Chloroquin hilft nicht gegen SARS-CoV-2
24. Juli 2020Ja, nein, vielleicht - um das Malaria-Medikament Chloroquin und den engen Verwandten Hydroxychloroquin als mögliche Mittel gegen das neuartige Coronavirus wurde in den letzten Monaten hitzig diskutiert.
Ja, Chloroquin könnte gegen SARS-CoV-2 wirken. Nein, Chloroquin könnte sogar gefährlich sein. Vielleicht wirkt das Mittel, vielleicht aber auch nicht. Die Studienlage war vor allem eines: unübersichtlich und vorläufig.
Die im Fachmagazin "Nature" publizierten Forschungsergebnisse von Wissenschaftlern des Deutschen Primatenzentrums (DPZ) in Göttingen, der Berliner Charité und des Universitätsklinikums in Bonn sprechen nun allerdings eine ganz deutliche Sprache: Chloroquin ist kein geeignetes Medikament zur Behandlung einer Infektion mit SARS-CoV-2. Es wirkt schlicht nicht.
Stefan Pöhlmann, Leiter der Infektionsbiologie des DPZ und einer der Studienautoren, ist angesichts seiner Forschungsergebnisse überzeugt, "dass klinische Studien nicht mehr gerechtfertigt sind." Weil die verwirrende Debatte um Chloroquin durch die Arbeit der Göttinger Wissenschaftler ein jähes Ende finden könnte, lohnt sich ein genauerer Blick: Was haben Pöhlmann und seine Kollegen anders gemacht?
Versuche an menschlichen Zellen
In den vergangenen Monaten wurden immer wieder Studien veröffentlicht, die darauf hoffen ließen, dass Chloroquin ein wirksames Medikament gegen SARS-CoV-2 sein könnte. Diese Versuche hatten allerdings einen Haken: Sie wurden nicht an menschlichen Zellen durchgeführt.
"Die antivirale Aktivität von Chloroquin und Hydroxychloroquin wurde zunächst mit der Affenzelllinie 'Vero' gezeigt", erklärt Pöhlmann. Es handelt sich dabei um eine Zelllinie, die aus Nierenzellen der Grünen Meerkatze gewonnen wurde. "Diese Zellen werden sehr häufig von Virologen für Versuche eingesetzt," sagt er.
Obwohl die Vero-Zellen sich für viele Zellkultur-Experimente anbieten, sind sie für in vitro-Versuche mit dem neuen Coronavirus ungeeignet, sagt Markus Hoffmann, der ebenfalls an der Studie beteiligt war. Der Infektionsbiologe erforscht, auf welchen unterschiedlichen Wegen neue Viren in Zellen eindringen. "Die Vero-Zellen können den entscheidenden Eintrittsweg nicht abbilden, den SARS-CoV-2 für die Infektion von Lungenzellen des Menschen nutzt", sagt er.
Der Weg über TMPRSS2
Den Affenzellen fehlt ein bestimmtes Enzym namens TMPRSS2, das das Virus für den Eintritt in die Lungenzellen aktiviert. Stattdessen produzieren sie das Virus-aktivierende Enzym Cathepsin L. Chloroquin wirkt hemmend auf dieses Enzym und kann so die Infektion der Vero-Zellen durch das Coronavirus verhindern.
Die Forscher entschieden sich dafür, ihre Experimente an einer menschlichen Lungenzelllinie namens Calu-3 vorzunehmen, um herauszufinden, ob Chloroquin hier denselben hemmenden Effekt hat. Schließlich findet das neuartige Coronavirus vor allem über die Lunge seinen Weg in den menschlichen Körper.
"Das Virus dockt in der Lunge an die Zelle an, wird dann von dem Enzym TMPRSS2 aktiviert und kann so in die Zelle eindringen", erklärt Hoffmann. Während Chloroquin das Enzym in den Affenzellen hemmt, hat es auf TMPRSS2 der menschlichen Lungenzellen keinen Effekt. "Chloroquin kann den Eintritt des Virus in die Lungenzellen nicht verhindern", sagt Pöhlmann.
Keine Basis mehr für klinische Studien
Die beiden Wissenschaftler plädieren deshalb für den Stopp aller klinischen Studien, die das Malaria-Mittel direkt an COVID-19-Patienten erproben. "Die Rechtfertigung für diese klinischen Studien waren letztendlich die Daten aus den Vero-Zellkultur-Experimenten. Diese Daten sind hinfällig", sagt Pöhlmann.
Noch laufen allerdings klinische Untersuchungen zu Chloroquin und SARS-CoV-2. Problematisch ist laut Pöhlmann und Hoffmann allerdings ebenfalls, dass Ärzte weltweit das Malaria-Mittel auch außerhalb von klinischen Studien verschreiben. Besonders gefährlich ist das für Patienten, die unter Herzproblemen leiden.
"Es könnte sein, dass Chloroquin immer noch von Ärzten in der Hoffnung verschrieben wird, dass es doch gegen SARS-CoV-2 helfen könnte. Im besten Fall hat es keine Wirkung", sagt Hoffmann. Im schlimmsten Fall verschlechtere es den Zustand eines Patienten.