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Politik

Chinas Investitionen: Fluch oder Segen?

24. April 2017

Chinas großangelegte Investitionen im Zuge der neuen Seidenstraßen-Initiative sind ein zweischneidiges Schwert. Das bekommen insbesondere die Länder Südostasiens zu spüren.

Myanmar Zug im Bundesland Shan
Bild: picture-alliance/dpa/L. Bo Bo

3147 Milliarden US-Dollar - mit dieser gigantischen Summe beziffert die Asiatische Entwicklungsbank (ADB) den Investitionsbedarf für Infrastruktur in Südostasien bis zum Jahr 2030. Infrastruktur umfasst in dem ADB-Bericht vom Februar 2017 die Stromversorgung, das Transportwesen, die Telekommunikation sowie die Wasser- und Sanitärversorgung. Die gewaltige Summe müsse investiert werden, wenn die Infrastruktur der Länder Südostasiens mit ihrem Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum mithalten soll. Ein Löwenanteil von etwa einem Drittel des Investitionsbedarfs fällt dabei im Transportwesen an. Südostasien braucht Straßen, Brücken, Häfen und ein modernes Eisenbahnnetz.

Das wissen auch die Länder Südostasiens. Im September 2016 einigten sich die zehn Staaten des Verbands südostasiatischer Nationen (ASEAN) auf den sogenannten "Master Plan on ASEAN Connectivity 2015" (MPAC). Es ist bereits der zweite umfassende Infrastruktur-Plan der Staatengemeinschaft. Dabei spielt der Ausbau des Schienennetzes insbesondere in Festland-Südostasien (Myanmar, Thailand, Malaysia, Singapur, Kambodscha, Laos und Vietnam) eine wichtige Rolle. Das aktuelle Schienennetz stammt zumeist noch aus der Kolonialzeit und kann die Ansprüche eines modernen Transportsystems nur selten erfüllen. Hinzu kommt: "Es gibt kein transnationales System. Es existieren nur lauter kleine Versatzstücke ohne Verbindungen", erklärt Yap Kioe Sheng von der Cardiff Universität für Geographie und Planung, der seit Jahren in der Region arbeitet.

Geldsegen vom großen Nachbarn

Doch die Umsetzung der ASEAN-Masterpläne kommt kaum voran, so Yap Kioe Sheng. "Soweit ich das überblicke, sind die Fortschritte sehr klein-klein." Der Politologe Wolfram Schaffar von der Universität Wien sieht das ähnlich. "Der ASEAN-Infrastruktur-Plan wird gebremst durch eine anhaltende Wirtschaftsflaute in der Region. Es wurden vor allem Projekte umgesetzt, die nicht viel kosten. Etwa das Ausweisen von Sonderwirtschaftszonen in den Grenzgebieten oder der Ausbau von Straßen, die bereits existieren." Es fehlt also an Geld. Der Bau von Infrastruktur, insbesondere von neuen Eisenbahntrassen, ist sehr teuer und viele Länder Südostasiens verfügen nicht über die Mittel, um derartige Projekte zu finanzieren.

Hier kommt China ins Spiel. Das Land verfügt über erhebliche finanzielle Ressourcen; und seit Xi Jinping 2013 die Macht übernommen hat, werden sie vermehrt eingesetzt, um die Außen-, Wirtschafts- und Handelspolitik des Landes umzugestalten. Damit das vorhandene Kapital in die entsprechenden Kanäle fließen kann, kündigte China 2013 die Gründung einer Asiatische Infrastrukturinvestmentbank (AIIB) und die "One Belt, One Road"-Initiative (OBOR) an. Ziel der OBOR- oder auch "Neuen Seidenstraßen"-Initiative ist der Aufbau einer interkontinentalen Infrastruktur. Sowohl über den Land- als auch über den Wasserweg will China die Anbindung an Europa, Zentralasien, Südasien und Südostasien ausbauen (s. Grafik "One belt, one road"). Die AIIB ist mit 100 Milliarden US-Dollar Kapital ausgestattet, ein parallel dazu geschaffener Seidenstraßen-Fonds mit 50 Milliarden.

Beispiel Laos

China finanziert im Rahmen der OBOR-Initiative beispielsweise in Laos mehr als zwei Drittel einer neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke, die die südchinesische Stadt Kunming mit Laos' Hauptstadt Vientiane verbinden soll. Der Spatenstich erfolgte Weihnachten 2016. Die Strecke soll eine wichtige Lücke im panasiatischen Schienennetz schließen (s. Grafik "Panasiatisches Eisenbahnnetz") und Laos, das kein Zugang zum Meer hat, aus der wirtschaftlichen Isolation befreien.

