Im Zentrum der Territorialkonflikte im Südchinesischen Meer steht China
24. April 2012Seit mehr als dreißig Jahren erheben die Anrainerstaaten des Südchinesischen Meers Ansprüche auf zum Teil dieselben Inseln und Riffe und damit verbundenen Hoheitsgebiete. Die Hauptkontrahenten sind China, Vietnam und die Philippinen, aber auch Malaysia, Brunei, Indonesien und Taiwan vertreten immer wieder ihre Forderungen.
Ein am Montag (23.04.2012) veröffentlichter Bericht der International Crisis Group (ICG) aus Brüssel nimmt China und dessen Haltung in dem Territorialkonflikt in den Fokus. Demnach gibt es zwei Hauptgründe für die anhaltenden Spannungen im Südchinesischen Meer: Zum einen institutionelle Konflikte innerhalb der chinesischen Regierung, der es nicht gelinge, adäquat auf den Konflikt zu reagieren. Zum anderen den Nationalismus, der China in ein Dilemma getrieben habe.
Interne Machtkämpfe
"Die Struktur der chinesischen Regierung ist nicht gut geeignet, um den Konflikt im Südchinesischen Meer angemessen zu handhaben", so fasst Stephanie Kleine-Ahlbrandt, die Leiterin des Büros der ICG in Peking, die erste Schlussfolgerung des Berichts zusammen. Zu viele chinesische Institutionen nutzen den langanhaltenden Disput in der Region, "um ihren Machteinfluss und ihr Budget" aufzubessern, statt konstruktiv zu einer Lösung beizutragen.
Mehr als elf staatliche Stellen vom Rang eines Ministeriums trügen Kompetenzstreitigkeiten und Machtkämpfe unter dem Deckmantel des Konflikts im Südchinesischen Meer aus. Das Ministerium für Landwirtschaft, das für die Fischerei verantwortlich ist, und das Ministerium für öffentliche Sicherheit, dem die Küstenwache unterstellt ist, träten in einen Konkurrenzkampf um Mittel und Einfluss – um nur ein Beispiel zu nennen. Hinzu kommen fünf Exekutiv-Organe der chinesischen Regierung. Neben der Küstenwache fordern zum Beispiel der Zoll und die militärische Seeüberwachung mit Hinweis auf die Spannungen mehr Rechte und vor allem ein größeres Budget.
Außenpolitik vernachlässigt
Die Akteure blendeten dabei allerdings oft die außenpolitischen Konsequenzen ihres Handelns aus: "Das System in China ist so dezentralisiert, dass lokale Akteure ermutigt werden, nur ihre eigenen ökonomischen oder politischen Interessen zu verfolgen. Die Akteure nehmen wenig Rücksicht auf die außenpolitischen Konsequenzen ihres Handelns."
Im Endergebnis habe die chinesische Politik dadurch die "vorsichtige Vertrauensbildung mit anderen asiatischen Nationen verspielt“, so Kleine-Ahlbradt. Länder wie die Philippinen und Vietnam lehnen sich deshalb verstärkt an die USA an, auch militärisch. Am Montag (23.04.2012) begannen vietnamesisch-amerikanische Manöver vor der zentralvietnamesischen Küste, begleitet von Kritik aus Peking. Manöver der USA mit den Philippinen gehen unterdessen weiter, ebenfalls an der Küste des Südchinesischen Meeres.
Nationalismus als Bremsklotz
Als zweiten Hauptgrund für die anhaltenden territorialen Spannungen sieht der Bericht den Nationalismus. Vor einigen Jahren präsentierte Peking eine sogenannte "Neun-Punkte-Linie". Mit diesem aus vor-kommunistischer Zeit stammenden Dokument versucht die chinesische Regierung ihren Anspruch nicht nur auf die Spratly-Inseln zu untermauern, sondern auf praktisch das gesamte Südchinesische Meer. Laut der Studie der International Crisis Group sei es für Peking schwierig, von dieser Maximalforderung wieder abzurücken, ohne einen Gesichtsverlust vor den nationalistischen Kräften des Landes zu erleiden.
Welche Beweiskraft die Neun-Punkte-Linie hat, steht auf einem anderen Blatt. Eigentlich keine, meint Stefan Talmon, Experte für Völker- und Seerecht der Universität Bonn. Denn ein solcher historischer Anspruch müsste von China nachgewiesen werden, also dass es schon immer die effektive und unbestrittene Kontrolle über diese Gebiete ausgeübt hat. "Das wird sehr schwierig sein“, so Talmon. Letztlich biete nur eine Verhandlungslösung einen Ausweg.
Eine Verhandlungslösung wird aber gerade durch den Nationalismus verhindert, der nicht nur bei den Chinesen, sondern auch bei den Vietnamesen und Philippinern stark ausgeprägt ist. Erinnert sei nur an heftige antichinesische Proteste im Mai 2011 in Vietnam. "Der Nationalismus macht es nicht nur schwierig, sich bezüglich der Souveränität im Südchinesischen Meer zu einigen, sondern auch, die kleinen Zwischenfälle zu deeskalieren", so Kleine-Ahlbrandt.
Vom Gelingen der Deeskalation aber hänge letztlich ab, so der Schluss des Reports, ob der weitere Aufstieg Chinas als friedlich wahrgenommen wird oder nicht.