Christen in Syrien: Angst nach Terrorangriff
24. Juni 2025
Die offizielle Stellungnahme nach dem Anschlag auf eine Kirche in Damaskus erfolgte umgehend. Die Attacke sei ein Versuch, das Zusammenleben in dem multikonfessionellen und multiethnischen Land zu untergraben, schrieb das syrische Außenministerium in einer Erklärung.
Die syrische Regierung betrachte diesen "kriminellen Akt, der sich gegen Mitglieder der christlichen Gemeinschaft richte, als einen verzweifelten Versuch, das nationale Zusammenleben zu untergraben und das Land zu destabilisieren". Verantwortlich für die Angriff machte das Ministerium die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS).
Am Sonntag (22. Juni) hatte ein Selbstmordattentäter in der St. Elias Kirche in Damaskus das Feuer auf Gläubige eröffnet und sich dann selbst in die Luft gesprengt. Angaben des syrischen Innenministeriums zufolge wurden bei dem Angriff 25 Menschen getötet, weitere 63 Personen wurden verletzt.
Auch Staats- und Regierungschefs vieler arabischer Staaten verurteilten Medienberichten zufolge den Anschlag. Der libanesische Präsident Joseph Aoun etwa forderte, "die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um eine Wiederholung solcher Anschläge zu verhindern und Gotteshäuser, ihre Gläubigen und alle syrischen Bürger, unabhängig von ihrer Konfession, zu schützen". Die Einheit des syrischen Volkes bilde die Grundlage, um Unruhen zu verhindern.
Auch die katholischen Bischöfe im Heiligen Land reagierten auf den Anschlag. "Solche Gewalt unter dem Deckmantel des Glaubens ist eine schwere Entstellung alles Heiligen", heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme von Montag.
"Anschlag richtet sich gegen Übergangsprozess insgesamt"
Der Anschlag sei nicht allein menschlich, sondern auch politisch dramatisch, sagt Michael Bauer, Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Beirut. "Es hat in den vergangenen Monaten wiederholt Gewalt gegen konfessionelle Minderheiten gegeben, etwa die Alewiten und die Drusen. Der jüngste Anschlag, so furchtbar er ist, richtet sich darum nicht allein gegen Christen, sondern gegen das gesellschaftliche Gefüge des gesamten Landes wie auch den Übergangsprozess. Beide sollen durch Attacken wie diese erschüttert werden."
Im Gespräch mit der DW zeigen sich syrische Christen verunsichert. Ihre Mutter habe an dem Gottesdienst teilgenommen, sagt die 21 Jahre alte Sidra, eine syrische Christin, im DW-Interview. Sie habe aber Glück gehabt, denn sie sei nur leicht verletzt worden. "Allerdings ist meine Freundin bei dem Attentat gestorben", sagt Sidra.
Die syrischen Behörden seien nun gefordert, so Sidra weiter. "Die syrische Regierung muss für unsere Sicherheit sorgen. Denn ohne diese können wir Christen hier womöglich nicht länger leben. Wenn sich nichts ändert, könnten sich die Christen in Syrien gegen die Regierung wenden."
Dschihadisten: kein Platz für "Ungläubige"
Die neue syrische Regierung unter Ahmed al-Scharaa dürfte sich bewusst sein, dass das Land einen grundlegenden, alle Bevölkerungsgruppen umfassenden Transformationsprozess brauche, sagt Michael Bauer. Aber man müsse davon ausgehen, dass unter den Regierungskräften auch ehemalige Kämpfer dschihadistischer Milizen seien, die mit dieser Entwicklung nicht einverstanden sind.
"Sie wollen vielmehr ihre eigene Weltanschauung durchsetzen. Und die sieht nicht vor, dass Alawiten, Christen, Drusen oder andere aus ihrer Sicht "Ungläubige" in dem neuen Syrien einen Platz haben. Das ist eine große Herausforderung."
Immer wieder werden radikale ausländische Kämpfer beschuldigt, an den Gewaltakten gegen syrische Minderheiten beteiligt gewesen zu sein. Diese Gewalt einzudämmen fällt der Regierung auch darum so schwer, weil sie chronisch unterfinanziert ist.
Und noch ist keine Besserung in Sicht. Denn auch 2025 wird die syrische Wirtschaft laut Schätzungen des Wirtschaftsinformationsdienstes Germany Trade and Invest (GTAI) schrumpfen - im dritten Jahr hintereinander. Diese Entwicklung erschwert auch den Ausbau des staatlichen Sicherheitsapparates.
Darunter leiden neben den anderen konfessionellen Minderheiten auch die Christen, deren Anteil an der Bevölkerung ohnehin bereits gering ist. Stellten sie vor Beginn des Krieges im Jahr 2011 noch rund sieben Prozent der Bevölkerung, sind es heute nach einem Bericht der Vatican News noch rund zwei Prozent. Denn wie viele andere Landsleute haben auch zahlreiche Christen Syrien verlassen.
Doch die Gewalt richte sich letztlich gegen alle Syrer, gibt die 58 Jahre alte Nawal zu verstehen. Auch sie wurde bei dem Attentat am Sonntag verletzt. Aus ihrer Sicht entspricht der Angriff einer Ideologie, die sich zwar auch gegen Christen richtet, letztlich aber viel weiter reicht.
"Wir sind ein Volk - Christen, Muslime und Menschen aller Religionen und Konfessionen", sagt sie. "Und wer auch immer diese Tat begangen hat: Dieses Mal hat er Christen getroffen, aber morgen wird er jeden anderen Syrer treffen."
Syrien - auch ein Land der Christen
Grundsätzlich lebten die syrischen Christen in einem auskömmlichen Verhältnis zu den anderen Konfessionen des Landes, sagt Michael Bauer. Zwar gebe es in Damaskus auch einige eher christlich geprägte Stadtteile, wie es auf dem Land auch einige eher christlich geprägte Dörfer gebe.
"Aber zugleich sind die Christen in ganz unterschiedlichen Landesteilen präsent. Dort leben sie, anders als etwa die Drusen, Seite an Seite mit Bürgern anderer Konfessionen. Und dadurch ist natürlich auch eine entsprechende Nähe entstanden."
Sie hoffe, dass diese auch weiterhin bestehe, sagt die 21 Jahre alte Sidra. Syrien sei auch das Land der Christen. "Und wir werden bleiben, solange es keine konfessionellen Provokationen oder Beleidigungen anderer Glaubensrichtungen gibt. Das gestrige Ereignis in der Kirche hat allerdings gezeigt, dass es Sektierertum gibt. Solche Taten lassen uns darüber nachdenken, aus Syrien auszuwandern."
Mitarbeit: Omar Albam.