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PolitikNahost

Cholera verschärft die Krise im Libanon

6. November 2022

Tausende Cholera-Fälle im Libanon treffen vor allem Arme und Geflüchtete, die sich kein sauberes Wasser leisten können. Sie zeigen auch, wie marode die Infrastruktur nach Jahren der Krise ist.

Libanon: Eine Krankenpflegerin verabreicht einem syrischen Kind, das Opfer eines Choleraausbruchs ist, eine Spritze
Es trifft die Armen: Ein mit Cholera infiziertes Kind in einem Flüchtlingslager im LibanonBild: Marwan Naamani/picture alliance/dpa

Vor einem Monat wurden im Norden des Libanon die ersten Cholera-Bakterien entdeckt. Laut dem libanesischen Gesundheitsministerium gibt es mittlerweile im ganzen Land mehr als 2500 bestätigte und vermutete Fälle der Durchfallerkrankung, die durch verseuchtes Wasser, Abwasser und Nahrungsmittel verbreitet wird. Cholera kann durch starken Flüssigkeitsverlust zu Nierenversagen bis hin zum Tod führen, wenn nicht mit Medikamenten behandelt wird. Mindestens 18 Menschen sind im Libanon bisher daran gestorben.

Gesundheitsminister Firass Abiad hat um internationale Hilfe gebeten, um den Cholera-Ausbruch zu bekämpfen - den ersten seit 1993. Die Behörden bemühen sich, die Zahl der Infektionen kleinzuhalten. "Solange wir vergleichsweise wenige Fälle haben, sind die Kliniken in der Lage, Erkrankte zu behandeln", so Firass Abiad im Gespräch mit der DW. "Aber wenn die Zahlen steigen, schaffen die Kliniken das nicht mehr."

Diese Woche hat die gemeinnützige Organisation des französischen Pharmakonzerns Sanofi 13.400 Impfdosen gespendet. Ägypten hat ebenfalls Unterstützung versprochen. "Die Regierung hat auch eine landesweite Kampagne in Radio und Fernsehen gestartet, um das Bewusstsein dafür zu schärfen, wie wichtig Händewaschen ist. Und der Inhalt von Wassertankwagen wird gechlort", erklärt Megan Ferrando, die im Libanon für das Klima- und Wasserprogramm des US-amerikanischen Thinktanks Middle East Institute arbeitet.

Dennoch zeigt sich die Weltgesundheitsorganisation WHO tief besorgt über die Situation und warnt vor einer Cholera-Epidemie. Die Lage sei prekär.

Jahrelange Misswirtschaft

Prekär ist die Lage auch, weil der Libanon in der schwersten Wirtschaftskrise seiner Geschichte steckt. In den vergangenen drei Jahren gab es eine Kette politischer und ökonomischer Erschütterungen, die noch verstärkt wurden durch den Klimawandel, die Corona-Pandemie, die Explosionskatastrophe im Hafen von Beirut im August 2020 und den Getreidemangel seit der russischen Invasion der Ukraine.

Die Weltbank hat den Libanon im Juli von einem Land mit einem Bruttonationaleinkommen im oberen Mittel zurückgestuft zu einem Land im unteren Mittel. Ende Oktober ist Präsident Michael Aoun ohne Nachfolger aus dem Amt geschieden, so dass das Land nun mit einer Übergangsregierung ohne Staatschef dasteht.

Libanon: Kampf ums Überleben

06:31

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Der Cholera-Ausbruch verdeutlicht, welche Folgen es hat, wenn die Infrastruktur jahrelang vernachlässigt wird. "Die Wasserversorgung war schon marode, bevor die Krise 2019 begann", so Megan Ferrando in einem Bericht auf der Website des Middle East Institute. Die Kombination aus jahrelanger Misswirtschaft und der gegenwärtigen Treibstoff- und Finanzkrise habe eine allgemeine Wasserkrise hervorgebracht. "Andererseits: Die schlichte Tatsache, dass eine Infrastruktur für Wasser und sanitäre Einrichtungen existiert, reduziert die Gefahr einer großflächigen Verseuchung", so Ferrando zur DW.

