Weizen-Exporteure Russland und Ukraine durch den Krieg stark zurückgehen und es zu Versorgungsengpässen kommen könnte.

Dabei ist die Ukraine als Weizen-Exporteur bei weitem nicht so wichtig wie Exportweltmeister Russland. Im Jahr 2022/23 exportierte die russische Föderation rund 47,5 Millionen Tonnen Weizen, gefolgt von der EU mit mehr als 35 Millionen Tonnen, Australien (32,2), Kanada (25,5) und den USA mit damals mehr als 20,25 Millionen Tonnen. Erst danach folgte im ersten Kriegsjahr die Ukraine mit rund 17,1 Millionen Tonnen Weizen.

Auswirkungen auf die USA

Die Auswirkungen für die US-Landwirtschaft halten sich bisher in Grenzen. Schon seit längerem spielt Weizen dort nicht mehr eine so dominante Rolle wie früher. "Die Zahl der Weizenfarmen ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten stark zurückgegangen, weil viele US-Landwirte auf profitablere Produkte wie Sojabohnen und Mais umsteigen. Die Zahl der Weizenfarmen in den USA ist laut Volkszählungsdaten seit 2002 um mehr als 40 Prozent zurückgegangen", rechnet Nathan Owens in einer Analyse für das Fachmagazin "Agriculture Dive" vor.

Falls die Mehrheit der US-Farmer für Donald Trump stimmt, sei das aber zu kurz gedacht, meint Michael McDougall. "Die Landwirte scheinen ein kurzes Gedächtnis zu haben", sagte der Managing Director bei Paragon Global Markets gegenüber Bloomberg. "Er hat einen Handelskrieg mit China losgetreten, der den US-Bauern eine Zeit lang geschadet hat, weil China weniger US-Agrargüter importierte. Dann musste Trump die US-Farmer entschädigen."

Damals ließ Trump rund 28 Milliarden Dollar für die US-Landwirte springen, um die Folgen seines Handelsstreits mit China abzumildern. Das trug dazu bei, dass das Nettoeinkommen der US-Landwirte im Jahr 2020 auf ein Siebenjahreshoch kletterte.

Trotzdem dürfte auch vielen US-Farmern klar sein, dass auch zweistellige Milliardenhilfen nicht ausreichen würden, wenn Trump bei einer Wiederwahl seine Pläne umsetzt. Im August hatte er angekündigt, als wiedergewählter Präsident einen Zoll von 10 Prozent auf alle in die USA eingeführten Waren zu verhängen. Die möglichen Vergeltungsmaßnahmen anderer Länder und der Schaden für amerikanische Exporte ließe sich dann aber wohl kaum noch kompensieren.

Indien - hier die Ernte von Weizen im Bundesstaat Rajasthan - ist die weltweite Nummer Drei der WeizenproduzentenBild: abaca/picture alliance

Wettereinflüsse als zentraler Faktor

Entscheidend sind die weiteren Wetterbedingungen für die künftige Ernte. Wie einschneidend Wettereinflüsse sein können, zeigt das Beispiel Argentiniens, dessen Weizenexporte von 17,65 Millionen Tonnen im Jahr 2021/22 auf nur noch 4,68 Millionen Tonnen 2022/23 einbrachen. Der Grund: Übermäßige Trockenheit und eine späte Frostperiode. Während Argentinien traditionell vor allem in andere lateinamerikanische Länder exportiert, gehen in guten Erntejahren Millionen Tonnen Weizen nach Asien. Künftig sollen die Exporte besonders nach China hochgeschraubt werden, berichtet die Fachzeitschrift "Miller Magazine".

China nimmt auf dem internationalen Weizenmarkt eine einzigartige Position ein. Das Reich der Mitte ist gleichzeitig weltweit größter Weizenproduzent und seit 2022/23 größter Importeur. Dabei ist China trotz seiner beträchtlichen einheimischen Produktion von rund 137 Millionen Tonnen weiterhin auf erhebliche Mengen an internationalen Weizenlieferungen angewiesen. Das gilt sowohl für den Lebensmittel- als auch für den Futtermittelverbrauch. Seit 2020/21 importiert China im Durchschnitt rund zehn Millionen Tonnen.

"Die heimische Produktion hatte im laufenden Wirtschaftsjahr mit Problemen zu kämpfen, die auf übermäßige Nässe zurückzuführen sind, was zu einer geringeren Produktion und einem höheren Anteil an Weizen in Futtermittelqualität führte", schreibt das "Miller Magazine". Während vor allem Australien, Kanada, Frankreich, die USA und Kasachstan die wichtigsten Quellen für Chinas Weizenimporte waren, habe sich China in den letzten Jahren aber aktiv um eine Diversifizierung seiner Lieferanten bemüht.

Russland spielt dabei als größter Weizen-Exporteur der Welt für Peking eine immer wichtigere Rolle. Hinzu kommen verstärkt Weizen-Handelspartner wie Argentinien.

In Deutschland werden rund 21 Millionen Tonnen Weizen pro Jahr geerntet. Hier auf einem Feld im Bundesland Niedersachsen Bild: Martin Wagner/IMAGO

China auf dem Weg zu einer größeren Weizenernte

Die Rohstoff-Experten berufen sich dabei auf Berichte der chinesischen Wetterbehörde von Anfang März. Danach hätten Schneefälle in den wichtigsten Winterweizenanbaugebieten des Landes zwischen Januar und Februar die Bodenfeuchtigkeit erhöht. Die meisten Pflanzen hätten die Winterruhe sicher überstanden. Dazu seien in Teilen der Weizenanbau-Regionen Jianghuai und Jiangnan nur geringe Frostschäden zu erwarten, berichtet S&P Global Commodity Insights. Das Wachstumsstadium der Ernte sei weitgehend gleich oder besser als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. 2023 war ein beträchtlicher Teil der Weizenernte durch unvorhergesehene sintflutartige Regenfälle beschädigt worden und nur noch als Futterweizen zu gebrauchen.

"Insgesamt muss man aber schon ein bisschen vorsichtiger sein, wenn man sich die Weizenbilanz fürs kommende Jahr anschaut", warnt Thorsten Tiedemann vor zu viel Optimismus. Die Lage hätte sich zwar durch die guten Lagerbestände aus der letzten Ernte und die laufenden Exporte aus der Ukraine deutlich entspannt.

"Ich gehe davon aus, dass wir 2024/25 gegenüber den Vorjahren in den Exportursprungsländern einen Bestandsabbau haben werden. Grund dafür sind teilweise kleinere Ernteerwartungen und ein wieder etwas anziehender Verbrauch durch die niedrigeren Preise."

Man könne davon ausgehen, so der Hamburger Getreide-Experte, dass sich die Preise auch "wieder explosiv nach oben" entwickeln könnten, wenn es irgendwo zu Ernteausfällen oder Schlechtwetter-Nachrichten kommt."

Als Beispiel nennt Tiedemann eine schlechte Ernte in der Europäischen Union. "Beispielsweise, wenn es in Frankreich einen trockenen Mai oder Juni geben würde. Ich glaube, dann könnte der Markt auch wieder extrem nervös reagieren, weil wir dann bei schon durchschnittlichen Ertragserwartungen perspektivisch auf geringere Weizenbestände zufahren. Jetzt ist die Situation noch auskömmlich, aber das muss nicht so bleiben."

Thomas Kohlmann Redakteur mit Blick auf globale Finanzmärkte, Welthandel und aufstrebende Volkswirtschaften.
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