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PolitikAsien

Chinas Wolfskrieger fallen über Japan her

Martin Fritz aus Tokio
14. November 2025

Japans neue Premierministerin Takaichi entwickelt sich zum Stachel in Chinas Fleisch. Auf einen Tabubruch in der Taiwan-Frage reagiert Peking äußerst heftig.

APEC-Gipfel 2025 | China vs. Japan | Erstes Treffen zwischen Xi Jinping und Sanae Takaichi
Sanae Takaichi im Gespräch mit Chinas Präsident Xi Jinping am 31.10.2025 am Rande des APEC Gipfels in SüdkoreaBild: Kaname Yoneyama/AP Photo/picture alliance

Chinas sogenannte "Wolfskrieger"-Diplomaten, die Anfang des Jahrzehnts jede Kritik an China öffentlich sehr aggressiv abschmetterten, waren eigentlich verschwunden. Aber nach einer Äußerung von Japans neuer Premierministerin Sanae Takaichi tauchten sie wieder aus der Versenkung auf. Die Regierungschefin hatte vor einer Woche (7.11.) im Parlament angedeutet, dass Japan militärisch reagieren würde, falls China Taiwan angreift. "Wenn dieser Notfall den Einsatz von Kriegsschiffen und die Ausübung von Gewalt beinhaltet, könnte dies in jeder Hinsicht eine Situation darstellen, die Japans Überleben bedroht", sagte sie.

Wegen dieser Aussage drohte China Japan mit einer militärischen Reaktion. "Sollte Japan es wagen, eine bewaffnete Intervention in der Taiwan-Straße zu versuchen, wäre dies ein Akt der Aggression und würde definitiv eine entschlossene Reaktion Chinas nach sich ziehen", sagte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Lin Jian, am Donnerstag (13.11.25). Vize-Außenminister Sun Weidong bestellte Japans Botschafter in China, Kenji Kanasugi, ein. "Jeder, der es wagt, sich in irgendeiner Form in Chinas Wiedervereinigungsprozess einzumischen, wird mit Sicherheit einen schweren Schlag erleiden", sagte Sun laut Angaben des chinesischen Außenministeriums zu Kanasugi.

Fortsetzung der Taiwan-Politik

Die chinesische Drohung basierte auf einer offensichtlich absichtlich falschen Interpretation der Aussage von Takaichi, die ja von einer japanischen Reaktion auf einen Angriff Chinas gegen Taiwan gesprochen hatte. Ihre Formulierung von der "existenziellen Bedrohung" entsprach dem seit einigen Jahren gängigen Rechtsverständnis in Japan, unter welchen Umständen man zusammen mit den USA sein Recht auf kollektive Selbstverteidigung ausüben darf, ohne den Pazifismus-Artikel 9 der Verfassung zu verletzen.

Japans Hoheitsgewässer reichen bis auf 110 Kilometer an Taiwan heran. China betrachtet die Inselrepublik als abtrünnige Provinz und rüstet sich seit Jahren militärisch für eine Blockade oder Invasion. Jede Aussage oder Handlung, die Taiwan als unabhängigen Staat erscheinen lässt, ist für Peking ein rotes Tuch, die angestrebte Einverleibung reine Innenpolitik. Deshalb wird jede Äußerung dazu von außen, die von Pekings Standpunkt abweicht, als Einmischung in innere Angelegenheiten dargestellt.

Altbekannte Polemik

Auf japanische Aussagen zu Taiwan und jede Kritik an Pekings Hegemonialstreben reagieren Chinas Kommunisten reflexartig mit der Warnung, dass der japanische Militarismus der 1930er Jahre wieder sein Haupt erhebe. Auch diesmal zog das Außenministerium in Peking Parallelen zwischen Takaichis Aussage und der Invasion der Mandschurei durch das kaiserliche Japan vor über 90 Jahren. Japans Verfassung erlaubt jedoch keinen Angriffskrieg.

