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Politik

Chinas Ethnien zwischen Anpassung und Widerstand

Hans Spross
24. Dezember 2019

In Tibet hat China weitgehend "Stabilität" nach seinen Vorstellungen hergestellt, in Xinjiang arbeitet es noch daran. Auch die Hui-Minderheit, Muslime wie die Uiguren, wird schärfer reglementiert.

China Hui-Mädchen vor der Niujie-Moschee
Bild: picture-alliance/AP Photo/A. Wong

Nach dem Ende der Qing-Dynastie (1644-1911), der letzten Kaiserdynastie in China, fielen auch die riesigen westlichen und nördlichen Randgebiete des Reiches als Erbmasse an die 1912 gegründete chinesische Republik. Aber erst mit der Gründung der Volksrepublik China 1949 setzte sich die effektive Herrschaft der Zentralregierung über die Minderheitengebiete durch. Diese machen 65 Prozent des Territoriums aus, die dort lebenden Volksgruppen jedoch nur rund acht Prozent der Gesamtbevölkerung.

Die größte ethnische Gruppe bilden die Han-Chinesen. Offiziell sind weitere 55 ethnische Minderheiten registriert, die zum großen Teil in den fünf Autonomen Regionen leben, die zwischen 1947 und 1962 etabliert wurden.

 "Weiche" Autonomiegesetze

Auch in anderen Regionen bzw. Provinzen sind Siedlungsgebiete von Minderheiten zu finden, so in der Provinz Qinghai, die überwiegend aus tibetischen Autonomiebezirken und -kreisen besteht. In Yunnan an der Grenze zu Myanmar, Laos und Vietnam entfällt etwa die Hälfte der Fläche auf acht autonome Bezirke für jeweils eigene Minderheiten. Die größten sind die Miao (10 Mio.), die Yi oder Nuosu (8,7 Mio.), und die Tujia (8,3 Mio.)

Allerdings handelt es sich auf keiner dieser Ebenen um echte Autonomie, wie der Sinologe Thomas Heberer in einem Aufsatz von 2008 schreibt: "Trotz der in der Verfassung und in den Gesetzen verankerten Autonomierechte gibt es keine rechtlichen und politischen Instrumente zur Durchsetzung dieser 'weichen' Gesetze. Zudem sieht das 1984 verabschiedete Autonomiegesetz keine Mitspracherechte der betroffenen Ethnien in wichtigen Fragen wie Einwanderung von Han, Industrieansiedlung oder Schutz natürlicher Ressourcen vor."

(Archiv) Dalai Lama (m.), geistliches Oberhaupt der TibeterBild: Getty Images/L. Wangyal

Widerstand in Tibet und Xinjiang

Die Integration der verschiedenen Minderheiten in die von den Han dominierte chinesische Gesellschaft ist unterschiedlich stark. Während die zu den größten Minderheiten gehörenden Zhuang im Süden oder Manchu im Nordosten weitgehend assimiliert sind, beharren Tibeter und Uiguren auf ihrer Eigenständigkeit.

Im Falle Tibets kommt die Unterdrückung der Verehrung des Dalai Lama hinzu. Im März 1989 rief Peking in Lhasa nach Protesten das Kriegsrecht aus, 2008 kam es in ganz Tibet zu Unruhen. Immer wieder kommt es zu Selbstverbrennungen von Tibetern, eine regelrechte Welle gab es 2013.

Der starke Zuzug der Han nach Xinjiang hat dort zu den gesellschaftlichen Spannungen wesentlich beigetragen. 1949 waren dort nur vier Prozent der Einwohner Han-Chinesen, jetzt sind es knapp 40 Prozent. Die muslimisch geprägten Uiguren stellen mit rund 46 Prozent (noch) die relative Mehrheit unter den rund 24 Millionen Bewohnern. In den 30er und 40er Jahren kam es zweimal mit sowjetischer Unterstützung zu kurzlebigen Gründungen einer "Republik Ost-Turkestan" durch die angestammte Bevölkerung. Die Uiguren sind als einziges größeres Volk in Zentralasien eine "Nation ohne Staat".

Anti-Terror-Truppen in Kashgar, XinjiangBild: Imago/VCG

Kontrolle über Xinjiang als Priorität

Für Peking hat die Unterdrückung jeglicher separatistischer Bestrebungen in Xinjiang höchste Priorität. Dies gilt umso mehr, seitdem sie durch ihre geographische Lage eine zentrale Rolle in Xi Jinpings Projekt der Neuen Seidenstraße spielt. "Es ist für China wichtig, dass die Region Xinjiang politisch stabiler wird, damit das Projekt vorankommt", sagt Basil Zimmermann, Leiter des Konfuzius-Instituts in Genf, vor kurzem gegenüber dem Zürcher "Tagesanzeiger".

Abgesehen von seiner Rolle im Seidenstraßen-Projekt hat Xinjiang, das wörtlich "Neues Territorium" heißt, auch eine wichtige Rolle für Chinas Rüstung. Früher testete China dort in der Wüste seine Atomwaffen, heute ist in Xinjiang das Testgelände für modernste weitreichende Anti-Schiff-Raketen. Mit deren Hilfe wollen Pekings Strategen eines Tages die überlegene US-Navy in Schach halten.

