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Politik

China verstößt gegen eigene Gesetze

Hans Spross
27. November 2019

China sieht sich nach den jüngsten Enthüllungen über seine Repression gegen die Uiguren international auf der Anklagebank. Eine Verteidigung: Alles sei gesetzeskonform. Dem ist nicht so, wie Experten klarstellen.

China | Muslime | Umerziehungslager
Bild: Getty Images/AFP/G. Baker

Schon vor den jüngsten Enthüllungen geheimer Dokumente ("China Cables") über das Management der Umerziehungslager in Xinjiang war deren Existenz und Ausmaß bekannt. China betonte zwar stets seine Entschlossenheit, mit Härte gegen die "drei Übel Extremismus, Separatismus und Fundamentalismus" vorzugehen. Bei den Methoden hielt es sich aber bedeckt, insbesondere nachdem sich in Peking etwa 2017 die Linie durchsetzte, dass nur durch eine flächendeckende Austreibung der religiösen und kulturellen Traditionen der Uiguren die riesige Westregion Xinjiang zu befrieden wäre.

Natürlich hat die Parteiführung diese Strategie nie offen nach außen kommuniziert. Aber dass genau diese Strategie hinter dem Lager- und Überwachungssystem in Xinjiang steht, ist Konsens bei allen unabhängigen Beobachtern.

China-Expertin Katja Drinhausen konstatiert "Diskrepanz in der Behandlung verschiedener Bevölkerungsgruppen und Individuen, wenn diese als Gefahr für die nationale und politische Sicherheit eingestuft werden"Bild: MERICS

Rechtfertigungsnot bei Chinas Führung

Noch Anfang 2018 stellte der Xinjiang-Forscher Adrian Zenz im DW-Gespräch fest: "Zu den Umerziehungslagern gibt es von Peking eigentlich keine Antwort. Und das deutet auch darauf hin, wie schwierig dieses Thema ist, gerade unter dem Gesichtspunkt, dass China das politische Umerziehungssystem durch Arbeit, das von Mao Zedong eingerichtet wurde, 2013 offiziell abgeschafft hat … Die Chinesen finden wohl nicht wirklich einen Ansatz, um dieses System zu rechtfertigen, weil es über die normale Terrorabwehr weit hinausgeht."

Auf die internationale Bühne kam das Thema erstmals Ende August 2018. Damals zeigte sich der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung "alarmiert" angesichts der Berichte über die Inhaftierung von Uiguren und Angehörigen anderer muslimischer Minderheiten in Xinjiang, über flächendeckende Überwachung und Verbote der uigurischen Sprache und andere Maßnahmen.

Hu Lianhe, der chinesische Vertreter auf der Sitzung, bestritt die Existenz von "Umerziehungslagern", aber räumte ein, dass diejenigen, die sich geringfügiger Vergehen schuldig gemacht hätten, in sogenannten Berufsbildungszentren "Anleitung und Ausbildung" erhielten. Parallel zu dieser neuen Sprachregelung wurde ein Gesetz in der Provinz Xinjiang erlassen, welches die verschiedenen Maßnahmen zur Ausmerzung des Extremismus enthält, wie auch die verschiedenen Erscheinungsformen von Extremismus ausführt. 

An einem Dialog mit moderaten Vertretern der Uiguren wie dem verurteilten Ilham Tohti hat Peking kein InteresseBild: picture-alliance/AP Photo/A. Wong

Pekings Behauptung der Gesetzeskonformität hält nicht stand

Peking behauptet, seine Maßnahmen seien von den Landesgesetzen gedeckt. Dem ist aber nicht so, wie westliche Experten ausführen: "In den detaillierten Regeln über Extremismusbekämpfung in Xinjiang von Ende 2018 steht nichts darüber, dass Personen, die sich 'extremistischer Taten und/oder Worte' schuldig gemacht haben, langfristig ihrer Freiheit beraubt werden", sagt Katja Drinhausen, Expertin für chinesisches Recht beim Berliner Forschungsinstitut MERICS.

