Seit 1924 hat sich das Aachener Reitturnier zum renommiertesten Pferdesport-Event der Welt entwickelt und ist die größte jährliche Sportveranstaltung in Deutschland. Nicht nur die Anlage, auch die Preisgelder sind enorm.
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An einem Sonntag im Juli ging es vor 100 Jahren los. Das erste Reitturnier, das in Aachen ziemlich genau an der Stelle veranstaltet wurde, wo es auch heute noch stattfindet, war allerdings nicht die Haupt- sondern eher eine Nebensache der damaligen Veranstaltung.
Der Aachen-Laurensberger Rennverein (ALRV) hielt am 13. Juli 2024 einen seiner Renntage mit den üblichen Galopprennen ab. Im Rahmenprogramm gab es außerdem erstmals ein "Reit- und Fahrturnier, verbunden mit Flach- und Hürdenrennen". Die Wettbewerbe kamen bei den Zuschauern so gut an, dass der Grundstein zu dem Event gelegt war, das heute als "Weltfest des Pferdesports" im Reitsport internationale Maßstäbe setzt.
Schnelles Wachstum, Übernahme durch die Nazis
Das Aachener Reitturnier wurde zur jährlichen Veranstaltung und wuchs schnell: 1927 war es bereits international besetzt. 1929 wurde der erste Nationenpreis mit Länder-Mannschaften ausgeritten. 1933 erhielt es zum ersten Mal den Status des CHIO. Die Abkürzung steht für Concours Hippique International Officiel (Internationaler offizieller Pferdesport-Wettbewerb).
Jedes Land, das Mitglied im Internationalen Reiterverband FEI ist, hat nur einen CHIO. Es muss ein Turnier sein mit Prüfungen auf schwierigstem Niveau in mehr als einer Reitsport-Disziplin. In Deutschland ist das seit 1933 Aachen.
1933 übernahmen auch die Nationalsozialisten um Adolf Hitler die Macht in Deutschland. Das hatte auch auf den Reitsport und das Aachener Turnier Auswirkungen.
Das Reiten galt dem Nazi-Regime als Vorzeigesportart, in der man bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin Siege feiern wollte. Bei den Nationenpreisen saßen daher fortan nur noch deutsche Reitersoldaten der Wehrmacht im Sattel.
Beim Turnier von 1937 waren auch viele Reiter der SS für Deutschland in Aachen am Start. Hitler selbst stiftete zwar Pokale, war selbst aber nie bei den Wettbewerben in Aachen dabei. Ende August 1939 fand der CHIO vorerst ein letztes Mal statt, wenige Tage später brach der Zweite Weltkrieg aus.
Weltspitze in fünf Disziplinen
Nach dem Krieg dauerte es nicht lange, bis der CHIO wieder in seiner gewohnten Form als internationales Turnier ausgetragen wurde. Seit 1947 hat er nur zweimal nicht in Aachen stattgefunden: 1986 war Aachen Gastgeber der Reit-Weltmeisterschaften, weshalb der deutsche CHIO ausnahmsweise in Donaueschingen in Süddeutschland abgehalten wurde, und 2020 fiel das Turnier wegen der Corona-Pandemie aus.
Das Aachener Turnier gilt als das renommierteste und beste der Welt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gehören zur Weltspitze und treten in den fünf Disziplinen Springreiten, Dressur, Vielseitigkeit, Gespannfahren und Voltigieren gegeneinander an. Im Jubiläumsjahr 2024 werden rund 330 Aktive aus 32 Nationen am Start sein, insgesamt etwa 600 Pferde.
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Wie Wimbledon, Monaco oder Augusta
Einmal in Aachen den Großen Preis zu gewinnen, hat für Reiter dieselbe Bedeutung wie ein Sieg in Wimbledon im Tennis, ein Erfolg in Monaco für Formel-1-Fahrer oder der Triumph beim Masters in Augusta für Golfer.
"Das ist auf jeden Fall der beste Sieg von allen, da muss ich gar nicht lange nachdenken", sagte Kent Farrington, Aachen-Sieger im Springreiten von 2019 damals der DW, obwohl er zuvor bereits etliche andere Große Preise gewonnen hatte. "Aachen ist das beste Turnier und setzt die Standards in unserem Sport. Hier sind die besten Reiter auf ihren besten Pferden", sagte der US-Amerikaner damals.