Gwadar Hafen

00:38

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Die Strecke, die zu mehr als der Hälfte aus Brücken und Tunneln durch eine unwegsame Bergregion besteht, soll nach chinesischen Angaben fast sechs Milliarden US-Dollar kosten. Wenn man bedenkt, dass das Bruttoinlandsprodukt von Laos 2015 gerade einmal knapp 13 Milliarden US-Dollar betragen hat, stellt sich die Frage, wie Laos die Schulden seines Gläubigers China bedienen soll. Bereits 2013 warnte der Internationale Währungsfond (IWF) Laos davor, dass der Bau der Bahnstrecke die Schulden des Landes über ein tragfähiges Niveau steigern würden.

Dabei ist keineswegs ausgemacht, dass die Bahnstrecke die erhofften wirtschaftlichen Impulse auslöst. Bis heute ist nicht klar, ob sie in erster Linie dem Waren- oder dem Personentransport dient und ob Tickets für Laoten überhaupt erschwinglich sein werden. Am Ende könnte Laos als Zaungast den Zugverkehr von Südchina an den Golf von Thailand und umgekehrt erleben, ohne davon zu profitieren. Laos' wirtschaftliche Abhängigkeit von China, die schon heute erheblich ist, wird sich durch das weitgehend schuldenfinanzierte Bauprojekt wahrscheinlich noch erhöhen.

Die Modernisierung bereits existierender, aber oft veralteter Bahnstrecken und der Bau neuer Hochgeschwindigkeitsstrecken soll die Wirtschaft in Festland-Südostasien fördern.

Chinas Gegenprojekt

Das Beispiel Laos, aber auch vergleichbare Projekte in Thailand und Myanmar, müssen als Teil einer größeren chinesischen Strategie verstanden werden. "Infrastruktur ist niemals neutral", betont Schaffar. Laos kette sich mit den Gleisen an China. China verfolge in Laos, aber auch mit der gesamten OBOR-Initiative eine neuartige wirtschaftliche Integrationspolitik. "Was wir bisher hatten und was etwa die Welthandelsorganisation (WTO) betrieben hat, war wirtschaftliche Integration über Freihandelsabkommen. Jetzt gibt es das chinesische Gegenprojekt. Das leistet Integration nicht über einen abstrakten juristischen Vertrag, sondern über Infrastrukturprojekte." Statt den Handel etwa durch die Verringerung von Zöllen oder anderer Handelshemmnisse zu beflügeln, vereinfacht China den Handel, indem es andere Länder durch Straßen, Eisenbahnen und Häfen direkt an sich bindet.

Doch China geht es bei den Investitionen keineswegs nur um die Wirtschaft. 2014 erklärte Xi, dass es auch um "gemeinsame Werte und Verhaltensregeln" gehe. William A. Callahan von der London School of Economics spricht in diesem Zusammenhang von einer Asien-für-die-Asiaten-Rhetorik. Auch andere Schlagworte Xi Jinpings, wie etwa der "Chinesische Traum" oder die "asiatische Schicksalsgemeinschaft" belegen für Callahan, dass China mehr will als wirtschaftliche Zusammenarbeit: "Xis entscheidende Ideen und die von seiner Regierung ins Leben gerufenen Strukturen und Projekte zielen darauf ab, eine sino-zentrische Regional- und Weltordnung zu etablieren."

Ankunft eines Güterzugs aus Spanien in der ostchinesischen Stadt YiwuBild: picture-alliance/dpa/L. Bin

Das sieht auch Yap Kioe Sheng so. "Auf der unteren Ebene geht es vor allen Dingen um Handel, aber auf einer höheren Ebene geht es um geopolitische Fragen." China versuche mithilfe von OBOR seinen Einfluss in der Region auszudehnen – wirtschaftlich, aber eben auch politisch und ideologisch. Schaffar findet dafür die Formel: "Der Chinesische Traum kommt in Form dieser Gleise."

Geht Chinas Rechnung auf?

Allerdings ist nicht ausgemacht, dass China seine politischen Ziele über Investitionen und Wirtschaft tatsächlich erreicht. Bisher, so Callahan, hätten die engeren wirtschaftlichen Beziehungen zu China nicht zu einer vertieften Zusammenarbeit auf politischer oder sicherheitspolitischer Ebene geführt. "Das größte Risiko, glaubt man chinesischen Kommentatoren, besteht darin, dass die Länder das Geld aus Peking nehmen, sich aber weigern, die politischen, kulturellen und sicherheitsrelevanten Erfordernisse von Chinas 'Schicksalsgemeinschaft' zu übernehmen."

Nach Schaffar lässt sich heute noch nicht sagen, wie erfolgreich die chinesische Strategie ist. "Das muss erst noch untersucht werden." Entscheidend werde aber sein, ob die wirtschaftliche Integration in den chinesischen Markt den Nachbarländern tatsächlich zugutekomme. Yap Kioe Sheng sieht aktuell wenig Alternativen zu einer Annäherung an China: "Die Bewegung hin zu China ist fast unausweichlich, denn von dort kommt das Geld, der Markt ist da und die geographische Nähe ist eine Tatsache." Nicht zuletzt sei Xi Jinping seit dem Amtswechsel im Weißen Haus zu einem Mann geworden, dem man vertrauen könne, da er zumindest seiner politischen Linie treu bleibt.