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Politik

Chinas Boykott trifft Südkorea

Fabian Kretschmer
30. März 2017

Seit in Südkorea ein umstrittenes US-Raketenabwehrsystem installiert wird, ist ein heftiger Streit mit China entbrannt. Dieser macht sich im Stadtbild Seouls bemerkbar: Es kommen keine chinesischen Touristen mehr.

Südkorea chinesischer Boykott | leere Touristen- und Einkaufszentren in Seoul (Foto: DW/F. Kretschmer)
Bild: DW/F. Kretschmer

Das einstige Adligen-Viertel Bukchon zählt mit seinen traditionellen Holzbauten zum beliebtesten Sightseeing-Ziel für ausländische Besucher in Seoul (Artikelbild). Wer die steilen Gassen des historischen Bezirks erklimmt, wird mit einem malerischen Blick auf das Zentrum der Zehn-Millionen-Metropole belohnt. Zu jeder Jahreszeit strömt ein nicht enden wollender Fluss aus jungen Pärchen mit Selfie-Sticks durch das idyllische Bukchon. Von der Kehrseite des Touristenbooms zeugen dutzende Verbotsschilder, die allesamt mit chinesischen Schriftzeichen versehen sind: Besucher sollen doch bitte leise sein, schließlich befinde sich hier eine Wohngegend.

An diesem frühlingshaften Mittwochvormittag kann allerdings von Lärm keine Rede sein, ganz im Gegenteil. In Bukchon ist es trotz des Kaiserwetters geradezu gespenstisch ruhig, die einst belebten Straßen sind regelrecht verlassen. "Seitdem keine Chinesen mehr kommen, ist es hier an manchen Tagen fast vollkommen leer", sagt der Brite David Kilburn, der bereits seit 1988 im Viertel wohnt.

Nicht alle Südkoreaner wollen unter den Raketenschirm Bild: picture-alliance/AP Photo/A. Young-joon

China reagiert allergisch auf Raketenabwehr

Die ungewohnte Ruhe in Seouls touristischem Hotspot ist nur eine von vielen Folgen des jüngsten diplomatischen Streits zwischen Südkorea und China. Anfang März begann das US-Militär, ein neues Raketenabwehrschild 200 Kilometer südlich von Seoul zu installieren. Das "THAAD"-System mit seiner hohen Reichweite und Flughöhe wurde in den 90er Jahren als Maßnahme gegen irakische Scud-Raketen entwickelt und erstmals 2008 bei der US-Armee in Dienst gestellt.

Aus Sicht des US-Militärs, das in Südkorea knapp 30.000 Soldaten stationiert hat, ist es daher eine Art Wunderwaffe gegen die wachsende atomare Bedrohung aus Pjöngjang: Das Abwehrsystem soll Kurz- und Mittelstreckenraketen während ihrer letzten Flugphase abfangen und vollständig vernichten können. Immer wieder droht Nordkorea, den Süden in "ein Meer aus Feuer" zu verwandeln.

China wertet THAAD jedoch als Angriff auf seine nationale Souveränität. Für Peking bringe das Raketenabwehrsystem das strategische Gleichgewicht in der Region aus der Balance. THAAD könne schließlich von den Amerikanern dazu missbraucht werden, das eigene Militär auszuspionieren.

Gähnende Leere in Seouls Duty-Free-ShopsBild: DW/F. Kretschmer

Machtvakuum in Seoul

Geplant war ursprünglich, den Raketenschild erst gegen Ende des Jahres zu installieren. Doch Washington nutzte kurzerhand das derzeitige Machtvakuum Südkoreas aus. Während die amerikafreundliche Präsidentin Park Geun-hye infolge eines Korruptionsskandals entmachtet wurde, begannen die Bauarbeiten zur Stationierung des THAAD-Systems bereits früher als vereinbart. Der nächste Präsident wird nämlich aller Voraussicht von der linksgerichteten Oppositionspartei gestellt, die die Stationierung von THAAD tendenziell ablehnt. Die südkoreanische Linke fürchtet ein mögliches Wettrüsten innerhalb der Region sowie die negativen Folgen für die Beziehung zu China.

Und das mit Grund: Am 15. März verhängte das Pekinger Tourismusministerium einen Verkaufsstopp für Gruppenreisen nach Südkorea. Ein harter Schlag für Südkoreas Tourismus-Sektor: Im letzten Jahr kamen fast die Hälfte aller 17 Millionen ausländischen Besucher aus dem Reich der Mitte. Ganze Shopping-Viertel waren ausschließlich auf die zahlungsfreudigen Touristen aus China ausgerichtet.

In Myeongdong, der größten Einkaufsmeile Seouls, herrscht sichtbar gedrückte Stimmung. Vor wenigen Wochen noch warben die Verkäufer hauptsächlich auf Mandarin um ihre Kundschaft, die dominierende Sprache auf den meisten Werbeschilder ist nach wie vor Chinesisch. Derzeit sind aber die meisten Passanten koreanische Angestellte auf Mittagspause. "Unser Geschäft ist seit dem Konflikt um die Raketenabwehr mindestens um die Hälfte eingebrochen", sagt der Manager einer Kosmetikkette. Seinen Namen möchte er nicht nennen, genau wie die anderen Restaurant- und Ladenbesitzer aus dem Viertel. Das Thema sei derzeit hochbrisant. Allesamt klagen sie jedoch über massive finanzielle Einbußen von mindestens dreißig Prozent.

Einzelne chinesischsprachige Touristen werden noch gesichtet, aber sie kommen nicht aus China, sondern z.B. aus Singapur Bild: DW/F. Kretschmer

Lotte-Konzern als Sündenbock

Unter den großen koreanischen Unternehmen musste vor allem die Lotte-Gruppe als Sündenbock herhalten. Benannt nach einer Romanfigur aus Goethes "Die Leiden des jungen Werther", zählt Lotte zu den großen familiengeführten koreanischen Unternehmen. Seit Lotte einen Golfplatz an die Regierung verkauft hat, auf dem nun das Raketensystem THAAD installiert wird, ist das Unternehmen zur Zielscheibe für Peking geworden. Mindestens 23 Lotte-Supermarktfilialen in China mussten bereits schließen – offiziell wegen Verstoß gegen Brandschutzvorschriften.

Auch im Seouler Lotte Hotel, einem Fünf-Sterne-Hotel mit über 1100 Zimmern, sind an diesem Vormittag so gut wie keine chinesischen Gäste zu sehen. Nach anfänglichem Zögern willigt ein Rezeptionist zu einem anonymen Gespräch ein: "Ja, natürlich kommen seit letzter Woche viel weniger Chinesen. Wir hoffen, dass wir den Verlust durch Gäste aus dem arabischen Raum und Südostasien ausgleichen können". Zumindest kurzfristig scheint dieses Ziel jedoch utopisch.

Zudem leidet auch die koreanische Unterhaltungsbranche, die zu großen Teilen vom chinesischen Markt abhängig ist. In den vergangenen Wochen wurden immer wieder Konzerte von sogenannten K-Pop-Bands kurzfristig abgesagt, ebenso wie Werbeverträge mit koreanischen Schauspielern. Ein halbes Dutzend beliebter Fernsehserien wurde aus chinesischen Streamingdiensten gelöscht. Am Mittwoch berichtete die Tageszeitung "Joongang Ilbo", dass die für das Beijing International Filmfestival im April eingeladenen südkoreanischen Beiträge aus dem Programm genommen wurden.

 

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