Aber nicht nur die Bedeutung, auch die Dimensionen des Aachener Turniers sind riesig: Die Anlage mit Hauptstadion, Dressur-Arena, Reithallen, Gespannfahr-Areal, Stallungen, Anreiteplätzen und Nebenflächen umfasst eine Fläche von rund 25 Hektar.
Das Hauptstadion, in dem die Springreit-Wettbewerbe stattfinden, bietet 40.000 Zuschauern Platz. Einige Prüfungen, darunter der Nationenpreis, finden hier unter Flutlicht statt. Der Turnierplatz ist mit 120 mal 150 Metern einer der größten der Welt. Das Dressurstadion hat 6300 Plätze.
Zehn Tage lang dauert das Aachener Turnier in der Regel. Insgesamt kommen in dieser Zeit zwischen 350.000 und 400.000 Besucher zum CHIO. Für das Turnier arbeiten etwa 1200 Mitarbeiter.
Das höchste Preisgeld kann man beim Großen Preis im Springreiten gewinnen: Hier erhält alleine der Sieger 500.000 Euro. Insgesamt ist der CHIO mit 3,9 Millionen Euro dotiert. Der Gesamtetat des Turniers - Deutschlands größter jährlicher Sportveranstaltung - beträgt 20 Millionen Euro.
Berühmte Sieger des CHIO in Aachen
Alle Siegerinnen und Sieger im Großen Preis von Aachen haben im Springreiten Bedeutendes geschafft. Einige stechen heraus - wegen ihrer Persönlichkeit, der Vielzahl ihrer Erfolge oder der Art und Weise ihres Sieges.
Bild: picture-alliance/dpa/Eibner-Pressefoto
Hans Günter Winkler und Piero d'Inzeo
Hier reichen sich zwei Ausnahmereiter die Hände, die insgesamt sieben Siege beim Großen Preis von Aachen feiern dürfen: Hans Günter Winkler (l.) triumphiert dreimal (1954, 1957, 1969). Seinen zweiten Sieg erringt er auf dem Rücken der Wunderstute Halla. Der Italiener Piero D'Inzeo (r.) darf sogar viermal beim bedeutendsten Spring-Wettbewerb der Welt jubeln (1952, 1959, 1961, 1965).
Bild: picture-alliance/dpa/DB
Nick Skelton
Der Einzige, der wie D'Inzeo vier Große Preise in Aachen gewinnen kann, ist der Brite Nick Skelton. Bemerkenswert: Nach seinen ersten drei Erfolgen (1982, 1987, 1988) dauert es 25 Jahre bis zum vierten Titel. Dazwischen liegt ein Sturz im Jahr 2001, bei dem sich Skelton einen doppelten Bruch des obersten Halswirbels zuzieht. Gegen den Rat der Ärzte setzt er seine Karriere fort.
Bild: picture-alliance/dpa
Fritz Thiedemann
Fritz Thiedemann ist neben Hans Günter Winkler Deutschlands bester Springreiter der Nachkriegszeit. Eng verbunden sind seine Erfolge mit seinem besten Pferd, Meteor, ursprünglich ein landwirtschaftliches Nutzpferd. 1955 triumphieren Thiedemann und Meteor gemeinsam beim Großen Preis. Mit anderen Pferden gelingen Thiedemann zwei weitere Erfolge in Aachen (1951 und 1953).
Bild: picture-alliance/dpa
Alwin Schockemöhle
Ebenfalls auf drei verschiedenen Pferden reitet Alwin Schockemöhle zu seinen drei Siegen in Aachen (1962, 1968 und 1969). Schockemöhle ist nach seiner aktiven Zeit als Trainer tätig, unter anderem als Equipe-Chef der deutschen Springreiter. Mit Thomas Frühmann, Gert Wiltfang und Franke Sloothaak entdeckt und fördert er drei Reiter, die später ebenfalls den Großen Preis in Aachen gewinnen können.
