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Politik

China vor epochalem Schritt

Hans Spross | Dang Yuan
4. März 2018

Der Nationale Volkskongress soll den Machtzuwachs von Xi Jinping per Verfassungsänderung absegnen. Wie lange bleibt er der starke Mann in China? Aber das ist nicht der einzige Punkt, der die Plenarsitzung bestimmt.

China Nationaler Volkskongress in Peking Xi Jinping
Bild: Reuters/T. Peter

Was sich bereits auf dem 19. Parteitag der KP Chinas im Oktober angekündigt hatte, nämlich die Ebnung des Weges für unbegrenzte Amtszeiten von Chinas Staatspräsident Xi Jinping über das Jahr 2023 hinaus, soll jetzt vom Nationalen Volkskongress abgesegnet werden. Erst vor sechs Wochen wurde der Beschluss der KP-Führung über die nötige Verfassungsänderung dem Kongress zugestellt.

Ebenso wie anstehende Personalentscheidungen in der Regierung ist auch die Verfassungsänderung im Prinzip beschlossen, die Verabschiedung durch den Kongress ist Formsache. Beobachter und Kritiker sehen sie dennoch als wichtige Etappe auf dem Weg Chinas zu einem zentralisierten Führerstaat, der sich von der Idee der kollektiven Führung und der - zumindest theoretischen - Trennung von Partei und Staat verabschiedet.

Große Halle des Volks in PekingBild: Reuters/D. Sagolj

Dabei geht es nicht alleine um die Aufhebung der Obergrenze von zwei Amtszeiten des Staatspräsidenten. Auf der diesjährigen Sitzung soll erstmals die Führung des Landes durch die Partei im Hauptteil der Verfassung konkret festgeschrieben werden, was bisher nur in der Präambel als Leitidee auftaucht. Im Paragraf 2, Absatz 2 der Verfassung soll der Satz ergänzt werden: "Die Führung durch die Kommunistische Partei Chinas ist das grundlegende Merkmal des Sozialismus chinesischer Prägung."

Kritik am neuen Kurs

Die Kursänderung des chinesischen Staates in Richtung Ein-Personen-Herrschaft trifft naturgemäß bei der Bevölkerung nicht nur auf Zustimmung. Ein Blogger, der sich Wang Ying nennt, stellte seinen Protest als eine Art Manifest ins Netz, hier ein Auszug: "Mir ist bewusst, dass es durchaus möglich ist, dass auf dem Volkskongress die Verfassungsänderung einstimmig verabschiedet wird. Aber als Bürger dieses Landes müsste ich mich schämen, falls ich nicht mal hier meine Gegenstimme zu diesem Vorhaben artikuliere. Also Nein zur Verfassungsänderung." Um der Zensur die Arbeit schwer zu machen, postete der Autor seinen Text als Grafik, und auf den Kopf gestellt, um auszudrücken, dass der Gesetzesentwurf "verkehrt" ist.

Der Journalist Li Datong, dessen kritisches Magazin "Bingdian" ("Gefrierpunkt") 2005 auf Anordnung der Zensurbehörde eingestellt wurde, forderte die Delegierten seines Pekinger Wahlkreises auf: "Stimmen Sie bitte gegen die Änderung des Paragrafen 14 der Verfassung!" Seine Begründung: Die Verfassung von 1982 habe nach der Kulturrevolution aus guten Gründen die Amtszeiten begrenzt. "Die Änderung wäre wie das Einlegen des Rückwärtsgangs im Fortschritt der Geschichte."

Wang Ying: Verfassungsänderung "verkehrt"Bild: chinadigitaltimes.net

Beschwichtigungsversuche

Um solchen Unmut zu besänftigen, schreibt zum Beispiel das Parteiorgan "Renmin Ribao" (Volkszeitung), dass die Abschaffung der Grenze von zwei Amtszeiten für den Staatspräsidenten nicht automatisch lebenslängliche Regierung durch eine Person bedeute. Die Verfassungsänderung verändere nichts an den gültigen Regelungen über den Ruhestand der Partei- und Staatsführung, also der Altersgrenze von 65 beziehungsweise 68 Jahren für hohe und höchste Staats- und Parteiämter. Aber "Renmin Ribao" stellt auch klar, dass die Posten des Generalsekretärs, des Staatspräsidenten und des Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission weiterhin von ein und derselben Person zu besetzen seien.

