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Politik

"Chinesischer Traum" und Xis Machtpolitik

Hans Spross
27. Dezember 2017

Chinas Parteichef Xi Jinping beschließt das Jahr 2017 in unangreifbarer Machtposition. Das gilt für die begonnene zweite Amtszeit und vielleicht sogar eine dritte. Xis Fernziel: Chinas Aufstieg zur Weltmacht.

China Kongress der Kommunistischen Partei Xi Jinping
Bild: Reuters/J. Lee

Xi Jinping, seit November 2012 Parteichef und seit März 2013 Staatspräsident der Volksrepublik China, konnte seine Machtstellung auf dem 19. Parteitag im Oktober mit Blick auf seine zweite Amtszeit und vielleicht sogar darüber hinaus festigen. Eine dritte Amtszeit des jetzt 64-Jährigen ist nach ungeschriebenem Parteigesetz eigentlich ausgeschlossen, allerdings: Anders als früher üblich, wurde im neuen Ständigen Ausschuss des Politbüros kein potentieller Nachfolger für den nächsten Parteitag (2022) in Position gebracht.

Schon zuvor ließ sich Xi als "Kern der vereinheitlichten und zentralisierten Führung" bezeichnen. Auf dem Parteitag folgte dann die offizielle Annahme der "Ideen von Xi Jinping für die neue Ära des Sozialismus chinesischer Prägung". Der Vorgang war an sich nichts Außergewöhnliches, wie der Sinologe Felix Wemheuer betont: "Wie üblich hat der Parteitag Änderungen des Statuts beschlossen, um die ideologischen Konzepte des amtierenden Vorsitzenden aufzunehmen und diese als großartige Weiterentwicklung des Marxismus zu preisen."

Xi erhielt durch namentliche Nennung einen höheren Status als seine beiden unmittelbaren Vorgänger Hu Jintao und Jiang Zemin. Auf die gleiche Stufe wie die Mao-Zedong-Ideen seien Xis Ideen gleichwohl nicht gestellt worden, sagt Wemheuer. Die Mao-Zedong-Ideen sind als allzeitig gültig für die Partei kanonisiert. Die Ideen Xi Jinpings beziehen sich dagegen nur auf die gegenwärtige Ära der Kommunistischen Partei Chinas.

Konterfei von Xi und Mao als Souvenir für TouristenBild: Getty Images/Feng Li

Kontinuität der Korruptionsbekämpfung

Für Xi ist eine starke Partei für ein "wiedererstarktes China" unabdingbar, ein beständiges Motiv seiner Reden, so auch während des Parteitags. Und deshalb muss auch die Anti-Korruptionskampagne weitergeführt werden.

Ein kurzer Rückblick: Irgendwann zwischen 1997 und 2007, während Xi sich vom Kandidaten des Zentralkomitees bis zum Parteichef von Shanghai und damit in den innersten Machtzirkel hocharbeitete, muss er beschlossen haben, mit den markigen Worten seiner Vorgänger über die Korruptionsbekämpfung ernst zu machen. Die Partei befand sich am Rande einer Krise durch die immer heißer laufende und offen zur Schau gestellte Bereicherung der Funktionäre. Noch 2008 machten sich chinesische Internetnutzer darüber lustig, dass ein früherer Vizebürgermeister von Peking für Bestechung im Umfang von "nur einer lächerlichen Million US-Dollar" verurteilt worden war. Man solle ihn als "sauberen Beamten" freilassen.

Mit solchen Späßen war es unter Xi vorbei, seiner Kampagne gingen Tausende "Fliegen" und Hunderte "Tiger" ins Netz beziehungsweise ins Gefängnis, darunter Politbüromitglieder und Generäle als besonders spektakuläre Fälle, aber auch - und mit vielleicht noch größerer Wirkung - viele Funktionäre auf Provinzebene, die sich fernab der Zentrale sicher gefühlt hatten. Auch 2017, im fünften Jahr, ging die Kampagne unvermindert weiter, die Xi nebenbei auch dazu gedient hat, potentielle Rivalen aus dem Weg zu räumen.

Xi auf dem 19. Parteitag im OktoberBild: picture-alliance/AP Photo/N. Han Guan

Partei und Staat als Einheit

2018 wird das System der Korruptionsbekämpfung auf eine neue Stufe gehoben. Die neue "Nationale Überwachungskommission" soll mit der bisher nur für Parteikader zuständigen Disziplinkontrollkommission zusammenarbeiten, um dann auch gegen normale Staatsdiener ohne Parteibuch vorzugehen, die ideologisch unzuverlässig sind und/oder der Korruption verdächtigt werden. Verdächtige könnten dann für mehrere Monate ohne juristischen Beistand inhaftiert werden.

Das entsprechende Gesetz muss im März noch vom Nationalen Volkskongress verabschiedet werden. Aber Xi hat bereits in seiner Parteitagsrede erklärt, dass das neue System kommen wird - ungeachtet der Kritik mehrerer teilweise prominenter Juristen in China. Beobachter sehen in der neuen Superbehörde einen weiteren Beleg dafür, dass es für Xi Jinping keine Trennung von Partei und Staat geben soll.

