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Christian Eriksen: Lebensretter in der Brust

Michael da Silva
26. Februar 2022

Nach seinem Herzstillstand bei der EM 2020 feiert der Däne ein Comeback als Profi - mit implantiertem Defibrillator. Ex-Profi Daniel Engelbrecht weiß aus eigener Erfahrung, wie es ist, mit einem solchen Gerät zu spielen.

Christian Eriksen im Trikot des FC Brentford
Comeback mit Herzschrittmacher geglückt: Christian Eriksen im Trikot des FC BrentfordBild: Aaron Chown/AP Photo/picture alliance

"Ich bin ein glücklicher Mann", sagte Christian Eriksen, nachdem er für den FC Brentford ein emotionales Comeback gefeiert hatte. In der 52. Spielminute war es soweit: Neun Monate nach seinem Herzstillstand beim EM-Spiel Dänemarks gegen Finnland wurde Eriksen im Premiere-League-Spiel gegen Newcastle United eingewechselt. Als er das letzte Mal auf dem Rasen gestanden hatte, war er in der ersten Halbzeit ohne Vorwarnung zusammengebrochen und musste minutenlang wiederbelebt werden. Ein Schock für alle Fans im Stadion aber auch für diejenigen, die Spiel im Fernsehen verfolgten, so wie Ex-Profi Daniel Engelbrecht, bei dem vor Jahren während eines Fußballspiels ebenfalls kurzzeitig der Herzschlag aussetzte. 

"Ich habe mir das Spiel mit Freunden in einem Restaurant angesehen. Als Christian Eriksen zusammenbrach, war ich wie erstarrt. Mit jeder Sekunde, die er ohne Herzschlag dalag, wurde meine Angst größer. Ich wusste, je länger er am Boden lag, desto gefährlicher wurde es." Engelbrecht weiß genau, was Eriksen durchmachte, als er im vergangenen Jahr während der Fußball-EM auf dem Platz kollabierte. Im Juli 2013 hatte Engelbrecht selbst einen Herzstillstand erlitten und war während eines Spiels der Stuttgarter Kickers in der 3. Liga auf dem Platz zusammengebrochen. Erst nach 20 bis 30 Sekunden konnte ein Teamkollege ihn wieder "aufwecken".

"Das war für mich der schwerste und emotionalste Tag in meinem Leben", erinnert sich Engelbrecht im Gespräch mit der DW. "Zwei Tage zuvor hatte ich einen neuen Dreijahresvertrag bei den Stuttgarter Kickers unterschrieben, und der Arzt hatte mir gesagt, dass ich körperlich in bester Verfassung sei. Ich hätte nie gedacht, dass mit meinem Herzen etwas nicht in Ordnung sein könnte."

Als Grund für seinen Zusammenbruch wurde später eine Herzmuskelentzündung festgestellt. In den vergangenen Jahren hat Engelbrecht versucht zu vergessen, was ihm widerfahren ist. "Aber die Situation mit Christian Eriksen hat mein Erlebnis vom 20. Juli 2013 wieder zum Leben erweckt", sagt er.

Daniel Engelbrecht - ein ICD-Pionier

Ex-Fußballspieler Daniel Engelbrecht Bild: teutopress/imago images

Engelbrecht kehrte erst 18 Monate später nach vier Operationen zurück - mit demselben Typ von implantierbarem Kardioverter-Defibrillator (ICD) in der Brust, der auch bei Christian Eriksen einige Tage nach seinem Zusammenbruch eingesetzt wurde. "Ich war der erste Fußballspieler in Deutschland, der mit einem ICD spielte", sagt Engelbrecht. "Es gibt Leute, die einen ICD haben und einfach nur Fußball spielen, aber als Profi ist das anders, da trainierst du jeden Tag und stehst unter Druck. Die Ärzte sagten mir, dass sie besorgt seien, weil sie keine Erfahrung damit hätten. Aber meine Liebe zum Fußball war größer als meine Angst vor dem Tod."

Engelbrecht spielte fünf Jahre lang mit dem Defibrillator in der Brust. Auch Christian Eriksen würde das gerne schaffen. "Mein Traum ist es, wieder in die Nationalmannschaft zurückzukehren und im Parken [Dänemarks Heimstadion in Kopenhagen - Anm. d. Red.] zu spielen und zu beweisen, dass es eine einmalige Sache war und dass es nicht wieder passieren wird", sagt Eriksen. "Ich will beweisen, dass ich mich weiterentwickelt habe. Mein Ziel ist es dann, bei der Weltmeisterschaft in Katar zu spielen. Ich will spielen. Das war schon immer meine Einstellung."

"830 Volt - kein schönes Gefühl"

Während rund drei Millionen Menschen auf der Welt einen ICD oder eine andere Form von Herzschrittmacher haben, treiben nur sehr wenige von ihnen Sport auf Spitzenniveau. Daley Blind, niederländischer Nationalspieler und Kapitän von Ajax Amsterdam, ist ein Beispiel. Positiv ist in Eriksens Fall, dass er nicht an einem grundlegenden Herzproblem leidet. "Ohne Grunderkrankung und mit einem ICD gibt es keinen Grund, warum Christian Eriksen nicht zu seiner alten Stärke zurückkehren könnte", sagt Tim Niedergassel, Mannschaftsarzt des Bundesligisten Arminia Bielefeld, der DW. "Es gibt eine sehr kleine Gruppe von Spielern, die mit einem ICD Fußball gespielt haben oder gerade spielen, Und wir wissen, dass es im Grunde keine unerwünschten Reaktionen gegeben hat."