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Dieser Widerspruch hielt Chinas Wolfskrieger nicht davon, Takaichi und Japan zu attackieren. Chinas Generalkonsul in Osaka, Xue Jian, schrieb zu Takaichi auf der Plattform X: "Der schmutzige Hals, der sich einmischt, muss abgeschnitten werden." Den Tweet löschte er, nachdem japanische Politiker forderten, ihn auszuweisen. Das chinesische Parteiorgan Volkszeitung (Renmin Ribao) verurteilte Takaichi als "rücksichtslos mit ihrer Zunge schießend" und warnte: "Niemand sollte sich der Illusion hingeben, dass man in der Taiwan-Frage Grenzen überschreiten kann, ohne dafür einen Preis zu zahlen."

Der Ex-Chefredakteur der chinesischen Boulevard-KP-Zeitung Global Times, Hu Xijin, sekundierte auf der Plattform Weibo: "Wenn der japanische Militarismus in die Taiwanstraße kommen will, um sich auf unseren Klingen zu opfern, werden wir ihm diesen Wunsch erfüllen." Der Weibo-Kanal Yuyuan Tantian, der zum Staatssender CCTV nahesteht, bezeichnete Takaichi in einem Artikel am Mittwoch als "Unruhestifterin" und fragte rhetorisch: "Hat ihr ein Esel an den Kopf getreten?"

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Japans Drahtseilakt

Der Streit berührt die bestehende "strategische Unklarheit" hinsichtlich der Souveränität Taiwans. Das heißt: Mögliche Gegner einer Einverleibung der Insel durch China, insbesondere die USA, lassen absichtlich offen, unter welchen Umständen und in welcher Form sie militärisch reagieren würden. Japans früherer Regierungschef Shinzo Abe, ein Mentor von Takaichi, hatte zwar erklärt, ein Notfall für Taiwan sei auch ein Notfall für Japan, aber ohne die genauen Umstände zu beschreiben.

Mit dieser Tradition hat Takaichi nun gebrochen. Dafür erntete sie auch parteiintern Kritik. "Abe hätte niemals eine solche unvorsichtige Antwort gegeben", zitierte die Zeitschrift President einen ungenannten Ex-Minister aus Takaichis Partei. Durch die Nennung eines konkreten Szenarios habe sie Japans Karten unnötig auf den Tisch gelegt.

Tokio bemühte sich um Schadensbegrenzung. Zunächst bestand Takaichi darauf, dass ihre Äußerungen mit der Haltung früherer Regierungen übereinstimmten. Schließlich bezeichnete sie ihre Aussagen als "hypothetisch" und versprach, sie künftig zu vermeiden. Auch ihr Kabinettschef wiegelte ab: Frieden und Stabilität in der Taiwanstraße seien für Japan Sicherheit entscheidend, aber man hoffe auf eine friedliche Lösung durch Dialog.

Takaichi als "Taiwan-Vertraute"?

Dass China seine Attacken dennoch fortsetzte, verstärkte den Eindruck, dass Peking Takaichi einschüchtern will, weil man sie als Nationalistin und Taiwan-Freundin wahrnimmt. Zum Beispiel hatte sie im April, damals als einfache Abgeordnete, Taiwans Präsident Lai Ching-te in Taipei getroffen und den Austausch "sicherheitsrelevanter Information" vereinbart.

Japans Premierministerin Sanae Takaichi mit Chinas Präsident Xi Jinping in SüdkoreaBild: Kaname Yoneyama/AP Photo/picture alliance

Nach ihrer Wahl zur Premierministerin schickte Peking nicht den üblichen Glückwunsch, sondern forderte, Japan solle seine "Verpflichtungen in Bezug auf die Geschichte einhalten". Diese Anspielung galt Takaichis früheren Besuchen des umstrittenen Yasukuni-Gedenkschreins, der auch japanische Kriegsverbrecher ehrt -worauf sie aber nach eigener Aussage künftig verzichten will. Bei seinem ersten Gespräch mit Takaichi Ende Oktober während des APEC-Gipfels in Südkorea verzog Chinas Präsident Xi Jingping keine Miene, die Atmosphäre wurde als frostig beschrieben. Schon als Takaichi am nächsten Tag einen Vertreter von Taiwan am Rande des Gipfels traf, reagierte China verärgert.