Es kam in Xinjiang und auch außerhalb der Region seit Anfang der 1990er Jahre immer wieder zu Bombenanschlägen und Messerangriffen gegen die Han-Bevölkerung durch radikale Uiguren. Zu einigen der Anschläge bekannte sich die terroristische "Islamische Partei von Turkestan", die auch Verbindungen zu Al Kaida und zum IS hatte beziehungsweise hat. Seit 2017 wurden keine größeren Anschläge mehr verzeichnet.

Warum das Lagersystem? 

Unterdessen errichtete die chinesische Führung insgeheim das inzwischen weltweit bekanntgewordene Überwachungs- und Lagerregime in Xinjiang zur gewaltsamen Umerziehung der Uiguren. Sie sollen möglichst Chinesisch anstatt Uigurisch sprechen und statt des Korans die Reden Xi Jinpings rezitieren. "Es gibt nichts, was dafür spricht, Leute gegen ihren Willen einzusperren, um ihnen die eigene Kultur auszutreiben und eine fremde aufzuzwingen. Doch offenbar gibt es Teile der kommunistischen Regierung, die dies als besten Weg betrachten, mit den Problemen der Region Xinjiang umzugehen", so die Erklärung von Basil Zimmermann für die vom Westen verurteilten Maßnahmen Pekings.

Ganz anders sieht China-Experte Adrian Zenz, der wesentlich zur Bekanntmachung des Lagersystems in Xinjiangs beigetragen hat, die Motivation der chinesischen Führung. "Es geht der KP nicht nur um reine Machtausübung, sondern auch um das Heranziehen eines der Ideologie gemäßen 'neuen Menschen'", schreibt Zenz in einem Beitrag für die FAZ. "Dem Hunger des Menschen nach tieferer Sinnfindung und geistlicher Erfüllung kann sie nur mit einer immer zwanghafteren ideologischen Gleichschaltung begegnen. Wenn reguläre Propagandamethoden hier nicht ausreichen, dann bleibt nur die Umerziehung", schreibt Zenz.

China-Experte Adrian ZenzBild: picture-alliance/dpa/Keystone/M. Trezzini

Muslimische Hui-Minderheit ebenfalls betroffen

Auch in anderen Gebieten mit muslimischen Minderheiten setzt Peking, wenn (noch) nicht auf drastische Umerziehungsmaßnahmen wie in Xinjiang, so doch auf die "Sinisierung" der Religion. Das bekommt vor allem die muslimische Hui-Minderheit zu spüren, mit rund 10,5 Millionen Angehörigen die zweitgrößte Chinas. Die Hui haben im Unterschied zu den anderen Minderheiten keine eigene Sprache. Es sind Nachfahren arabischer Händler, die vor 1500 Jahren nach China kamen. Die Hui sprechen Chinesisch und sehen aus wie Chinesen und leben weit verstreut in China.

In ihrem Hauptsiedlungsgebiet, der Autonomen Region Ningxia, hatte sich die Zahl der Moscheen von 1958 bis 2016 auf 4000 mehr als verdoppelt. Seitdem im April 2018 die Religionsangelegenheiten von dem zuständigen staatlichen Büro an die Ideologie-Einheit der Partei (Abteilung für Einheitsfrontarbeit) übergeben wurde, sind diese Moscheen im Fokus der  "Sinisierung".

Ihre Kuppel und Minarette werden entweder zerstört oder im chinesischen Stil umgebaut. Von Hui geleitetet Kindergärten und Religionsschulen sind geschlossen. Imame in den Provinzen Henan und Ningxia müssen sich monatlichen Unterweisungen in staatlicher Ideologie und Minderheitenpolitik unterziehen, so ein Bericht des US-Senders NPR vom September 2019.

(Archiv) Hui beim Freitagsgebet in PekingBild: Getty Images/K. Frayer

Warten auf bessere Zeiten

Die neue harte Linie gegen die sunnitischen Muslime der Hui, die zuvor weitgehend unbehelligt unter dem Radar der Führung lebten, geht "teilweise auf die Furcht der Führung vor dem Eindringen fundamentalistischer islamischer Strömungen aus Saudi-Arabien und den Golfstaaten nach China zurück", heißt es in der NPR-Reportage.

Unterdessen versuchen manche Mitglieder der Hui-Minderheit, sich mit der neuen Linie der Religionspolitik zu arrangieren, ohne sich ihr völlig anzupassen. So werden Kuppeln von Moscheen nicht umgestaltet, sondern hinter Sichtwänden versteckt, oder arabische Schriftzeichen werden in durchsichtigem Plastik an Moscheewänden befestigt. Manche Hui geben sich gelassen und hoffen auf bessere Zeiten: "Wer weiß, wie das politische Umfeld sich ändern wird? Wir wollen nicht unsere Kuppel heute abreißen, nur um sie im nächsten Jahr auf eigene Kosten wieder aufzubauen."  

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