Ein ICD im Brustkorb eines Patienten: Die Elektroden haben in der Herzkammer Kontakt zum HerzmuskelBild: Stefan Sauer/dpa/picture-alliance

Obwohl Leistungssportler fast immer jung, fit und gesund sind, ist das Risiko eines plötzlichen Herzstillstands bei ihnen größer als bei Nicht-Sportlern. "Das Risiko eines plötzlichen Herzstillstands ist in Zeiten intensiver körperlicher Betätigung etwa 2,5 Mal höher", erklärt Niedergassel. "Es besteht ein höheres Risiko für Elektrolytstörungen, und der Verlust von Kalium und Natrium beim Schwitzen kann den normalen Zustand des Herzens beeinträchtigen. Auch eine Grunderkrankung oder Stress können den Elektrolytverlust auslösen. Und sobald das Gehirn keinen Sauerstoff mehr bekommt, kann es nur noch etwa drei bis fünf Minuten überleben."

Um das zu verhindern, ist der ICD da. Seine Batterie hält bis zu acht Jahre lang. Bei einer akuten Krise - Kammerflimmern, Rhythmusstörungen oder gar Herzstillstand - gibt er starke Elektroschocks ab, um den regelmäßigen Herzrhythmus wiederherzustellen. Auch bei Daniel Engelbrecht war das schon notwendig. "Mein ICD hat mir die Inspiration gegeben, wieder zu spielen. Das einzige Mal, dass ich Angst hatte, war am 28. Januar 2014, als mein ICD mir einen Schock gab, um mein Herz wieder zum Schlagen zu bringen", erinnert sich Engelbrecht. "In dem Moment wurde mir klar, dass ich tot wäre, wenn der ICD mich nicht gerettet hätte." Allerdings – so Engelbrecht, ist ein Schock durch den ICD, nichts, was man öfter erleben möchte. "830 Volt, die durch deinen Körper gepumpt werden - das ist kein schönes Gefühl."

Nicht mehr bei 100 Prozent

Dennoch ist der heute 31-Jährige froh, den Weg zurück auf den Platz gemacht zu haben. Sein Comeback am 6. Dezember 2014 hätte nicht emotionaler und denkwürdiger sein können, so Engelbrecht: "Die Kickers wollten aufsteigen und brauchten einen Sieg, um den zweiten Platz zu sichern. Es stand 1:1, und ich wurde in der 86. Minute eingewechselt. In der 92. Minute habe ich dann den Siegtreffer erzielt. Das war einfach unglaublich. Unter meinem Trikot trug ich ein Shirt mit der Botschaft 'Nichts ist unmöglich'. Ich war in allen Talkshows in Deutschland, es war etwas Außergewöhnliches. Das wünsche ich mir auch für Christian Eriksen."

"Nichts ist unmöglich" - Daniel Engelbrecht nach seinem Traum-Comeback bei den Stuttgarter KickersBild: Stuttgarter Kickers

Engelbrecht beendete seine Profikarriere mit 28 Jahren, um sich dem Coaching, Scouting und Spielermanagement zu widmen. "Ich muss ehrlich zu mir selbst sein: Nach meinen Herzproblemen war ich nie wieder bei 100 Prozent", sagt er rückblickend. "Ich konnte 60 bis 70 Prozent meines früheren Niveaus erreichen. Es ist sehr schwierig, wieder auf 100 Prozent zu kommen. Ich hoffe wirklich, dass Christian es schaffen kann."

Emotionale Rückkehr

Für den Dänen sind die drei Minuten, in denen er leblos auf dem Kopenhagener Rasen lag, aus dem Gedächtnis verschwunden. "Normalerweise erinnert man sich an Teile eines Traums, aber ich kann mich an nichts erinnern, als ich ohnmächtig wurde", sagte Eriksen dem dänischen Sender DR1 Anfang Januar in seinem ersten Interview seit dem Zusammenbruch. "Ich hatte Mühe zu atmen, als ich wieder zu mir kam, aber langsam sah ich die Ärzte um mich herum und hörte Stimmen. Als unser Kardiologe sagte, ich sei 30, korrigierte ich ihn und sagte: 'Hey, ich bin erst 29'. Dann kam ich sofort wieder zu Bewusstsein."

Bange Minuten: Eriksens Mitspieler schirmen die Blicke der Zuschauer ab, während die Ärzte ihn behandelnBild: Wolfgang Rattay/REUTERS

Mit dem Segen seiner Verlobten und seiner Familie hat Eriksen nun kurz sein Comeback im Profifußball geschafft. Premier-League-Aufsteiger FC Brentford, ein kleiner Klub aus dem Westen Londons, kämpft um den Klassenerhalt und hofft, dass Eriksen seinen Teil dazu beiträgt. Der Däne kennt die Stadt: Fast sechseinhalb Jahre lang, von Ende August 2013 bis Ende Januar 2020, spielte er für Tottenham Hotspur, ehe er zu Inter Mailand wechselte. Dort konnte er nicht bleiben, weil die italienische Serie A keine Spieler mit ICD zulässt. Eriksen erhielt in Brentford, wo er inklusive Trainer einer von acht Dänen ist, einen Vertrag über zunächst sechs Monate mit einer Option für ein weiteres Jahr. An diesem Wochenende könnte er für die "Bees" gegen Newcastle United sein Debüt geben.

Es wird eine emotionale Rückkehr werden - für Eriksen selbst, aber auch für viele Fußballfans, die die schockierenden Bilder von Kopenhagen noch lebhaft vor Augen haben. Auch Daniel Engelbrecht will das nicht verpassen: "Ich werde mir das erste Spiel von Eriksen auf jeden Fall ansehen."

Der Text wurde aus dem Englischen adaptiert und nach dem ersten Spiel Christian Eriksens für den FC Brentford aktualisiert.