Libanesinnen und Libanesen, die es sich leisten können, trinken Flaschenwasser - obwohl die Preise seit 2019 auf das Achtfache gestiegen sind. "Aber ungeschützte Gruppen sind hochgradig gefährdet", so Ferrando. "Die Cholera hat sich in Gegenden verbreitet, in denen die Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Anlagen haben."

Zum Beispiel in Libanons nördlichsten Gouvernement Akkar, das eine lange Grenze mit Syrien teilt. "In Akkar ist die Hauptwasserquelle verseucht", so Gesundheitsminister Firass Abiad. Mittlerweile hat das Büro des UN-Koordinators für den Libanon bestätigt, dass Patienten in Akkar durch einen ähnlichen Cholera-Stamm infiziert sind wie Menschen in Syrien. In der Region leben viele syrische Flüchtlinge in notdürftigen Lagern und pendeln zwischen beiden Ländern hin und her.

Kein Zugang zu sauberem Wasser: Syrische Geflüchtete in Zeltlagern im Norden LibanonsBild: Marwan Naamani/picture alliance/dpa

Der Cholera-Ausbruch trifft den Libanon nicht nur in einem äußerst schwierigen Moment seiner Geschichte, sondern auch zu einer ungünstigen Jahreszeit. Im Herbst sind die Wasserstände am niedrigsten in diesem Land, das mit seinen schneebedeckten Bergen sowie 40 Flüssen und Grundwasserleitern eigentlich wasserreich ist.

Hoffen auf den Herbstregen

"Es regnet nur zwischen Oktober und Mai, in der Zeit muss das Wasser für den Sommer gespeichert werden", sagt Heiko Wimmen, bei der International Crisis Group für den Libanon, Syrien und den Irak zuständig, der DW. "Aber es gibt nicht genug Reservoire, um das ganze Jahr abzudecken. Und jetzt sind sie nahezu leer."

Selbst wenn die Speicher voll sind, pumpt die staatliche Wasserversorgung nur alle drei bis vier Tage für ein paar Stunden Wasser in die Rohre. Darum hat jeder Haushalt seinen eigenen Wassertank auf dem Dach. Nach einem langen Sommer ohne Regen reicht der Inhalt der Tanks nicht mehr, um die Zeit ohne Leitungswasser zu überbrücken, so Heiko Wimmen. "Und nicht alle Wasserversorger werden auf ihre Wasserqualität kontrolliert."

Eigentlich ein wasserreiches Land: Schnee auf den Höhen des LibanongebirgesBild: Bilal Jawich/Xinhua/picture alliance

Durch die galoppierende Inflation des Libanesischen Pfunds hat sich "der Durchschnittspreis für die Ladung eines Wassertanklasters seit 2019 versechsfacht", fügt Megan Ferrando hinzu. "Eine wöchentliche Wasserfüllung kostet damit mehr als der monatliche Mindestlohn."

Cholera ist nicht COVID-19

Der gegenwärtige Cholera-Ausbruch ist nicht vergleichbar mit den Corona-Pandemie, die den Libanon 2021 über Monate lahmgelegt hat, betont Wimmen. "Cholera kann behandelt werden. Das Land ist so klein, dass die Menschen die Polikliniken erreichen können und die Regierung hat zugesagt, die Behandlungskosten zu übernehmen."

Viele Menschen sind allerdings verwirrt angesichts der unterschiedlichen Vorsichtsmaßnahmen gegen Coronaviren und Cholera-Bakterien, berichtet Ettie Higgins, Sprecherin von UNICEF im Libanon, der DW. "Mit COVID-19 kannte die Bevölkerung sich weitgehend aus, aber nicht mit Cholera, die sich wesentlich schneller ausbreitet."

Heike Wimmen fürchtet nicht, dass er sich selber anstecken könnte, weil die Bakterien selten gesunden Erwachsenen gefährlich werden, wenn sie sich umgehend in medizinische Behandlung begeben. Seine Sorge gilt den Menschen, die bereits jetzt sehr verletzlich sind und denen die Mittel fehlen, sich sauberes Trinkwasser zu beschaffen.

Adaption aus dem Englischen: Beate Hinrichs

Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.
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