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China vs USA: Das Rennen um die KI-Führung

Nik Martin
24. Juli 2023

Auch bei Künstlicher Intelligenz will China weltweit führend werden. Auf den ersten Blick hilft dabei zwar das Ausspähen und die Kontrolle des eigenen Volkes. Auf den zweiten Blick könnte das aber ein Nachteil sein.

Das Digitale Gehirn als Symbol für Künstliche Intelligenz
Bild: Alexander Limbach/Zoonar/picture alliance

China will bis 2030 zum weltweit führenden KI-Macht werden, so die offizielle chinesische Regierungspolitik. Dafür wird tief in die Tasche gegriffen. Allein in diesem Jahr will die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt 15 Milliarden Dollar (13,5 Milliarden Euro) in KI-Projekte investieren - ein Anstieg von fast 50 Prozent in nur zwei Jahren. Ausgaben, die es den chinesischen Tech-Giganten leichter machen sollen, bei der Entwicklung von Chatbots mit Künstlicher Intelligenz (KI) mit ihren US-Wettbewerbern mitzuhalten.

 

Zwar befinden sich die fortschrittlichsten KI-Labore in den USA und im Vereinigten Königreich, aber nicht alle Experten glauben daran, dass der Westen das Rennen um KI auch in Zukunft dominieren wird. Einer von ihnen ist Kai-Fu Lee, ein taiwanesischer Informatiker, Risikokapitalgeber und Tech-Führungskraft. Er sagte schon 2018, dass China die USA als KI-Supermacht schnell überholen werde.

Das Innovationsstadium bei KI sei bereits überschritten. Inzwischen befinde sich die Welt in der Phase der KI-Implementierung und gerade da habe China einen Vorsprung, weil bei der die jahrelangen Bespitzelung der eigenen Bevölkerung riesige Datenmengen gesammelt wurden. Mehr als die Hälfte der schätzungsweise eine Milliarde Überwachungskameras auf der Welt sind in China installiert. Mit diesen Daten könnten KI-Plattformen trainieren, so Lee.

Qualität der Daten ist entscheidend

Andere Experten sind dagegen der Ansicht, dass die KI-Revolution noch in den Kinderschuhen stecke. "Die großen Innovationen im Bereich der KI haben noch nicht stattgefunden - ganz im Gegenteil [...] und die USA sind in diesem Bereich derzeit im Vorteil", glaubt Pedro Domingos, emeritierter Professor an der Paul G. Allen School of Computer Science & Engineering an der University of Washington, gegenüber DW.

Die Überwachung einer Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen schafft eine riesige Datenmenge, mit der sich KI trainieren lässtBild: STR/AFP/Getty Images

Domingos argumentiert, dass es außerdem bei großen Datenmengen "abnehmende Erträge" geben würde. Die pure Menge an Daten führt also nicht unbedingt zu einem Vorteil. "Auch die Vielfalt der Daten ist wichtig", erklärt Domingos. "Ich hätte lieber Daten aus Europa als aus China, weil sie vielfältiger sind und man daher mehr daraus lernen kann."

Chip-Beschränkungen verzögern Pekings Ambitionen

In den USA beobachtet man die Ambitionen in Peking mit Sorge. Im vergangenen Jahr haben die USA Exportbeschränkungen für modernste Speicherchips verhängt. Solche Chips brauchen chinesische Unternehmen für KI-Sprachmodelle.

"Die modernsten KI-Systeme erfordern riesige Mengen an Hardware - Tausende von hochspezialisierten Chips, die wochen- oder monatelang am Stück laufen", so Paul Scharre, Executive Vice President und Studiendirektor des Center for a New American Security, gegenüber DW. "Wenn man China den Zugang verweigert, kann es die fortschrittlichsten Systeme nicht mehr bauen, und diese Lücke wird sich im Laufe der Zeit wahrscheinlich noch vergrößern, da die Chiptechnologie weiter voranschreitet."

Vorankkommen trotz Chipmangel?

Allerdings könnten chinesische Technologieunternehmen Wege finden, das Verbot zu umgehen. Zudem könnte es einen Investitionsboom auf dem chinesischen Halbleitermarkt geben, denn auch die chinesischen Hersteller sind dabei, ihre Chips zu verbessern.

