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Chinas Traumata zwischen Buchdeckeln

Silke Ballweg5. Oktober 2009

Sie prügeln, töten und quälen - viele zeitgenössische chinesische Autoren beschwören in ihren Texten die Gewalt während der Kulturrevolution herauf.

Chinas Propaganda verherrlicht GewaltBild: picture-alliance / dpa
Mo Yan schildert drastische GewaltBild: WBCO

Der chinesische Schriftsteller Mo Yan greift zu drastischen Worten, wenn er die Gewalt während der Kulturrevolution beschreibt. In seinem Roman "Der Überdruss" schildert er, wie bei einer Massenveranstaltung in einem Dorf ein Tumult ausbricht: "Es war, wie wenn Jagdhunde sich auf ihre Opfer stürzen. Manche wurden umgerempelt, manche einfach plattgetrampelt, bei manchen der Bauch zertreten, die Gedärme quollen hervor."

Unter Mao diente die Literatur der Politik

Im kommunistischen China seit 1949 bis in die achtziger Jahre hinein standen die Künste ganz im Zeichen der Politik. Sie hatten vor allem die Aufgabe, die Fortschritte beim Aufbau des Sozialismus zu preisen und sozialistische Helden zu schaffen. Erst mit Maos Tod und der allmählichen Öffnung des Landes in den achtziger Jahren ergab sich neuer Spielraum. Seither blicken viele Autoren in ihren Büchern zurück, blicken auf das, was dem Land und den Menschen unter der Herrschaft Maos widerfuhr.

Die Kulturrevolution erfasst auch die JugendBild: picture-alliance/ dpa

In den Texten wird geprügelt und gestorben

Viele Romane oder Erzählungen zeitgenössischer chinesischer Autoren schildern seit einigen Jahren brutale Szenen. In den Texten wird geprügelt und gestorben, immer wieder fließt Blut. Menschen brechen unter ihren Schmerzen zusammen. Auch bei dem chinesischen Bestsellerautor Yu Hua spielt Gewalt eine große Rolle. In seinem Roman „Brüder“ schildert er auf mehr als 3 Seiten, wie ein Mann während der Kulturrevolution von jungen Rotgardisten zu Tode geschlagen wird. "Im Nu wurde er von zahlreichen Hieben am Kopf getroffen, sodass er mit klaffenden Wunden, aus denen das Blut strömte, zusammenbrach und an der Wand entlang auf den Fußboden rutschte, während die Schläger fortfuhren, blindwütig auf ihn einzudreschen, bis ihre Knüppel zerbrachen. Blut spuckend, blutige Tränen weinend, kniete er sich mit letzter Kraft vor seine Peinigern hin und beschwor sie, von ihm abzulassen."

Erinnerung an die Raserei

Der Schriftsteller Yu Hua hat als Jugendlicher die Kulturrevolution erlebtBild: WBCO

Yu Hua ist 1960 geboren und hat als junger Mensch die Exzesse während der Kulturrevolution erlebt. In seinem Roman wollte er sich und seinen Lesern diese extreme Phase noch einmal bewusst machen. „In der Kulturrevolution gab es weder Richter, noch Gerichte, noch Anwälte, das heißt, zu Beginn der Kulturrevolution konnte man sogar jemanden totschlagen“, sagt Yu Hua. „Es war ein solcher Furor, dass die Menschen oft die Vernunft verloren haben.“

Tote, Gequälte, Gedemütigte

Genau Zahlen gibt es nicht, doch während der Kulturrevolution könnten bis zu einer Million Menschen ums Leben gekommen sein, Millionen anderer wurden gequält und gedemütigt. Aber im offiziellen China wird darüber kaum berichtet. Weder diskutieren die Medien offen die Schuldfrage, noch erinnern sie an die Opfer. In diesen Tabubereich sind zunehmend die chinesischen Autoren vorgestoßen, sagt die Sinologin und Übersetzerin Alice Grünfelder. "Mo Yan beschreibt sich und die ernstzunehmenden Schriftsteller als Ärzte der Gesellschaft. Das heißt, es geht darum, die Vergangenheit zu diagnostizieren um zu schauen, wo die Probleme der Gesellschaft heute sind und wie man sie lösen kann."

Sie schreiben um ihr Leben

Hinzu kommt, dass die meisten Autoren die Kulturrevolution selbst erlebt haben. Und so scheint es, als wollten sie sich von ihren Erinnerungen befreien. "Gerade bei den Büchern, die jüngst erschienen sind hat, man den Eindruck, dass die Autoren um ihr Leben schreiben, um diesen Fluch loszuwerden. Ganz so, als müssten sie das Böse noch einmal in der Einsamkeit des Schreibens durchdringen, um es dann erst loslassen und verarbeiten zu können."