Genau das passiere aber: "Durch die 'China Cables' ist nochmal deutlich geworden, dass es sich in Xinjiang um ein System von Internierungslagern handelt, in dem Personen über einen langen Zeitraum - von in der Regel einem Jahr - festgehalten werden." Dabei dürfe Freiheitsentzug auch in China nur auf Grundlage eines auf nationaler Ebene beschlossenen Gesetzes geschehen, was gleich dreimal festgeschrieben sei: In der Verfassung, im Gesetzgebungsgesetz und im Verwaltungsstrafengesetz. "Aber es gibt kein Gesetz in China, das erlaubt, dass man Personen zum Zweck der ideologischen Umerziehung für ein Jahr oder länger in solche geschlossenen Anstalten stecken darf", fügt Katja Drinhausen hinzu. 

In diesem Zusammenhang verweist ihre Fachkollegin Eva Pils vom Londoner King's College auf Paragraph 238 des chinesischen Strafgesetzbuchs. Dort wird ungesetzliche Freiheitsberaubung unter Strafe gestellt. Macht sich ein "Staatsdiener unter Missbrauch seines Amtes" dieses Verbrechens schuldig, erhält er sogar das höchste der vorgesehen möglichen Strafmaße. Insgesamt lässt sich also sagen, dass Chinas Position, in Xinjiang gehe alles mit rechten Dingen zu, auf schwachen Füßen steht, um es vorsichtig auszudrücken.

Beschauliche Szene in Kashgar: Chinas Sicherheitsapparat interessiert sich mehr für die jungen als für die alten Uiguren. Bild: AFP/G. Baker

Propaganda funktioniert - für das Inland

"Die chinesische Führung kann nur deshalb sagen, dass die Maßnahmen gesetzeskonform sind, weil sie bestreitet, dass es sich dabei um Freiheitsentzug handelt", erklärt Katja Drinhausen. Während diese Position im Westen aufgrund von Recherchen der New York Times und des Internationalen Netzwerks investigativer Journalisten (ICIJ) nicht verfängt, scheint sie im Inland geglaubt zu werden.

Denn die Vorgänge in Xinjiang finden in China selbst kein kritisches Echo. Das erklärt die Expertin von MERICS unter anderem mit der geschickten Propaganda-Arbeit der Partei: "Die streng kontrollierte Berichterstattung vermittelt das Bild von einem humanitären Ansatz, den die Regierung in Xinjiang verfolgt, nämlich Extremismusbekämpfung durch kostenlose Bildungsangebote, nicht wie die USA mit Methoden à la Guantánamo. Seit Beginn dieser Maßnahmen gab es scheinbar keine weiteren Anschläge. Das wird positiv anerkannt. Kritik und Informationen von außen werden dagegen zügig unterdrückt." 

Die Wahrheit über die Vorgänge in Xinjiang werde auch durch eine Informationssperre im Innern unterdrückt, sagt Katja Drinhausen: "Für alle, die dort leben und sehen, wie es wirklich ist, gilt ein striktes Verbot der Weitergabe von Informationen. Eine Erkenntnis aus den Enthüllungen ist, dass nicht alle lokalen Kader, die mit der Umsetzung der Politik beauftragt sind, dies gut fanden. Einzelne haben versucht, um Vorgaben herumzukommen und sind dann selbst sanktioniert worden."

Kann China wachsende internationale Kritik weiter abwehren? Bild: picture-alliance/AP Photo/K. Hagen

Mögliche Verletzung internationaler Abkommen

Die Frage, wie Peking die Übereinstimmung seines Handelns in Xinjiang mit seinen eigenen Gesetzen in Übereinstimmung bringt, lässt sich vielleicht unter "innere Angelegenheiten" rubrizieren. Etwas anderes ist die Frage der Übereinstimmung mit internationalen Übereinkommen, denen wie Eva Pils betont auch China beigetreten ist, etwa der Anti-Folterkonvention. Die dort enthaltene Definition von Folter könnte nach allem, was bisher bekannt geworden ist, vielfach auf die Lager und Verhöre in Xinjiang zutreffen. Deshalb fordern westliche Regierungen wie die Großbritanniens und Deutschlands von China die baldige Öffnung Xinjiangs für "unabhängige internationale Beobachter". Aber eben deshalb dürfte China einen solchen Zugang auch nicht so bald gewähren.

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