Die chinesische Version von Chat GPT der Firma Baidu heißt ErnieBild: CFOTO/picture alliance

Ein weiteres Problem ist, dass US-amerikanische Plattformen für maschinelles Lernen derzeit noch quelloffen sind und frei kopiert und verändert werden können. "Wenn man Zugang zu einem trainierten KI-Modell hat, braucht man die fortschrittlichen Chips nicht", so Scharre. "Es besteht also ein echtes Risiko, dass die Exportkontrollen unwirksam werden", warnt Scharre, der auch ein Buch zum Thema "Macht im Zeitalter der künstlichen Intelligenz" geschrieben hat.

Tatsächlich wurden Chinas eigene Versionen von Chat GPT, die unter anderem vom E-Commerce-Riesen Alibaba und der Social-Media-Plattform Baidu entwickelt wurden, im April der Weltöffentlichkeit vorgestellt - nur wenige Monate nach ihren US-Konkurrenten.

China behindert eigenen Fortschritt

Auf dem Weg zur KI-Weltmacht gibt es für China noch weitere Hürden. Zwar fördert die Politik auf der einen Seite die Technologie, auf der anderen Seite hat das harte Durchgreifen von Präsident Xi Jinping gegen die Macht des Technologiesektors in den letzten zwei Jahren die chinesischen Führungskräfte wahrscheinlich risikoscheuer gemacht.

"Wir haben eine Explosion von Regeln und Durchsetzungsmaßnahmen für den Tech-Sektor gesehen", sagte Karman Lucero, ein Fellow am Paul Tsai China Center an der Yale Law School, gegenüber DW. "Oft waren die Maßnahmen sehr undurchsichtig und gingen den neuen Regeln sogar voraus, was eine abschreckende Wirkung auf die Branche hat."

Lucero meint, die Zensur durch die chinesische Regierung könnte sogar zum Nachteil werden. Es würde so programmiert, dass viele verbotene Themen vermieden werden und große Mengen an Daten fehlen. Dadurch könnten KI-Modelle nicht ihr volles Lernpotenzial ausschöpfen. In China gebe es viele Inhalte, die zensiert würden. Was genau zensiert werde, ändere sich aber ständig. "Ein heute erlaubtes Thema, kann morgen schon verboten sein", so Lucero.

Brain Drain von hochqualifizierten Arbeitskräften

Auch in China gibt es nicht genügend qualifizierte Arbeitskräfte, die zur Erreichung von Pekings Zielen benötigt werden. Zwar sind die Bemühungen groß, ein Heer von KI-Talenten aufzubauen, aber es ist eine Herausforderung, Spitzenkräfte in der Technologiebranche zu halten, wenn ihre Fähigkeiten weltweit gefragt sind.

"Die Abwanderung von Talenten ist ein Haupthindernis, weil Chinas autoritäres System die Menschen forttreibt," so Scharre. "Chinas Top-KI-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verlassen das Land, und es ist nicht nur so, dass sie ins Ausland gehen, um dort zu studieren und zu arbeiten, sie bevorzugen eine demokratischere Lebensweise."

Trotz dieser Probleme ist Scharre der Meinung, dass Chinas KI-Labore nur 18 Monate hinter den derzeit führenden Forschungslaboren im Westen zurückliegen und dass das Land bereits einen Vorsprung hat, wenn es um den Einsatz von KI in der Gesellschaft geht.

China lässt sich nicht entmutigen

Während in den USA und in Europa diskutiert werde, ob die Einführung von KI aufgrund von Sicherheitsbedenken pausiert werden sollte, arbeite China mit Volldampf an der Nutzung von KI, so Domingos. Sie sei schließlich ein "Traumwerkzeug für Autokraten". "Für uns in der demokratischen Welt ist es absolut wichtig, dass die USA die Nase vorn haben. Wenn China die KI-Führung übernimmt, werden wir große Probleme bekommen - politisch, wirtschaftlich und militärisch", warnt er.

Im letzten Jahrhundert habe sich die US-Kultur und -Technologie weltweit verbreitet. Wenn China die Führung bei künstlicher Intelligenz übernehme, würde sich die Welt der KI-Macht ähnlicher, befürchtet Domingos. "In mancher Hinsicht mag das harmlos sein - es gibt viele großartige Dinge in China - aber in Bezug auf ihre Ideologie ist es sehr gefährlich."

Der Text wurde aus dem Englischen übersetzt

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