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Politik

Chinas Marine auf großer Fahrt

24. Juli 2017

Zum ersten Mal beteiligen sich chinesische Kriegsschiffe an einem Manöver in der Ostsee. Das zeigt, wie ernst es China mit seinen geopolitischen Ambitionen ist.

Russland China Militärübung Marine Militär Wladiwostok
Archivbild von russisch-chinesischen Manövern in Wladiwostok 2016Bild: picture-alliance/dpa

Keine Weltmacht ohne Seemacht. Vor diesem Hintergrund ist die Teilnahme von drei chinesischen Kriegsschiffen an gemeinsamen Marinemanövern mit Russland in der Ostsee zu sehen. Am vergangenen Freitag waren nach Angaben der NATO ein Zerstörer, eine Fregatte und ein Versorgungsschiff der Volksbefreiungsarmee im Hafen in der russischen Enklave Kaliningrad eingetroffen. Sie nehmen noch bis zum 27. Juli an dem Manöver "Maritime Zusammenarbeit 2017" teil. Damit sollen auch die diplomatischen Beziehungen beider Länder vertieft werden.

Russland, das in den vergangenen Jahren eine robuste Außenpolitik gegenüber Europa und der NATO verfolgt hat, wie die Konflikte in der Ukraine, aber auch in Syrien belegen, möchte mit dem Manöver dort Stärke zeigen, wo die Sorgen vor einer weiteren russischen Expansion am größten sind: vor den Küsten des Baltikums, Polens und Finnlands. Die chinesische Rolle in diesem vor allem europäischen Ost-West-Konflikt erklärt sich aus den geopolitischen Ambitionen der Volksrepublik. Spätestens seit Xi Jinping Präsident in China ist, beansprucht die Volksrepublik mehr Einfluss in der Welt

Chinas strategische Ziele

Eine Schlüsselrolle nehmen dabei die Seestreitkräfte ein. Sie gelten insbesondere seit Alfred Thayer Mahans Buch "Der Einfluss der Seemacht auf die Geschichte" von 1890 als entscheidender Gradmesser für den geopolitischen Einfluss eines Landes. Thayer vertrat die Ansicht, dass die Beherrschung der Meere und des überseeischen Handels entscheidenden Einfluss auf die politische, militärische und wirtschaftliche Entwicklung der Völker habe. Zentral sei dabei die Kontrolle von strategischen Engpässen wie beispielsweise der Straße von Malakka, durch die heute bis zu 25 Prozent des Welthandels befördert wird. 

China und Russland haben die strategische Konkurrenz der Vergangenheit überwunden und sprechen heute von "besonderen Beziehungen" Bild: Reuters/S. Chirikov

2015 veröffentlichte China ein Weißbuch, in dem die besondere Bedeutung der Marine für die Zukunft des Landes herausgestrichen wurde: "Es ist für China notwendig, moderne maritime Streitkräfte aufzubauen, die mit den nationalen Sicherheits- und Entwicklungsinteressen des Landes übereinstimmen." Folgende strategische Ziele der chinesischen Marine hat der Experte für Marineangelegenheiten, Ronald O'Rourke, in einer Studie für den amerikanischen Kongress zusammentragen. Er stützt sich dabei auf das chinesische Weißbuch und andere Veröffentlichungen der Regierung bzw. der chinesischen Armee:

  • die Taiwan-Frage im Fall der Fälle militärisch lösen können
  • Chinas territoriale Ansprüche im Südchinesischen und Ostchinesischen Meer durchsetzen
  • die effektive militärische Kontrolle über seine 200-Meilen exklusive Wirtschaftszone ausüben 
  • Chinas kommerzielle Seewege und überseeischen Interessen schützen
  • den US-Einfluss im Westpazifik zurückdrängen
  • Chinas Status als führende Regionalmacht und Weltmacht stärken

Aufbau einer Hochseemarine

Während die ersten drei strategischen Ziele den Nahbereich betreffen, sind die letzten drei Ziele nur mit dem Aufbau einer Hochseemarine zu verwirklichen, die weltweit operieren kann. Uneingeschränkt ist das zurzeit nur den Vereinigte Staaten von Amerika möglich. Nur sie verfügen über genügend finanzielle und personelle Ressourcen sowie Stützpunkte und Schiffe. Mit gewissen Einschränkungen gilt das auch für Frankreich und Großbritannien. China und Russland müssen sich momentan noch auf die Meere vor ihren Küsten beschränken.

Um das strategische Ziel einer global operierenden Hochseemarine zu erreichen, investiert die Volksrepublik mehr Ressourcen in die Marine als in jeden anderen Bereich der Teilstreitkräfte. "Chinas Modernisierung der Marine ist breit angelegt und umfasst viele Elemente", schreibt O'Rourke. Es geht nicht nur um die Neuanschaffung und Modernisierung von Schiffen, sondern vor allem um die Verbesserung der Wartung und Logistik, der militärischen Doktrin sowie der Ausbildung des Personals und um eine Ausweitung des Trainings. 