"Ohne die KP gäbe es kein Neues China". Der Spruch in einem Pekinger Kaufhaus stimmte die Einheimischen auf den Parteitag einBild: picture-alliance/dpa/AP/Ng Han Guan

China als "global player"

Seine beeindruckende Machtfülle will Xi in den Dienst des "Wiederaufstiegs der glorreichen chinesischen Nation" stellen. Und diese Vision, die Xi als "chinesischen Traum" bezeichnet, beschränkt sich nicht nur auf China, etwa mit dem Ziel des Wohlstand für alle, sondern beinhaltet auch einen globalen Führungsanspruch. Dies unterstrich Xi zu Beginn des Jahres mit seinem Auftritt beim Weltwirtschaftsforum in Davos, wo er sich als Vorreiter von Freihandel und globaler Kooperation präsentierte. Ganz im Gegensatz zum neuen US-Präsident Donald Trump, der sich mit dem Schlachtruf "America First" anschickte, die USA möglichst aus allen multilateralen Verträgen und Abkommen herauszuziehen. So auch aus dem Transpazifischen Freihandelsabkommen TPP, mit dessen Hilfe eigentlich Chinas rasante Handels- und Investitionsexpansion eingehegt werden sollte.

Im Mai gab Xi in Peking einen pompösen Staatsempfang für Vertreter aus rund 100 Ländern, darunter 29 Staats- und Regierungschefs, um seinem Lieblingsprojekt einer "neuen Seidenstraße" (One Belt, One Road) internationalen Schub zu geben. Ein Vorhaben, mit dem China sich Handelswege und Investitionsmöglichkeiten über Zentralasien bis nach Europa und über Pakistan bis nach Afrika sichern will. Am weitesten fortgeschritten ist dabei der "Chinesisch-pakistanische Wirtschaftskorridor". Pakistan begibt sich "außenpolitisch und wirtschaftlich in immer größere Abhängigkeit von China", sagt Christian Wagner, Südasien-Experte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, der Deutschen Welle.

Satellitenfoto vom Dezember zeigt neue Flugzeughangars, Radaranlagen und Waffenlager auf Fiery Cross Reef der Spratly-GruppeBild: picture alliance/AP Photo

Maritime Einflusssphären

Auch in anderen Weltgegenden konnte Xi 2017 seinen Einfluss und seine Präsenz ausweiten. Der Ausbau von künstlichen Inseln in der umstrittenen Spratly-Gruppe im Südchinesischen Meer zu militärisch nutzbaren Stützpunkten wurde planmäßig zu Ende geführt. Die Philippinen verzichteten darauf, den (nicht bindenden) Spruch des Internationalen Schiedshofs, mit dem Chinas Gebietsansprüche auf das Südchinesische Meer verneint werden, Peking unter die Nase zu reiben, und fanden eine pragmatische Einigung mit Peking. Das heißt, die Philippinen erkennen Chinas Dominanz in dem Gebiet inoffiziell an. Dafür darf sich das Land über chinesische Wirtschafts- und Militärhilfe freuen.

Unterdessen eröffnete China in Dschibuti am Horn von Afrika seinen ersten überseeischen Marinestützpunkt, offiziell "Logistikzentrum" genannt. Auch wenn es dabei in erster Linie um die Unterstützung laufender chinesischer Friedens- und Anti-Piraterieeinsätze geht, ist dieser Schritt "ein Indikator für die globale Expansion chinesischer Streitkräfte und wirtschaftlicher Interessen", wie Bernt Berger vom  Berliner Zentrum für Sicherheits- und Konfliktanalyse gegenüber der DW sagt. "Die USA werden sich langsam daran gewöhnen, dass zivile und militärische Einrichtungen Chinas zukünftig noch häufiger in der Nähe von US-Einrichtungen installiert werden."

Kooperation und Konfrontation zwischen China und USA

Familien Xi und Trump in der Verbotenen StadtBild: Reuters/J. Ernst

Ob diese Entwicklung zu mehr Kooperation oder im Gegenteil Rivalität oder sogar Konfrontation mit den USA führen wird, ist offen. Hatte Trump bei seinem Staatsbesuch in Peking im November noch seine Bewunderung für Xi als starken nationalen Führer geäußert, so beschreibt er China, zusammen mit Russland, in der Mitte Dezember präsentierten Nationalen Sicherheitsstrategie als "revisionistischen Staat", der die Weltordnung nach "unfreien" und anti-amerikanischen Werten verändern wolle.

Die KP-Führung jedenfalls wünsche derzeit "keine direkte Konfrontation mit den USA, sondern akzeptiert das bestehende globale System, um langfristig zur Weltmacht aufzusteigen", glaubt China-Experte Wemheuer. Dies ergebe sich aus dem Zeitplan, den Xi Jinping auf dem Parteitag vorgestellt hatte. Demnach soll China bis 2049, 100 Jahre nach der Gründung der VR China, zur globalen Großmacht und zum modernen sozialistischen Industriestaat aufgestiegen sein. Die Volksbefreiungsarmee soll bis 2035 auf Weltniveau modernisiert werden, um Kriege gewinnen zu können.

Trotz geopolitischem Konkurrenzverhältnis sind USA und China beim nordkoreanischen Atomprogramm zur Zusammenarbeit genötigt, um eine katastrophale Eskalation zu verhindern. Aber auch beide Länder sind dabei an ihre Grenzen gestoßen: Xi Jinping konnte die Atombewaffnung des Regimes von Kim Jong Un nicht aufhalten, ebensowenig wie Trump und dessen Vorgänger.