Neue Antikorruptionsbehörde

Weiterer wichtiger Punkt auf der diesjährigen Tagesordnung des Volkskongresses ist die Gründung einer neuen Superbehörde für die Korruptionsbekämpfung. Die neue "Nationale Überwachungskommission" soll mit der bisher nur für Parteikader zuständigen Disziplinkontrollkommission zusammenarbeiten, um dann auch gegen normale Staatsdiener ohne Parteibuch vorzugehen, die ideologisch unzuverlässig sind und/oder der Korruption verdächtigt werden. Verdächtige könnten dann für mehrere Monate ohne juristischen Beistand inhaftiert werden. Xi hatte bereits in seiner Parteitagsrede im vergangenen Herbst klar gemacht, dass das neue System kommen wird - ungeachtet der Kritik mehrerer teilweise prominenter Juristen in China.

Was macht der 69-jährige Wang Qishan? Vizepräsident oder Vorsitzender der ÜberwachungskommissionBild: dapd

Gemäß bisheriger Praxis würde Zhao Leji, Ständiges Mitglied im Politbüro und bereits jetzt Vorsitzender der Disziplinkontrollkommission, die Leitung übernehmen. Aber auch ein anderer Name macht die Runde: Wang Qishan. Der 69-Jährige ist Zhaos Amtsvorgänger und gab auf dem 19. Parteitag aus Altersgründen alle Parteiämter ab. Er gilt aber immer noch als Xis enger Vertrauter und hatte große Erfolge im Kampf gegen Korruption. Wang wird jedoch auch als neuer Vizepräsident gehandelt, mit dem Portfolio für die schwierigen Beziehungen zu den USA.

Bleibt die Wirtschaftspolitik berechenbar?

Der als wichtigster wirtschaftspolitischer Berater Xis geltende Liu He ist ein weiterer Spitzenfunktionär, der im Fokus der Aufmerksamkeit steht. Er wird als künftiger Vizeministerpräsident mit Zuständigkeit für die Wirtschafts- und Finanzpolitik gehandelt. Liu He war der Krisenmanager Chinas in der globalen Finanzkrise 2008. Auf ihn geht das gigantische Konjunkturprogramm zurück, mit dem China die Auswirkungen Krise abfederte. Sein Name wird auch mit dem Posten des Zentralbankgouverneurs in Verbindung gebracht, der allerdings keine Unabhängigkeit von Parteivorgaben besitzt.

Das "Handelsblatt" schrieb 2015 über Liu He: "(Er) gehört zu Chinas liberalen Reformern. Gleichzeitig sieht er den Staat als einflussreichen Kontrolleur, der die riskanten Ausschläge des Kapitalismus in enge Schranken weisen muss." Auch westliche Beobachter sehen eine schärfere staatliche Intervention auf Chinas überhitzten Märkten positiv, wie zuletzt das Vorgehen gegen den drittgrößten Versicherer Anbang. Aber sie sehen auch das Gleichgewicht zwischen Reform und Kontrolle unter Xi Jinping gestört, und zwar klar zum Nachteil von Reform und Öffnung. So kritisieren ausländische Investoren verschärfte Restriktionen im Internet und die Ausdehnung von Parteizellen in Unternehmen.

Liu He auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2018Bild: picture-alliance/dpa/G.Ehrenzeller

Reiche Delegierte

Ob wohl die Interessen der chinesischen Kapitalisten gebührend berücksichtigt werden? Die Zahl der Superreichen unter den Delegierten geht jedenfalls zurück. Laut dem Shanghaier Hurun-Report verfügen nur noch 153 der rund 3000 Delegierten beim Volkskongress und bei der gleichzeitig tagenden Politischen Konsultativkonferenz über mindestens zwei Milliarden Yuan (130 Mio. Euro). Dies ist die geringste Anzahl aus dieser Vermögensgruppe seit fünf Jahren. Andererseits beläuft sich ihr Gesamtvermögen auf umgerechnet 500 Milliarden Euro, eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr von 18 Prozent.

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