Die USS Gerald Ford Bild: Getty Images/U.S. Navy

Rourke schränkt ein: "Trotz der großen Fortschritte, die China in den vergangenen Jahren gemacht hat, gibt es immer noch Schwachpunkte wie etwa die Zusammenarbeit mit anderen Teilen der Streitkräfte, die Abwehr von U-Booten, die Abhängigkeit von ausländischen Komponenten für den Betrieb einiger Schiffe und die mangelhafte Treffergenauigkeit von Langstreckenzielen." China investiert massiv, aber die Diskrepanz zu den USA bleibt groß. Besonders augenscheinlich wird das an den letzten Großprojekten: So verfügt die chinesische Marine mit der Liaoning zwar seit 2012 über einen ersten eigenen Flugzeugträger, der basiert allerdings auf einem sowjetischen Modell der achtziger Jahre. Die USA haben gerade erst den 13 Milliarden US-Dollar teuren Flugzeugträger USS Gerald Ford präsentiert - den ersten einer neuen Generation von Flugzeugträgern.

Weltweite Präsenz

Die Neuausrichtung Chinas schlägt sich in der gewachsenen weltweiten Präsenz der chinesischen Marine nieder, wie der ehemaliger Vizeadmiral der japanischen Selbstverteidigungkräfte Yoji Koda in einem Beitrag für den US-amerikanischen Think Tank "Center for a New American Security" schreibt. "Ein signifikanter Trend der letzten Jahre ist, dass die chinesische Marine mehr und mehr außerhalb ihrer traditionellen Gewässer operiert." Seit 2008 läuft die Anti-Piraterie-Mission im Golf von Aden, 2015 nahm sie an einem russisch-chinesischen Manöver im Mittelmeer und im Schwarzen Meer teil. Auch im Indischen Ozean, im Zentralpazifik und vor den Küsten Südamerikas wurden häufiger chinesische Kriegsschiffe gesichtet. Diese lange Liste von Aktivitäten muss um die Einrichtung eines neuen Stützpunktes in Dschibuti ergänzt werden. Indische Medien berichten außerdem davon, dass China die Stationierung von Marineverbänden in pakistanischen Gwadar plant.

Russisch-chinesische Manöver in der Japanischen See 2016Bild: picture alliance/AP Images/Sheng Jiapeng/ColorChinaPhoto

Die eigentliche Herausforderung der chinesischen Ambitionen liegt laut Koda jedoch woanders. "China zeigt seit einiger Zeit eine außerordentliche Bereitschaft, unilaterale Schritte in maritimen Angelegenheiten zu unternehmen." Es fordere immer wieder die geltenden internationalen Normen heraus, wie sie im Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) festgeschrieben sind. China hat UNCLOS unterzeichnet und ratifiziert. Dennoch verstößt es im Südchinesischen und Ostchineischen Meer regelmäßig dagegen. Die Volksrepublik beansprucht etwa im Südchinesischen Meer große Teile für sich, obwohl dies gegen internationales Recht verstößt, wie der ständige Schiedshof in Den Haag in einem Urteil von 2016 festgestellt hat.

Freiheit der Seefahrt

China protestiert auch regelmäßig gegen US-amerikanische Manöver "zur Wahrung der Freiheit der Schifffahrt", wie es im Militär-Jargon heißt. Dabei fahren US-Kriegsschiffe durch Meereszonen, die zwar laut internationalem Recht passiert werden dürfen, womit aber unter anderen die Volksrepublik China nicht einverstanden ist. 2016 kündigte auch der damalige französische Verteidigungsminister auf der Sicherheitskonferenz Shangri-La-Dialog in Singapur an, dass es im Südchinesischen Meer zu Patrouillen der EU im Rahmen Internationalen Rechts kommen könnte. Sinn und Zweck derartiger Manöver ist es, die geltenden Standards im internationalen Recht aufrechtzuerhalten.

Chinas Beteiligung an dem Manöver in der Ostsee ist vor diesem Hintergrund eine Art Retourkutsche. Michael Paul aus der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin sagt dazu: "Das Manöver illustriert, dass China eine Flotte mit Fähigkeit zu globaler Machtprojektion entwickelt. Die friedliche Entwicklung bekommt zusehends eine militärische Prägung, die international Besorgnis erregen muss, da - Stichwort Südchinesisches Meer - Chinas Interessen expandieren. Das bekommt auch Europa allmählich zu spüren."

Die besondere Ironie ist, dass China für die Fahrt seiner Kriegsschiffe in die Ostsee gerade das internationale Recht in Anspruch genommen hat, dessen Geltung es im Südchinesischen Meer bestreitet.