Bild: picture-alliance/dpa
Paul Schockemöhle
Alwin Schockemöhles jüngster Bruder Paul tritt 1974 in Aachen in dessen Fußstapfen. 1979 und 1984 folgen zwei weitere Titel beim Großen Preis. Den letzten Erfolg in Aachen feiert Paul Schockemöhle auf seinem Paradepferd Deister, wegen seiner vielen Erfolge auch "Der springende Geldschrank" genannt. Schockemöhle arbeitet heute erfolgreich als Züchter, Pferdehändler und Speditionsunternehmer.
Bild: picture-alliance/dpa/F. Leonhardt
Nelson Pessoa
Neben seinen beeindruckenden sieben Siegen beim Deutschen Derby in Hamburg gewinnt Nelson Pessoa auch zweimal den Großen Preis von Aachen. Er ist 1964 der erste Südamerikaner, dem dies gelingt. 1972 folgt der zweite Triumph. 1994 macht es Nelson Pessoas Sohn Rodrigo seinem Vater nach und trägt sich ebenfalls in die Siegerliste des Großen Preises von Aachen ein.
Bild: picture-alliance/dpa
Ludger Beerbaum
Ludger Beerbaum, einer der erfolgreichsten deutschen Reiter, steht beim Großen Preis von Aachen dreimal ganz oben auf dem Siegertreppchen. Mit Goldfever gelingen ihm 2002 und 2003 zwei Siege in Folge. 1996 gewinnt er mit seinem besten Pferd, der Stute Ratina Z, die bis heute als eines der erfolgreichsten Springpferde aller Zeiten gilt.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Lübke
Jean-Claude Van Geenberghe
Jean-Claude Van Geenberghe hat in den 90er Jahren seine große Zeit. 1993 und 1995 ist der Belgier in Aachen der Beste. Später wechselt Van Geenberghe die Nation und startet für die Ukraine. 2009 verstirbt er mit nur 46 Jahren während eines Reit-Events in Donezk auf ungeklärte Weise. Er steigt mit Herzschmerzen vom Pferd, bekommt ein Schmerzmittel und Ruhe verordnet und ist kurze Zeit später tot.
Bild: picture-alliance/dpa/Sven Simon
Janne Friederike Meyer
Janne Friederike Meyer ist 2011 erst die fünfte Frau, der ein Erfolg beim Großen Preis von Aachen gelingt. Allerdings reitet kein Reiter und keine Reiterin so spektakulär zum Sieg wie die damals 30-Jährige: Schon über dem letzten Sprung reißt Meyer siegesgewiss die Arme hoch und landet freihändig. Ihr Wallach Cellagon Lambrasco trägt sie im Galopp zu ihrem größten Sieg über die Ziellinie.
Bild: picture-alliance/dpa/Eibner-Pressefoto
Scott Brash
Den Großen Preis von Aachen und den großen Jackpot einer Nobeluhren-Marke sichert sich Scott Brash beim CHIO 2015. Der Schotte setzt sich auf Hello Sanctos im Stechen mit knappem Vorsprung durch. Da er zuvor schon in Genf gewonnen hat, erhält er einen Bonus von 500.000 Euro. Später gewinnt er in Calgary auch die dritte Station des "Rolex Grand Slam" und ist um eine weitere Million Euro reicher.
Bild: Getty Images/Bongarts/Ch. Koepsel
Philipp Weishaupt
Mit ihm hat niemand gerechnet: 2016 düpiert Philipp Weishaupt die Konkurrenz, dabei ist er als 40. Reiter gerade noch in das Starterfeld beim Großen Preis hineingerutscht. Er muss als Erster starten, ist am Ende aber mit nur zwei Fehlern wegen Zeitüberschreitung der Beste. Doppeltes Glück für ihn, denn kurz vor dem Wettbewerb macht er seiner Verlobten einen Heiratsantrag, und sie sagt: "Ja!"
Bild: picture-alliance/dpa/U. Anspach
Marcus Ehning
"Es hat genau der Richtige gewonnen", mit diesem Satz kommentiert der für seinen trockenen Humor bekannte Marcus Ehning seinen Erfolg beim Großen Preis von Aachen 2018. Zuvor bei der Siegerehrung ist Ehning aber nicht ganz so cool. Schließlich ist es der zweite Titel für den 44-Jährigen, der 2006 auf der Stute Küchengirl schon einmal gewinnen konnte. 2023 gewinnt er auf Stargold ein drittes Mal.